BAG: „Andere Abmachung“ nach Ablauf des Tarifvertrages

22.05.2009

Bundesarbeitsgericht

Nach Ablauf eines Tarifvertrages gelten dessen Rechtsnormen weiter, bis sie durch

eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 4 Abs. 5 TVG). Über diesen Gesetzeswortlaut

hinaus kann eine „andere Abmachung“ in Form einer einzelvertraglichen

Vereinbarung, welche die bisherigen Bedingungen aus dem abgelaufenen Tarifvertrag

ohne Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip verschlechtern kann, im Einzelfall

auch schon vor Ablauf des Tarifvertrages getroffen werden. Sie löst die tariflichen

Bestimmungen aber nur dann ab, wenn sie konkret und zeitnah vor dem bevorstehenden

Ablauf des Tarifvertrages die sich dann aufgrund der Nachwirkung ergebende

Situation regelt.

In dem heute vom Vierten Senat entschiedenen Fall machte eine gewerkschaftlich

organisierte Klägerin u.a. Rechte aus einem Manteltarifvertrag (MTV) geltend, der im

Juli 2003 auf unbestimmte Zeit mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum

Quartal abgeschlossen worden war. Die beklagte Arbeitgeberin war langjährig Vollmitglied

eines am Tarifabschluss beteiligten Arbeitgeberverbandes, wechselte dort

aber zum 1. November 2004 in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OTMitgliedschaft).

Am 1. März 2005 vereinbarten die Parteien eine Änderung ihres Arbeitsvertrages

zum 1. April 2005 u.a. mit einer Verlängerung der im MTV vorgesehenen

regelmäßigen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und einer Verkürzung des dort

festgelegten tariflichen Mindesturlaubs um zwei Tage. Der MTV wurde dann Ende

Oktober 2005 zum 31. März 2006 gekündigt. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin

die Bezahlung der über die tarifliche Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitsstunden zwischen

Januar und Juni 2006 sowie die Nachgewährung der zwei Tage Jahresurlaub

2006.

Die Klage hatte im hier behandelten Teil Erfolg. Bis zum 31. März 2006 galt der Manteltarifvertrag

für die Parteien noch kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit zwingend.

Seine Festlegungen konnten durch Vertrag nicht verschlechtert werden. Danach

wirkte er zwar nur noch nach, war also durch eine „andere Abmachung“ auch zu Lasten

der Klägerin abänderbar. Die Vereinbarung vom 1. März 2005 war indes keine

solche andere Abmachung. Sie war nicht für eine bevorstehende Nachwirkungsphase

getroffen worden, sondern sollte die Rechtslage sofort - während noch laufenden

Tarifvertrages - ändern und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem noch gar nicht absehbar

war, ob und wann es zu einer Nachwirkung des MTV kommen würde.

Den wegen weiterer Klageforderungen entscheidungserheblichen Wechsel der Beklagten

in die OT-Mitgliedschaft hat der Senat trotz sehr allgemein gehaltener Regelungen

zur Trennung der Befugnisse von OT- und Vollmitgliedern als wirksam angesehen.

In einem solchen Fall kann es zwar möglicherweise neben dem Satzungswortlaut

zur Feststellung des erforderlichen Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und

Betroffenheit auch auf eine davon etwa abweichende Praxis des Vereinslebens ankommen.

Da hierfür keine Anhaltspunkte dargelegt waren, musste der Senat dem

nicht weiter nachgehen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Mai 2009 - 4 AZR 230/08 -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 7. November 2007 - 18 Sa

508/07 -

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell