Trotz Nichtannahme erfolgreiche Verfassungsbeschwerden – Verpflichtung der Fachgerichte zur Belehrung über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung

12.10.2005

Bundesverfassungsgericht

Die Beschwerdeführer sind Strafgefangene. Ihre getrennt voneinander eingelegten Verfassungsbeschwerden

wurden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden. Im fachgerichtlichen Verfahren hatten sie

jeweils eine Rechtsbeschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die für die Aufnahme

zuständigen Rechtspfleger hatten die Niederschriften mit einer beigefügten privatschriftlichen Begründung

des jeweiligen Beschwerdeführers an das jeweils zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet. Die Oberlandesgerichte

verwarfen die Rechtsbeschwerden als unzulässig, weil der Rechtspfleger gestaltend an der

Abfassung der Rechtsmittelschrift mitwirken und für deren Inhalt selbst die Verantwortung übernehmen

müsse. Ein in der Niederschrift enthaltener Hinweis auf die dem Protokoll als Anlage beigefügte privatschriftliche

Begründung des Beschwerdeführers reiche dafür nicht aus. Eine Wiedereinsetzung von Amts

wegen komme nicht in Betracht.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundrechts auf

ein faires Verfahren. Eine fehlerhafte Aufnahme ihrer Rechtsbeschwerde durch den Rechtspfleger dürfe

nicht ihnen zur Last gelegt werden. Die 1. Kammer des Zweiten Senats nahm die Verfassungsbeschwerden

zwar nicht zur Entscheidung an. Aus der Begründung der Nichtannahmeentscheidung ergibt sich

jedoch, dass die Gerichte in Fällen wie den vorliegenden einem Rechtsuchenden den Weg weisen müssen,

auf dem vermieden werden kann, dass er wegen eines auf Seiten der Justiz unterlaufenen Fehlers

einen Rechtsverlust erleidet:

Die Verfassungsbeschwerde sei nicht zur Entscheidung anzunehmen, da der Rechtsweg noch nicht erschöpft

sei. Da eine durch Fehler der aufnehmenden Justizbediensteten bedingte Unzulässigkeit der

Rechtsbeschwerde nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers, sondern auf einem Fehler der

Justiz beruhe, hätten die Beschwerdeführer die Möglichkeit, zunächst bei den Fachgerichten Wiedereinsetzung

in den vorigen Stand zu beantragen. Eine Wiedereinsetzung scheide hier nicht wegen Fristablaufs aus.

Jedenfalls dann, wenn der Wiedereinsetzungsgrund, wie hier, in einem den Gerichten zuzurechnenden

Fehler liege, fordere der Grundsatz fairer Verfahrensführung eine ausdrückliche Belehrung des Betroffenen

über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung. Ohne eine solche Belehrung, die hier bislang unterblieben

sei, beginne die Wiedereinsetzungsfrist nicht zu laufen. Daher könnten die Beschwerdeführer

innerhalb einer Woche ab Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts durch eine von

einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle bei dem jeweils

zuständigen Landgericht erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem sie gleichzeitig Wiedereinsetzung in

den vorigen Stand beantragen.

Beschluss vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 BvR 907/04 –

 

Karlsruhe, den 12. Oktober 2005

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