BVerfG: Kein Halbteilungsgrundsatz als Belastungsobergrenze bei der Einkommen- und Gewerbesteuer

16.03.2006

Bundesverfassungsgericht

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Gewerbebetriebs. Er wurde im Jahr 1994 zusammen mit seiner

Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von

622.878 DM setzte das Finanzamt die Einkommensteuer auf 260.262 DM fest. Die von der Gemeinde

festgesetzte Gewerbesteuerschuld des Beschwerdeführers belief sich auf 112.836 DM. Gegen den Einkommensteuerbescheid

1994 legten die Eheleute erfolglos Einspruch ein, mit dem sie rügten, die Einkommen-

und Gewerbesteuer verstoße gegen den vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts

mit Beschluss vom 22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 121) ausgesprochenen „Halbteilungsgrundsatz“, da die

Gesamtbelastung des Einkommens mit Steuern über 50 v. H. liege. Die Klage, mit der sie sinngemäß

beantragten, die Einkommensteuer auf 187.731 DM herabzusetzen, blieb vor dem Finanzgericht und

dem Bundesfinanzhof ohne Erfolg. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Zweiten

Senat des Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Der Bundesfinanzhof hat zutreffend angenommen, dass sich dem Beschluss des Zweiten Senats des

Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 keine verbindliche verfassungsrechtliche Obergrenze

für die Gesamtbelastung mit der Einkommen- und Gewerbesteuer entnehmen lässt. Der Beschluss

hat keine verfassungsrechtliche Obergrenze für die Gesamtbelastung mit der Einkommen- und Gewerbesteuer

zum Gegenstand. Vielmehr ging es allein um die Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens

durch eine Vermögensteuer, die neben der Einkommensteuer erhoben wird. Die daraus entstehende

Belastungswirkung ist nicht ohne weiteres mit der Belastungswirkung vergleichbar, die

durch die Einkommen- und Gewerbesteuer entsteht.

2. Die Gesamtbelastung durch Einkommen- und Gewerbesteuer verletzt den Beschwerdeführer nicht in

seinem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG.

Zwar fällt die Steuerbelastung in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Der innerhalb einer Besteuerungsperiode

erfolgte Hinzuerwerb von Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist tatbestandliche

Voraussetzung für die belastende Rechtsfolgenanordnung sowohl des Einkommen- als auch des

Gewerbesteuergesetzes. Der Steuerpflichtige muss zahlen, weil und soweit seine Leistungsfähigkeit

durch den Erwerb von Eigentum erhöht ist.

Der Zugriff auf das Eigentum ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Aus dem Eigentumsgrundrecht lässt sich keine allgemein verbindliche, absolute Belastungsobergrenze

in der Nähe einer hälftigen Teilung („Halbteilungsgrundsatz“) ableiten. Der Wortlaut des Art. 14

Abs. 2 Satz 2 GG („Der Gebrauch des Eigentums soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“)

kann nicht als ein striktes, grundsätzlich unabhängig von Zeit und Situation geltendes Gebot

hälftiger Teilung zwischen Eigentümer und Staat gedeutet werden. Vielmehr wird die Gestaltungsfreiheit

des Gesetzgebers auch bei der Schrankenbestimmung durch Auferlegung von Steuerlasten durch

die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Dabei ist wesentlich zu berücksichtigen,

dass die zu bewertende Intensität der Steuerbelastung insbesondere bei der Einkommensteuer

nicht allein durch die Höhe des Steuersatzes bestimmt wird, sondern erst durch die Relation zwischen

Steuersatz und Bemessungsgrundlage. Je breiter die Bemessungsgrundlage ausgestaltet ist,

etwa durch Abschaffung steuerlicher Verschonungssubventionen oder Kürzung von Abzügen, desto

belastender wirkt sich derselbe Steuersatz für die Steuerpflichtigen aus. Ferner ist zu bedenken, dass

die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich zur Versteuerung niedrigerer Einkommen angemessen

auszugestalten ist. Wählt der Gesetzgeber einen progressiven Tarifverlauf, ist es grundsätzlich

nicht zu beanstanden, hohe Einkommen auch hoch zu belasten, soweit beim betroffenen Steuerpflichtigen

nach Abzug der Steuerbelastung ein hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die

Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht. Auch wenn dem Übermaßverbot keine zahlenmäßig

zu konkretisierende allgemeine Obergrenze der Besteuerung entnommen werden kann, darf allerdings

die steuerliche Belastung auch höherer Einkommen für den Regelfall nicht so weit gehen,

dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen

zum Ausdruck kommt.

Für den Streitfall ist nicht erkennbar, dass eine verfassungsrechtliche Obergrenze zumutbarer Belastung

durch Einkommen- und Gewerbesteuer erreicht wäre. Das Einkommen- und Gewerbesteuerrecht

ist auch für hohe Einkommen gegenwärtig nicht so ausgestaltet, dass eine übermäßige Steuerbelastung

und damit eine Verletzung der Eigentumsgarantie festgestellt werden könnte.

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