BVerfG: Vorlage des Bundesfinanzhofs zur „Mindestbesteuerung“ nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 unzulässig

04.11.2010

Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer nur solche Einkünfte, die sich einer der dort aufgeführten sieben Einkunftsarten zuordnen lassen. Für die Besteuerung ist nach § 2 Abs. 3 EStG die „Summe der Einkünfte“ maßgeblich, das heißt, positive und negative Ergebnisse sind zu saldieren (periodeninterner Verlustausgleich). Soweit die negativen Einkünfte die positiven Einkünfte im jeweiligen Veranlagungszeitraum übersteigen, werden die übrigen Verluste nach § 10d EStG in anderen Veranlagungszeiträumen zum Abzug gebracht (periodenübergreifender Verlustausgleich).

In den neunziger Jahren war ein erheblicher Rückgang des Aufkommens aus veranlagter Einkommensteuer von 41,5 Milliarden DM im Jahr 1992 auf 11,6 Milliarden DM im Jahr 1996 und 5,8 Milliarden DM im Jahr 1997 zu verzeichnen, während das Lohnsteueraufkommen im gleichen Zeitraum nahezu unverändert blieb (247,3 Milliarden DM im Jahr 1992 und 248,7 Milliarden DM im Jahr 1997). Dies wurde insbesondere auf die Inanspruchnahme steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch gut verdienende Steuerpflichtige zurückgeführt.

Um dem entgegenzuwirken, führte der Gesetzgeber im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 eine allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkung ein. Danach konnte das positive Einkommen, soweit es 100.000 DM überstieg, nur noch zur Hälfte durch gegenläufige Verluste gemindert werden, so dass zumindest die Hälfte des 100.000 DM übersteigenden Betrags der Besteuerung unterlag (sog. Mindestbesteuerung). Danach nicht verrechnete Verluste blieben nach § 2 Abs. 3 EStG n.F. im Jahr ihrer Entstehung unberücksichtigt, konnten aber - nach § 10d EStG n.F. ebenfalls entsprechend begrenzt - in anderen Veranlagungszeiträumen ausgeglichen werden. Der Verlustausgleich war allerdings nur für den Fall beschränkt, dass die Verluste in einer anderen Einkunftsart angefallen waren als die positiven Einkünfte. Innerhalb derselben Einkunftsart war die Verlustverrechnung weiterhin uneingeschränkt möglich. Im Einzelnen führte dies zu einem komplexen Rechenweg, der viele, zum Teil sich wiederholende Einzelschritte umfasste. Mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 wurde diese Regelung mit der Begründung wieder abgeschafft, sie habe sich in der Praxis als schwer handhabbar erwiesen.

Die Vorlage des Bundesfinanzhofs betrifft den Veranlagungszeitraum 1999, in dem die Kläger des Ausgangsverfahrens - zusammen veranlagte Ehegatten - nach dem zuletzt während des Revisionsverfahrens geänderten Steuerbescheid insgesamt positive Einkünfte vorwiegend aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) in Höhe von knapp 1,8 Millionen DM erzielt hatten. Diesen standen Verluste des Ehemanns aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) in Höhe von knapp 1,3 Millionen DM gegenüber, wovon das Finanzamt jedoch in Anwendung von § 2 Abs. 3, § 10d EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 nur knapp 1 Million DM als abzugsfähig anerkannte. Die erhobene Klage führte zur Vorlage durch den Bundesfinanzhof, der die Regelungen über die „Mindestbesteuerung“ in § 2 Abs. 3, § 10d EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 aufgrund ihrer Komplexität und schweren Verständlichkeit wegen fehlender Normenklarheit für verfassungswidrig hält. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Vorlage unzulässig ist.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Ein Gericht kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift nach Art. 100 Abs. 1 GG nur einholen, wenn es ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat. Das setzt voraus, dass sich das Gericht mit der zur Prüfung gestellten Norm im Einzelnen auseinandersetzt, die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Auffassungen berücksichtigt und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingeht. Die verschiedenen Auffassungen zu den denkbaren Auslegungsmöglichkeiten des einfachen Rechts sind mit Blick auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt darzulegen, zu erörtern und verfassungsrechtlich zu würdigen. Geht es dabei um die Anforderungen an hinreichende Bestimmtheit und Klarheit der Norm, so hat das vorlegende Gericht insbesondere auch zu begründen, inwiefern eine Entscheidung für eine der dargelegten Auslegungsmöglichkeiten den Rahmen der Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane sprengen würde, Zweifelsfragen zu klären und Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu bewältigen.

Dem wird der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs nicht gerecht. Der einfachrechtliche Gehalt des § 2 Abs. 3 und des § 10d EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 und die entsprechenden Erörterungen im Schrifttum werden nicht hinreichend aufbereitet.

Vergleichsweise ausführlich befasst sich der Vorlagebeschluss mit den Regelungen zur Einschränkung des individuellen Verlustausgleichs, ohne aber aufzuzeigen, dass diese für sich gesehen besondere Verständnisschwierigkeiten bereiten. Soweit der Bundesfinanzhof in diesem Zusammenhang Bedenken gegen einzelne Begriffe formuliert, handelt es sich um lediglich stilistische Mängel, die nicht ohne weiteres zur Unklarheit über den Inhalt dieser Begriffe führen. Zu den erheblichen Klarheitsproblemen der Vorschriften über den ehegattenübergreifenden Verlustausgleich sowie der Verweisungen auf diese Vorschriften im Rahmen des Verlustvortrags und Verlustrücktrags aus anderen Veranlagungszeiträumen beschreibt der Vorlagebeschluss Aspekte der Komplexität jedoch im Wesentlichen nur allgemein auf einer abstrakten Ebene. Obwohl die Vorschriften - wie die Erörterungen im Schrifttum zeigen - einer systematischen Aufbereitung zugänglich sind, fehlt es an einem Versuch, deren Regelungsgehalt konkret zu erschließen. Diejenigen Stimmen, die die Normen für insgesamt auslegungsfähig und daher verfassungsgemäß halten und insofern auch konkrete, in sich schlüssig zu nennende Vorschläge unterbreitet haben, bleiben unberücksichtigt. Insgesamt geht der Vorlagebeschluss auf die - im Wege der Auslegung durchaus zu ermittelnde - rechensystematische Grundstruktur nicht in der gebotenen Weise ein, obwohl erst auf dieser Grundlage eine sachgerechte Prüfung der Klarheitsproblematik möglich ist. Zwar bezeichnet er mit der unübersichtlichen Verweisungstechnik und der Vielzahl der durchzuführenden Rechenschritte weitere Gesichtspunkte, die im Hinblick auf die Problematik der Normenklarheit von Bedeutung sein können. Die systematische Aufbereitung des einfachen Rechts in Auseinandersetzung mit den im Schrifttum vertretenen Auslegungen wird dadurch aber nicht ersetzt.

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