BAG: Mutterschutzrechtlicher Sonderkündigungsschutz nach medizinisch-indizierter Einleitung der Geburt

19.12.2005

Bundesarbeitsgericht

Die schwangere Klägerin arbeitete seit dem 15. September 2002 in der Rechtsabteilung der

Beklagten. Der voraussichtliche Entbindungstermin sollte der 1. Mai 2003 sein. Anlässlich

einer Vorsorgeuntersuchung im Dezember 2002 wurde eine Funktionsstörung der Nieren

des ungeborenen Kindes festgestellt (sog. Potter-Syndrom), die zum sicheren Tod des Kindes

noch während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt geführt hätte. Auf ärztlichen

Rat wurden am 26. Dezember die Wehen medikamentös eingeleitet. Am 28. Dezember

brachte die Klägerin einen toten Jungen mit einem Gewicht von 600 Gramm zur Welt. In der

Todesbescheinigung ist angegeben, dass das Kind in der Geburt verstorben ist. Die Klägerin

teilte am 30. Dezember 2002 der Beklagten mit, die Schwangerschaft sei abgebrochen worden

und das Kind gestorben. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 5. März 2003 das

Arbeitsverhältnis der Klägerin fristgemäß. Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen diese

Kündigung mit dem Hinweis gewandt, diese sei nach § 9 Abs. 1 MuSchG unzulässig. Die

Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Sonderkündigungsschutz für Mütter finde vorliegend

keine Anwendung, weil auch ein medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbruch keine

„Entbindung“ im Sinne des Gesetzes sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesarbeitsgericht

der Klage stattgegeben.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während einer

Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig.

Eine Entbindung im Sinne der Norm ist ua. in Anlehnung an entsprechende personenstandsrechtliche

Bestimmungen (§ 21 Abs. 2 PStG iVm. § 29 Abs. 2 PStV) dann anzunehmen,

wenn die Leibesfrucht ein Gewicht von mindestens 500 Gramm hat. Dabei spielt es keine

Rolle, ob das Kind lebend oder tot geboren wird. Das gilt auch bei einer medizinisch indizierten

vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft. Dies entspricht dem Sinn und Zweck

von § 9 Abs. 1 MuSchG, ua. einen Schutz für die durch die Schwangerschaft und den Geburtsvorgang

entstehenden Belastungen der Frau zu gewähren.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 2 AZR 462/04 -

Vorinstanz: LAG München, Urteil vom 14. Juli 2004 - 5 Sa 241/04 -

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