BUNDESVERFASSUNGSGERICHT: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Ersetzung der Einwilligung des leiblichen Vaters in Stiefkindadoption

19.12.2005

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

Die Verfassungsbeschwerde des leiblichen Vaters eines nichtehelich geborenen Kindes gegen dessen

Adoption durch den Ehemann der Kindesmutter war erfolgreich. Die 1. Kammer des Ersten Senats hob

die angegriffenen Entscheidungen, mit denen die Einwilligung des leiblichen Vaters in die Adoption ersetzt

worden war, auf. Sie genügten nicht den – auf dem Gleichheitssatz gründenden – verfassungsrechtlichen

Anforderungen einer umfassenden Interessenabwägung zwischen den Interessen des Kindes und

denen des Vaters.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Grundsätzlich ist zur Adoption eines Kindes die Einwilligung beider Elternteile nötig. In bestimmten Ausnahmefällen

ermöglicht das Gesetz die Adoption des Kindes aber auch gegen den Willen eines Elternteils.

Bei einem besonders schweren, vollständigen Versagen eines Elternteils in seiner Verantwortung

gegenüber dem Kind kann die Einwilligung dieses Elternteils durch das Vormundschaftsgericht ersetzt

werden. Für nichteheliche Väter, die die elterliche Sorge weder innehaben noch inne gehabt haben, enthält

§ 1748 Abs. 4 BGB eine besondere Regelung. Danach ist die Einwilligung bereits dann zu ersetzen,

wenn das Unterbleiben der Adoption dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde.

Der Beschwerdeführer ist Vater eines im Januar 1987 nichtehelich geborenen Sohnes. Er erkannte die

Vaterschaft gleich nach der Geburt an. Zu dieser Zeit lebte er mit der Mutter des Kindes zusammen.

1989 trennte sich die Mutter von ihm und heiratete im Sommer 1990 ihren jetzigen Ehemann. Der letzte

von der Kindesmutter gebilligte Kontakt des Beschwerdeführers mit seinem Sohn fand im Mai 1990

statt. Weitere Besuche wurden von der Mutter unterbunden. Nachdem der Ehemann der Kindesmutter

die Adoption des Kindes beantragt hatte, ersetzte das Amtsgericht im Januar 2001 auf der Grundlage

von § 1748 Abs. 4 BGB die Zustimmung des Beschwerdeführers in die Adoption. Rechtsmittel des

Beschwerdeführers wurden vom Landgericht und Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die gegen die

fachgerichtlichen Entscheidungen erhobene Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Nach § 1748 Abs. 4 BGB kann die Einwilligung eines zu keinem Zeitpunkt sorgeberechtigt gewesenen

Vaters eines nichtehelich geborenen Kindes unter leichteren Voraussetzungen ersetzt werden, als dies

bei den übrigen Vätern der Fall ist. Gleichwohl ist die Regelung mit dem Gleichheitssatz vereinbar, da die

Norm einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist, die eine Ungleichbehandlung verhindern

kann. Wie schon der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 23. März 2005 festgestellt hat, erfordert

die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung der Interessen von Vater und Kind, bei der Entscheidung

über eine beantragte Adoption nur dann von einem „unverhältnismäßigen Nachteil“ i.S. des §

1748 Abs. 4 BGB auszugehen, wenn die Adoption für das Kind einen so erheblichen Vorteil hat, dass

ein sich verständig um das Kind sorgender Elternteil auf der Erhaltung des Verwandtschaftsbandes nicht

bestehen würde. Der Bundesgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass auf Seiten des Vaters unter anderem

zu erwägen sein werde, ob ein gelebtes Vater-Kind-Verhältnis bestehe oder bestanden habe oder

welche Gründe den Vater am Aufbau oder an der Aufrechterhaltung eines solchen Verhältnisses gehindert

hätten. Der Sache nach hat der Bundesgerichtshof insoweit geklärt, dass § 1748 Abs. 4 BGB (ebenso

wie dies in den übrigen Fällen der Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils erforderlich ist) eine

Berücksichtigung des Vorverhaltens des Vaters verlangt. Damit hat der Bundesgerichtshof dem verfassungsrechtlichen

Erfordernis einer Abwägung zwischen den Interessen des Kindes und denen des Vaters

Rechnung getragen. Auf diese Weise wird eine wesentliche Ungleichbehandlung von nichtsorgeberechtigten

nichtehelichen Vätern und den übrigen Vätergruppen vermieden.

Die vom Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen genügen nicht diesen durch den Gleichheitssatz

gebotenen Auslegungsmaßstäben. Die Fachgerichte haben im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen

Abwägung der Interessen des Kindes mit denen des Beschwerdeführers die grundrechtlich geschützten

Interessen des Beschwerdeführers nicht angemessen gewürdigt. Sie haben sich auf die Feststellung beschränkt, dass zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kind seit elf Jahren faktisch keine

Vater-Kind-Beziehung mehr bestehe. Nicht berücksichtigt wurde, dass der Beschwerdeführer zumindest

einige Zeit mit dem Kind zusammengelebt und seine Elternverantwortlichkeit wahrgenommen hat. Die

verfassungsrechtlich gebotene Prüfung, welche Gründe den Vater an der Aufrechterhaltung eines gelebten

Vater-Kind-Verhältnisses gehindert haben, haben die Gerichte ersichtlich nicht vorgenommen.

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