BGH: Klarstellung zum Vertrauensschutz hinsichtlich der Haftung des einer BGB-Gesellschaft beitretenden Gesellschafters für Altverbindlichkeiten: Keine Anwendung auf Lieferungen aus Versorgungsverträgen

19.12.2005

Bundesgerichtshof

Der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat hatte mit Urteil

vom 7. April 2003 – II ZR 56/02 - (Pressemitteilung 49/2003), insofern in

Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung, entschieden, dass ein neu in

die Gesellschaft bürgerli-chen Rechts eingetretener Gesellschafter nach §

130 HGB persönlich, d.h. mit sei-nem Privatvermögen, neben den

Altgesellschaftern für bereits begründete Verbind-lichkeiten der

Gesellschaft haftet. Aus Gründen des Vertrauensschutzes hat der Se-nat in

dem seinerzeit zu entscheidenden Fall – es ging um einen Junganwalt, der für

die Rückzahlung von vor seinem Beitritt eingezahlten Honorarvorschüssen

haften sollte - die Haftung des Neugesellschafters gleichwohl abgelehnt und

ausgespro-chen, dass die Grundsätze über die persönliche Haftung des

Neugesellschafters erst auf künftige Beitrittsfälle Anwendung finden

sollten. Auf diesen Vertrauensschutz beruft sich der Beklagte in einem

Verfahren, in dem der II. Zivilsenat heute sein Urteil verkündet hat.

Das klagende städtische Gasversorgungsunternehmen hatte Ende 2000/Anfang

2001 aufgrund von Lieferverträgen, die nach dem der Entscheidung zugrunde zu

legenden Vortrag des Beklagten im Jahre 1999 geschlossen worden waren, Gas

für zwei Mietshäuser geliefert, die im Eigentum einer Gesellschaft

bürgerlichen Rechts stehen, deren Mitgesellschafter der Beklagte bis Ende

1998 gewesen war und der er dann wieder ab Januar 2000, also auch zur Zeit

der Gaslieferungen, angehörte. Sei-ne Inanspruchnahme als Gesellschafter für

die Gaslieferungen hat der Beklagte un-ter Hinweis auf die oben genannte

Senatsentscheidung abgelehnt.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die

dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Der

II. Zivilsenat hat das Berufungsurteil bestätigt. Dabei hat der Senat in

Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und

der ganz herrschenden An-sicht im Schrifttum angenommen, dass bei

Sukzessivlieferungsverträgen wie dem vorliegenden Versorgungsvertrag die

durch die Einzellieferungen ausgelösten Ver-bindlichkeiten bereits in dem

Moment begründet sind, in dem der Versorgungsver-trag abgeschlossen wird.

Durch die Einzellieferungen entstehen nicht jeweils „neue“

Verbindlichkeiten. Deshalb handelt es sich bei den eingeklagten Forderungen

für die aufgrund des Vertrages aus dem Jahr 1999 in 2000/2001 erbrachten

Lieferungen um bei Eintritt des Beklagten bereits begründete

Verbindlichkeiten gemäß § 130 HGB (sog. Altverbindlichkeiten). Deswegen

stellt sich hier das Problem, ob sich der Beklagte darauf berufen kann, ihm

sei als neu beigetretenem Gesellschafter Ver-trauensschutz gegenüber der

Haftung für Altverbindlichkeiten der Gesellschaft zu gewähren. Der Beklagte,

einige Instanzgerichte sowie Stimmen in der Literatur ha-ben die

Ausführungen des Senats in dem genannten Urteil dahin missverstanden, dass

bei Altverbindlichkeiten schlechthin Vertrauensschutz zu gewähren ist, weil

sie diese Aussagen isoliert betrachtet und den Fall ausgeblendet haben, zu

dem sie veranlasst waren. Demgegenüber hat der II. Zivilsenat in der heute

verkündeten Ent-scheidung klargestellt, dass ein Neugesellschafter sich

nicht generell auf Vertrau-ensschutz gegenüber Altverbindlichkeiten einer

BGB-Gesellschaft berufen kann, wenn er dieser vor der Publikation des

Urteils vom 7. April 2003 beigetreten ist. Er-forderlich ist vielmehr in

jedem Einzelfall eine Abwägung dahin, ob im Interesse des Vertrauens des

Beitretenden der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, dass ein bei-tretender

Gesellschafter für die Altverbindlichkeiten nicht nach § 130 HGB (analog)

haftet, gegenüber der materiellen Rechtslage Vorrang hat. Weiß der

Neugesell-schafter bei seinem Beitritt vom Vorhandensein von

Altverbindlichkeiten oder hätte er hiervon bei auch nur geringer

Aufmerksamkeit Kenntnis erlangen können, ist die Gewährung von

Vertrauensschutz nicht gerechtfertigt. Das gilt erst Recht, wenn sich dem

Beitretenden das Bestehen von Altverbindlichkeiten aufdrängen muss, weil

sie – etwas aufgrund von Sonderabnehmerverträgen über die Belieferung von

Gas für Mietshäuser – typischerweise vorhanden sind. Deswegen ist der

Beklagte hier nicht schutzwürdig und haftet der Klägerin für die Bezahlung

der Gaslieferungen. Das

Urteil vom 12. Dezember 2005 – II ZR 283/03

 

Landgericht Wuppertal – Entscheidung vom 20. Dezember 2002 – 2 O 438/01

 

Oberlandesgericht Düsseldorf – Entscheidung vom 15. August 2003 – 22 U 16/03

Karlsruhe, den 12. Dezember 2005

Bundesgerichtshof

 

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