BAG: Nachbindung an einen Tarifvertrag nach § 3 Abs. 3 TVG – „Andere Abmachung“ nach § 4 Abs. 5 TVG
Bundesarbeitsgericht
Ein Arbeitgeber ist nach seinem Verbandsaustritt an die vom Arbeitgeberverband
geschlossen Tarifverträge kraft Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG bis zu deren
Ende unmittelbar und zwingend gebunden. Anschließend wirken sie nach, „bis sie
durch eine andere Abmachung ersetzt werden“. Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung,
die untertarifliche Abreden enthält und bereits im Stadium der Nachbindung
gelten soll, ist grundsätzlich bereits nach ihrem Regelungswillen keine „andere Abmachung“
im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG.
Für das Arbeitsverhältnis des Klägers galt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der
einschlägige Gemeinsame Manteltarifvertrag der Metallindustrie (GMTV). Die Beklagte
trat im September 2004 aus dem tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverband
aus. Im Februar 2005 vereinbarte sie ua. mit dem Kläger abweichend vom
GMTV die stundenweise Anhebung der regelmäßigen Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich.
Im Juli 2005 schlossen die Tarifvertragsparteien des ungekündigten GMTV,
ohne diesen zuvor gekündigt zu haben, einen neuen Manteltarifvertrag (MTV), der ab
dem 1. Januar 2006 gelten sollte. Die unmittelbare und zwingende Wirkung des MTV
anstelle des GMTV ist ab dem betrieblichen Einführungsstichtag des tariflichen Entgeltrahmenabkommens
(ERA) vorgesehen, spätestens aber zum 31. Dezember
2008. Das ERA konnte ab dem 1. Januar 2006 auf freiwilliger Basis eingeführt
werden. Zum 1. Oktober 2007 schloss die Beklagte mit der IG Metall, die auch den
GMTV und den MTV vereinbart hatte, einen Firmentarifvertrag, der im Wesentlichen
die zuvor einzelvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen unterhalb des Niveaus
des GMTV zum Gegenstand hat.
Die Revision der Beklagten blieb vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts
insoweit erfolglos, als sie sich gegen das vorinstanzlich erfolgreiche Begehren des
Klägers richtete, trotz der vertraglichen Abrede vom Februar 2005 seien für ihn die
Arbeitszeitregelungen des GMTV jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Firmentarifvertrags
maßgebend. Der GMTV galt nach dem Verbandsaustritt der Beklagten bis zu
dessen Beendigung für die Parteien unmittelbar und zwingend und verdrängte die
arbeitsvertragliche Vereinbarung vom Februar 2005, die auch unter Berücksichtigung
des darin vorgesehenen Schutzes gegen betriebsbedingte Kündigungen keine nach
§ 4 Abs. 3 TVG günstigere Abmachung war. Entgegen der Auffassung der Beklagten
endete die Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG weder mit dem auf den Verbandsaustritt
folgenden nächstmöglichen Kündigungstermin des GMTV noch in Anlehnung an
die Frist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein Jahr nach dem Ende der Verbandsmitgliedschaft. Gegen die von § 3 Abs. 3 TVG ohne zeitliche Beschränkung angeordnete
Nachbindung bestehen auch unter dem Gesichtspunkt der negativen
Koalitionsfreiheit keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Allerdings
endete der GMTV im Sinne des § 3 Abs. 3 TVG nicht erst mit Ablauf des
31. Dezember 2008. Bereits ab dem 1. Januar 2006 galt der GMTV für die verbandsangehörigen
Arbeitgeber nicht mehr zwingend. Durch die mögliche Einführung
des ERA konnten sie den GMTV ab diesem Zeitpunkt durch den MTV ablösen. Im
Arbeitsverhältnis der Parteien wirkte damit ab dem 1. Januar 2006 der GMTV nach.
Die Vereinbarung vom Februar 2005 war keine die Nachwirkung beendende andere
Abmachung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG. Insoweit bestätigte der Vierte Senat seine
ständige Rechtsprechung (Senat, Urteil vom 20. Mai 2009 – 4 AZR 230/08 –
Pressemitteilung Nr. 48/09).
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Juli 2009 - 4 AZR 261/08 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Saarland, Urteil vom 9. Januar 2009 - 2 Sa 78/07 -