FPS Fritze Paul Selig: EuGH erleichtert den Stromkunden geschlossener Netze die Anbieterwahl
FPS Fritze Paul Selig
Geschäftsinhaber und sonstige Gewerbetreibende,
die nicht unmittelbar an
Stromnetze der allgemeinen Versorgung
sondern an so genannte „Objektnetze“
(früher „Arealnetze“) angeschlossen
sind, konnten bisher in der Regel ihren
Stromlieferanten nicht frei wählen. Häufig
finden sich diese Konstellationen in
größeren Einkaufszentren, an Flughäfen
oder Bahnhöfen und bei gewerblichen
Immobilien auf ehemaligen Industriegeländen.
Grund dafür ist eine Regelung
im Energiewirtschaftsgesetz (§ 110 I Nr.
1 EnWG), mit der der Europäische Gerichtshof
(EuGH) sich jetzt zu befassen
hatte. Die Betreiber dieser „Objektnetze“
sind bislang nicht verpflichtet, jedem Interessenten
ihre Netze zu öffnen. Hiermit
bestand eine gravierende Ausnahme
von den ansonsten bestehenden Verpflichtungen,
Netze der leitungsgebundenen
Energieversorgung für den Wettbewerb
zu öffnen. Nun hat der EuGH
mit seinem Urteil vom 22.5.2008 die Zugangsmöglichkeiten
zu „Objektnetzen“
wesentlich erweitert.
Nach dieser Entscheidung steht die seit
der Novellierung des EnWG im Jahr
2005 geltende Vorschrift im Widerspruch
zu wesentlichen Grundsätzen
des europäischen Binnenmarkts. Solange
dem Betreiber die Netzöffnung nicht
unzumutbar ist, hat er – so der EuGH –
die freie Wahl des Lieferanten zu gewähren.
Die Rechtsfrage war dem
EuGH durch das OLG Dresden zur Vorabentscheidung
vorgelegt worden und
betraf das von der Regulierungsbehörde
als „Objektnetz“ anerkannte Stromnetz
auf dem Flughafen Leipzig/ Halle.
„Die Entscheidung wird weitreichende
Auswirkungen auf das Geschäftsmodell
„Objektnetz“ haben“, meint Rechtsanwalt
Christoph Germer, Energierechtsexperte
der Kanzlei FPS Fritze Paul
Seelig in Berlin. „Vielfach haben Immobilieneigentümer
derartige Netze an
Dritte verpachtet. Das rechnet sich aber
regelmäßig nur dann, wenn der Betreiber
gleichzeitig das Monopol zum
Stromverkauf erhält“. Nach Einschätzung
von Rechtsanwalt Werner Dorß,
Spezialist für Energiewirtschaftsrecht
bei FPS Fritze Paul Seelig in Frankfurt,
werden die Regulierungsbehörden künftig
bei Anträgen zur Feststellung der
Objektnetzeigenschaft zurückhaltender
agieren. Weiterhin, so Rechtsanwalt
Dorß, sei der Gesetzgeber gefragt. „Die
derzeitige Regelung im EnWG ist so
nicht länger haltbar, sie muss an die europäischen
Vorgaben angepasst werden.“
In der Praxis wird entscheidend sein,
welche Anforderungen an das Kriterium
„Zumutbarkeit der Netzöffnung“ zu stellen
sind. Rechtsanwalt Dorß weist im
Übrigen darauf hin, dass sich der EuGH
in seiner Entscheidung nur mit der
Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie auseinandergesetzt
hat und das Urteil somit
nicht unmittelbar für die Gasversorgung
gilt. Allerdings legt der weitgehend übereinstimmende
Wortlaut der Gasrichtlinie
eine parallele Auslegung nahe.
Betroffene Energieverbraucher in bestehenden
„Objektnetzen“ sollten Preisvergleiche
vornehmen und einen
Stromanbieterwechsel prüfen, wenn
sich dadurch ihre Energiekosten reduzieren lassen. Nach Auffassung der
Anwälte wird sich künftig eine Weigerung
des Objektnetzbetreibers sehr viel
schwieriger begründen lassen. Allerdings
sieht auch die EuGHEntscheidung
keine unbegrenzte Netzöffnung
vor, sodass in jedem Einzelfall
zu prüfen sein wird, ob für den Objektnetzbetreiber
der Zugang anderer
Stromlieferanten zumutbar ist.