Eberhard Ahr Rechtsanwalt: Durch die Finanzkrise Geld mit Zertifikaten verloren

26.06.2009

Eberhard Ahr Rechtsanwalt

Nicht nur Lehman-Anleger betroffen, vor allen Dingen Inhaber von Bonus-Zertifikaten verlieren ebenfalls Möglichkeiten zum Schadensausgleich

Im Jahre 2000 stand der DAX bei 8.000 Punkten. Dann platzte der „neue Markt“ mit seinen Internetaktien und Technologiefonds. Vor allen Dingen Anleger, die ihr Geld in solche Investments gesteckt hatten verloren viel. Der DAX rutschte innerhalb von drei Jahren auf ungefähr 2.500 Punkte ab.

2007 stand der DAX wieder bei 8.000 Punkten und erlebte ab Anfang 2008 ausgelöst durch die allgemeine Finanzkrise und durch die Pleite der Lehman-Brothers Bank einen ähnlichen Absturz innerhalb eines Jahres bis auf unter 4.000 Punkte. Diesmal waren nicht nur Aktien- oder Aktienfondsanleger betroffen, sondern zusätzlich vor allen Dingen Wertpapierkunden, die auf Zertifikate gesetzt hatten.

Zertifikate in den letzten Jahren nur zunächst erfolgreich

Diese Produktkategorie war als Reaktion auf das gesunkene Vertrauen der Kunden in die Aktienmärkte als sicherere Alternative aufgebaut worden. Nach einer Meldung des Handelsblatts vom 23.06.2009 hatten deutsche Anleger fast 140 Mrd. Euro in Zertifikaten investiert. Zertifikate waren damit zur zweitwichtigsten Wertpapierklasse aufgestiegen. Durch die Finanzmarktkrise war das Marktvolumen von Zertifikaten allerdings auf weniger als 80 Mrd. Euro geschrumpft. Diese Krise hat Anbietern und Kunden also deutlich vor Augen geführt, dass diese Produkte eben keine sicheren Alternativen sind.

Auch Zertifikate nicht sicherer als andere Risikoanlagen

Anleger der Lehman-Brothers Bank, einem der größten Anbieter von Zertifikaten im deutschen Markt, waren besonders betroffen. Dadurch dass diese Bank im September 2009 Insolvenz anmelden musste, wurde diesen Anlegern und der Öffentlichkeit plötzlich klar sichtbar, dass auch eine angesehene Bank als Emittentin keine 100%ige Sicherheit garantieren und bei Zertifikaten deshalb ein Totalverlust nicht ausgeschlossen werden kann.

Aber auch ohne Pleite der jeweiligen Emittenten haben Anleger in Zertifikate, die von anderen Banken herausgegeben worden waren, durch die Finanzkrise ebenfalls hohe Verluste erlitten. Dies wird besonders deutlich bei den sog. Bonus-Zertifikaten. Gerade diese Produktkategorie wurde von den Vermittler-Banken als sicherere Alternative zu Investmentpapieren angeboten, ja sogar, was die Sicherheit angeht, zuweilen Festgeld- und Spareinlagen gleich gestellt. Versprachen sie doch feste Mindestgewinne, so lange der Kurs nicht unter ein bestimmtes Niveau fällt (Schutzbarriere). Das passiere jedoch so gut wie nie, war die Devise. Dann kam der Einbruch und insbesondere Bonuszertifikate waren dafür gar nicht gedacht. Sie verloren auf einen Rutsch 30 %, 40 % oder gar 50 %. Deshalb hätten sie eigentlich gleich als spekulative Anlagen, vielleicht mit „gebremsten Schaum“, charakterisiert werden müssen.

Vor allem Bonuszertifikate brechen ein

Nach der oben schon zitierten Meldung des Handelsblatts vom 23.06.2009 haben in den vergangen Monaten 9 von 10 Bonus-Zertifikaten die in ihr enthaltene Schutzbarriere gerissen. Die angeblich so sicheren Gewinne schwanden. Die Anleger verloren wie die Lehman-Opfer zwar nicht ihr gesamtes Anlagekapital. Der Kurs ihrer Zertifikate dürfte jedoch im Moment bei nur noch 40%-50% des Ursprungskapitals liegen. Die Hoffnung auf einen Ausgleich des eingetretenen Schadens durch erneute Kursanstiege ist nur gering, zumal eine Reihe der Papiere demnächst auslaufen dürften und die Anleger sich dann mit dem jeweiligen Kurswert zufrieden geben müssen.

Anleger in der Regel über Zertifikate nicht richtig aufgeklärt

Viele dieser Verluste wären zu vermeiden gewesen, wenn die Anleger vor dem Kauf richtig darüber aufgeklärt worden wären, was Zertifikate überhaupt sind und welche Risiken darin liegen. Jetzt anlaufende Prozesse, bei denen es um oben beschriebene Schäden geht, viele Erfahrungsberichte von betroffenen Anlegern und eine große Anzahl von Medienveröffentlichungen zeigen, dass es die „Beraterbanken“ in Deutschland in den letzten Jahren damit nicht so genau genommen haben. Der von Anlegeranwälten und von Wertpapierschutzgemeinschaften beklagte oft fehlende gesetzliche Anlegerschutz in Deutschland dürfte diese Tendenz verstärkt haben, weil es schwer ist, die Verantwortlichen für Falschberatungen dafür juristisch auch zur Rechenschaft zu ziehen.

Mangelnder Anlegerschutz mitverantwortlich

Also hat nicht nur die Finanzmarktkrise die jetzt eingetretenen Verluste bei Anlegerzertifikaten hervorgerufen. Zwar war diese wohl der wirtschaftliche Hintergrund. Eine weitere wesentliche Ursache ist auch im mangelnden rechtlichen Anlegerschutz in Deutschland zu sehen. Das Problem liegt vor allem darin, dass der Anleger darlegen und beweisen muss, dass er über den Charakter und die Risiken bei den von ihm gekauften Zertifikaten nicht, nicht richtig oder nicht vollständig aufgeklärt wurde. Dass er im Gegensatz zu der Beraterbank oft dafür keine Zeugen hat, erschwert für ihn die Beweisführung zusätzlich.

Während er unter der Erwartung stand, durch eine gute Beratung eine sichere Anlage zu bekommen, herrschte auf Seiten des Beraters oft ein großer Verkaufsdruck. Viele Berichte von ehemaligen Bankmitarbeitern bestätigen dies. Das „verführt“ zu mangelnder Sorgfalt. Man konnte ja auch darauf vertrauen, nicht oder nur schwer zur Verantwortung gezogen zu werden. Dazu kommt, dass die Gefahr schnell vorüber ist; denn solche Ansprüche verjähren schon in drei Jahren ab Erwerb der Papiere. Die Empfehlung vieler Banken, Kursverluste auszusitzen, führt deshalb dazu, dass viele Anleger ihre Ansprüche nach drei Jahren verlieren, weil sie im Vertrauen auf diese Empfehlung weder verkaufen noch ihre Ansprüche geltend machen. So werden viele Anleger erst um ihr Vermögen und danach um ihre Ersatzansprüche gebracht.

Verbesserungen in Sicht

Erst diese Erfahrungen, dass zum einen die Finanzmarktkrise, zum anderen aber auch mangelnder Anlegerschutz vielen Verbrauchern hohe Verluste bei ihren Geldanlagen beschert haben, haben dazu geführt, dass die Bundesregierung jetzt den Anlegerschutz verbessern will. So entfällt die strikte dreijährige Verjährungsfrist. Die Beweisführung soll geschädigten Anlegern jetzt dadurch erleichtert werden, dass ein verpflichtendes Beratungsprotokoll geführt wird.

Beratungsverschulden: Was kann man tun?

Dies nutzt nur zukünftigen Anlegern. Was ist aber mit denen, die jetzt verloren haben? Für diese gibt es trotz der vergleichbar ungünstigeren Ausgangsposition einiges an rechtlichen Möglichkeiten. Dreh- und Angelpunkt in juristischer Hinsicht ist dafür das sogenannte Beratungsverschulden.

In der Regel wird vor einer Entscheidung für eine bestimmte Geldanlage der Kunde mit seinem Berater ein Beratungsgespräch führen. Dadurch kommt juristisch ein Anlageberatungsvertrag zustande, der den Bankberater verpflichtet, den Kunden anleger- und anlagegerecht zu beraten. D.h. er muss das Produkt, seine Eigenschaften und seine Vor- und Nachteile sowie seine Risiken erklären (anlagegerechte Beratung). Der Kundenberater hat aber auch die Anlageziele, die persönlichen Verhältnisse, die Anlageerfahrung und die Risikobereitschaft des Kunden zu ermitteln und danach seine Empfehlung auszurichten (anlegergerechte Beratung). Hier werden viele Fehler gemacht. Dies eröffnet juristisch in der Regel eine Fülle von Ansatzpunkten.

Was gilt bei Zertifikaten?

Gerade im Zusammenhang mit den Zertifikaten hat jetzt schon der Verlauf erster Prozesse in dieser Hinsicht gezeigt, dass es insbesondere wohl auf drei besonders hier gegebene aufklärungspflichtige Tatbestände ankommt.

Funktionsweise und Struktur erklären

Das eine ist die Erklärung der Funktionsweise der Zertifikate, die je nach dem, wie komplex das Produkt ist, unterschiedlich ausfallen kann. So ist diese Anforderung bei sog. Express-Zertifikaten natürlich höher, als beispielsweise bei den schon angesprochenen Bonus-, oder gar bei den einfacher gestrickten Index-Zertifikaten.

In diesen Zusammenhang gehört auch der unmissverständliche Hinweis des Beraters darauf, dass der Anleger z.B. bei Bonus-Zertifikaten auf eine bestimmte Index-Entwicklung setzt, innerhalb derer er einen guten Bonus verdienen kann. Wenn aber die Entwicklung ein bestimmtes Niveau unterschreitet, können die Verluste auch erheblich sein. Das heißt: Er muss den Index kennen, seine bisherige Entwicklung und die Bedingungen für seine mögliche zukünftige Entwicklung. Es ist die Pflicht des Beraters, ihm dazu zu verhelfen. Nur so kann er eine bewusste und für sich richtige Anlageentscheidung treffen.

Dies zeigt, dass sogar Bonus-Zertifikate als spekulative Papiere eingeordnet werden müssen, die für einen unerfahrenen und konservativ gestellten Anleger, aber auch für einen begrenzt risikobewussten Anleger, der nur zeitweise geringe Verluste in Kauf nehmen möchte, nicht geeignet sind.

Fehlende Einlagensicherung

Der zweite aufklärungspflichtige Punkt ist der Hinweis darauf, dass Zertifikate nicht der Einlagensicherung unterliegen, vielmehr auf Grund des sog. Emittentenrisikos auch ein Totalverlust eintreten kann. Diese Pflicht besteht umso stärker, je unerfahrener der Anleger ist und richtet sich auch danach, woher die nun in Zertifikaten angelegten Gelder gekommen sind. Kommen sie z. B. aus Spareinlagen, ist dieser Hinweis sicher Pflicht.

Versteckte Provisionszuflüsse offenlegen („Kick-Backs“)

Die dritte und wichtigste Aufklärungskategorie stützt sich aber auf eine bestimmte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den letzten Jahren. Es handelt sich um die Offenlegung sog. Kick-Backs, bzw. um die Offenlegung von Provisionsrückflüssen, allgemein gesprochen um die Offenlegung aller Art an Zuwendungen, die die Berater oder die Beraterbanken von den Emittenten der Zertifikate erhalten. Diese sind nämlich bei diesen Produkten im Vergleich zu anderen, etwa Aktienfonds, besonders „üppig“ gewesen. Aufgrund der besonderen Preisgestaltung bei Zertifikaten hatte der Emittent dafür besonders großen Spielraum. Sicher ist, dass versteckte Provisionen von 8% keine Seltenheit gewesen sind. Diese konnten auch in Form von Rabatten oder anderen Nachlässen gewährt werden.

Dazu hat der BGH im Jahre 2000 schon in Bezug auf eine Vermögensverwaltung entschieden, dass solche versteckten Vorteile offenzulegen sind. Im Dezember 2006 bezog er diese Offenlegungspflicht dann auf die Vermittlung von Investmentfonds, wenn aus den Ausgabeaufschlägen oder während der Laufzeit zu zahlenden Vergütungen etwas an den Berater zurückfloss. Weil die Branche diese Hinweise aber in den Folgejahren nicht besonders ernst nahm und weiter alles verschwieg, sah sich der BGH veranlasst, im Januar 2009 in fast scharfer Form darauf hinzuweisen, dass diese Offenlegungspflicht grundsätzlich gilt und bezog dies in dem entschiedenen Fall auf geschlossene Fonds.

Das gilt dann natürlich auch für Zertifikate. Die beratende Bank oder der Berater hat offenzulegen, was und wie viel er konkret an jedem einzelnen Vermittlungsgeschäft neben den offen ausgewiesenen Kosten noch verdient, sei es, dass es ihm aus dem Anlagekapital zurückfliest, sei es, dass ihm bestimmte Rabatte beim Einkauf gewährt werden oder sei es in Form von anderen Zuwendungen. Erst dann kann der Anleger eine Anlageentscheidung treffen. Er weiß dann, dass der Berater auch verdient und kann abwägen, ob dessen Empfehlung nicht auch davon geprägt ist.

LG Hamburg aktuell zu Zertifikaten

Das hat das Landgericht Hamburg in einer Entscheidung vom 23.06.2009 (Fall Krupsky) ganz aktuell entschieden. Konkret wurde die Hamburger Sparkasse zur Rückabwicklung verurteilt.

BGH sieht vorsätzliche Pflichtverletzung

Am gleichen Tag hat der Bundesgerichtshof in den schriftlichen Gründe zu einem von ihm bereits am 12.05.2009 (XI ZR 586/07) verkündeten Urteils vertreten, dass die Haftung wegen verschwiegener Provisionszahlungen für die Banken sich nun sogar noch zu verschärfen droht. Der Bundesgerichtshof geht in diesem Urteil ganz offenbar davon aus, dass eine Bank oder ein Bankberater seit der BGH-Entscheidung aus dem Jahre 2000 (siehe oben) sogar vorsätzlich gehandelt haben könnte, wenn die Bank oder der Bankberater in den Folgejahren die erhaltenen Zuwendungen nicht offengelegt haben. Der BGH sieht dann ein sog. Organisationsverschulden der Banken, weil seit 1997 eine entsprechende Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes existierte, wonach die Bank eigentlich verpflichtet gewesen wäre, ihre Anlageberater entsprechend anzuweisen, aber dies nicht getan hat (bedingter Vorsatz).

Der Bundesgerichtshof hält in diesem Urteil die Bank für verpflichtet zu beweisen, dass sie nicht vorsätzlich gehandelt hat und dass sie trotz Kenntnis der Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes und der veröffentlichten Rechtsprechung eine Aufklärungspflicht über Rückvergütungen nicht erkennen konnte. Dies dürfte der Bank allerdings schwerfallen.

Die besondere Bedeutung dieser Entscheidung liegt darin, dass nun zu der grundsätzlichen Aufklärungsverpflichtung zu Provisionsrückflüssen bei vorsätzlichem Handeln dazu kommt, dass dafür die strikte kurze dreijährige Verjährung nicht mehr gilt.

Gerade der letzte geschilderte Tatbestand gibt geschädigten Zertifikatsanlegern, die besonders bei Bonus-Zertifikaten erhebliche Vermögensverluste erlitten haben, grundsätzlich die sehr gute Chance, ihr Geld zurückzubekommen. In den wenigsten Fällen haben es nämlich die Banken auch in der jüngsten Vergangenheit nicht für nötig gehalten, vollständig und ordnungsgemäß darüber aufzuklären, was sie daran verdient haben.

Bremen, den 24.06.2009

gez: E. Ahr, Rechtsanwalt

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