BAG: Nichtigkeit eines Erlassvertrags zur Umgehung des Bestandsschutzes beim Betriebsübergang

17.09.2009

BGB § 613a Abs. 1 Satz 1, §§ 134, 307

Nichtigkeit eines Erlassvertrags zur Umgehung des Bestandsschutzes beim Betriebsübergang

BAG, Urt. v. 19. 3. 2009 – 8 AZR 722/07

Leitsatz des Gerichts:

Ein Erlassvertrag, der abgeschlossen wird, um die zwingenden gesetzlichen Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 BGB zu umgehen, ist nach § 134 BGB nichtig.

Tatbestand:

[1]  Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, an die Klägerin eine Rest-Zuwendung („Weihnachtsgeld“) für das Jahr 2003 sowie die Zuwendung und das Urlaubsgeld für das Jahr 2004 zu zahlen.

[2]  Der Beklagte betrieb u.a. Kindertagesstätten und ein Kinderheim. Die nicht tarifgebundene Klägerin wurde von ihm ab dem 20. Juli 1998 als Erzieherin im Kinderheim J. beschäftigt. Sie verdiente zuletzt 2.008,72 € brutto. Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 17. Juli 1998 sollte der Tarifvertrag über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des DRK in der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden (DRK-TV-Ost). Nach der Anlage 8 zu diesem Tarifvertrag haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung von Urlaubsgeld; die Anlage 9 enthält Sonderregelungen für die Zahlung einer jährlichen Zuwendung. Nach § 65 Abs. 2 Satz 1 DRK-TV-Ost müssen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden, sollen sie nicht verfallen.

[3]  Am 6. November 2002 schloss der Beklagte mit dem bei ihm gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, nach deren Punkt 1.2 die Auszahlung der Zuwendung für die Jahre 2002 und 2003 im November 2002 beginnen und im Dezember 2003 enden sollte. Der Beklagte zahlte jedoch nur bis einschließlich August 2003 an die Klägerin einen monatlichen Zuwendungsbetrag. Nach einer weiteren Betriebsvereinbarung vom 18. November 2003 sollte über die Auszahlung der restlichen Zuwendung für 2003 im April 2004 unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des Beklagten entschieden werden.

[4]  Der am 30. Juli 2004 erstellte Jahresabschluss 2003 für den Beklagten weist einen Fehlbetrag von 389.000 € aus. Der mit dem Abschluss befasste Wirtschaftsprüfer wies darauf hin, dass der Fortbestand des Kreisverbandes durch Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gefährdet sei, sofern die wirtschaftliche Lage nicht umgehend verbessert werde. Im Jahre 2004 zahlte der Beklagte weder Urlaubsgeld noch Zuwendung. Am 30. September 2004 machte die Klägerin das restliche Weihnachtsgeld 2003 sowie das Urlaubsgeld 2004 unter Einschaltung des Betriebsrats schriftlich gegenüber dem Beklagten geltend.

[5]  Mit Schreiben vom 14. März 2005 unterrichtete der Beklagte die Klägerin über seine Absicht, den Bereich Kinder- und Jugendhilfe auf die Deutsches Rotes Kreuz Senioren- und Sozialdienst gGmbH zu übertragen. Aufgrund dieses Betriebsteilübergangs werde das Arbeitsverhältnis nach § 613a BGB zum 1. April 2005 auf die DRK Senioren- und Sozialdienst gGmbH übergehen. Diese werde in das Arbeitsverhältnis, das unverändert fortgeführt werde, mit allen Rechten und Pflichten eintreten. Jedoch wandte sich die Kreisgeschäftsführerin des Beklagten mit einem weiteren Schreiben vom 24. März 2005 an die Mitarbeiter, darunter auch die Klägerin, das auszugsweise lautet:

„... wie Sie wissen, sind die Verhandlungen mit der DRK Senioren- und Sozialdienst gGmbH abgeschlossen. Um einen klaren Schnitt zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass hinsichtlich Ihrer eventuellen Ansprüche auf Weihnachts- und Urlaubsgeld aus der Vergangenheit eine Klärung herbeigeführt wird. Entsprechend der von Ihnen bereits mündlich erklärten Bereitschaft bitte ich Sie daher, die anliegende Erklärung zu unterschreiben und bis Dienstag, 29.3.2005, an die Kreisgeschäftsstelle weiterzuleiten. Ohne die Erklärungen kann der Überleitungstarifvertrag an D. nicht unterzeichnet werden.

Für Ihr Verständnis und Ihre Bemühungen um den Erhalt Ihrer Arbeitsplätze bedanke ich mich und wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen ein schönes und erholsames Osterfest.“

[6]  Am 26. März 2005 unterschrieb die Klägerin die beigefügte „Vereinbarung als Nachtrag zum Arbeitsvertrag“, die wie folgt lautet:

„1. Der Arbeitnehmer verzichtet gegenüber dem Arbeitgeber auf rückständiges Weihnachts- und Urlaubsgeld; der Arbeitgeber nimmt diesen Verzicht an. Mit dem Verzicht ist eine Geltendmachung auch gegenüber Dritten ausgeschlossen.

2. Der Verzicht wird unwirksam, wenn der Bereich Kindertagesstätten/Kinderheim des Arbeitgebers nicht bis zum 31.12.2005 auf die DRK Senioren- und Sozialdienst gGmbH übergeht.“

[7]  Die DRK Senioren- und Sozialdienst gGmbH übernahm am 1. April 2005 die Kindertagesstätten und das Kinderheim. Seitdem ist die Klägerin für diese Gesellschaft tätig. Sie machte mit Schreiben vom 30. Mai 2005 gegenüber dem Beklagten die Zuwendung 2004 geltend.

[8]  Mit der Klage vom 15. November 2005, wiederholt am 14. Februar 2006, focht die Klägerin ihre Zustimmung zu der Verzichtsvereinbarung wegen Drohung und Täuschung an.

[11]  Das ArbG hat den Beklagten verurteilt, das Weihnachts- und Urlaubsgeld 2004 zu zahlen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg, auf die Anschlussberufung der Klägerin hat das LAG ihn darüber hinaus verurteilt, auch die restliche Zuwendung 2003 zu zahlen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte das Ziel einer Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

[12]  Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin kann für 2003 die Zahlung der restlichen Zuwendung und für 2004 die Zahlung der Zuwendung und des Urlaubsgeldes beanspruchen. Auf diese arbeitsvertraglichen Ansprüche hat sie nicht wirksam verzichtet. Der geschlossene Erlassvertrag ist wegen Umgehung der Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

[13]  A. Das LAG hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung der Zuwendungen 2003 und 2004 und des Urlaubsgeldes 2004 nach den Anlagen 9 und 8 des DRK-TV-Ost, dessen Geltung für das Arbeitsverhältnis individuell vereinbart worden sei, lägen vor. Die zwischen den Parteien geschlossene Verzichtsvereinbarung vom 26. März 2005 sei nach den § 305 Abs. 1, § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. (Wird ausgeführt.)

[14]  B. Dem ist im Ergebnis zu folgen.

[15]  I. Die Klage ist begründet. Nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien hat die Klägerin gegen den Beklagten Ansprüche auf Zahlung der restlichen Zuwendung 2003 i.H. v. 215,44 € brutto, der Zuwendung 2004 i.H. v. 1.292,61 € brutto und des Urlaubsgeldes 2004 i.H. v. 255,65 € brutto, jeweils nebst Zinsen. In § 2 des Arbeitsvertrages haben die Parteien die Geltung des Tarifvertrages über die Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubil-ZIP Heft 36/2009, Seite 1734dende des DRK in der jeweils geltenden Fassung vereinbart. Rechtsfehlerfrei hat das LAG erkannt, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach den in Bezug genommenen Tarifnormen im Falle der Klägerin vorliegen, wobei die Ansprüche der Höhe nach unstrittig sind. Soweit der Beklagte erstinstanzlich eingewandt hat, den Anspruch der Klägerin auf die restliche Zuwendung 2003 habe er erfüllt, weil er schon mehr gezahlt habe, als der Klägerin zugestanden habe, hat der Beklagte eine Erfüllung des Anspruchs nach § 362 BGB nicht schlüssig dargelegt und an dem Erfüllungseinwand in der Revisionsbegründung auch nicht mehr festgehalten.

[16]  II. Entgegen der mit der Revision vertretenen Auffassung kann der Beklagte sich nicht auf die zwischen den Parteien geschlossene Verzichtsvereinbarung vom 26./30. März 2005 berufen. Diese ist unwirksam.

[17]  1. Nach § 307 Abs. 3 BGB sind nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB solche AGB kontrollfähig, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzende Regelungen enthalten. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist weder ersichtlich noch geltend gemacht. Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung unterliegen aber aus Gründen der Vertragsfreiheit regelmäßig keiner Inhaltskontrolle (BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, BAGE 109, 22 = ZIP 2004, 1561 = AP BGB § 312 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 312 Nr. 1, Rz. 61 m.w.N., dazu EWiR 2005, 105 (Ingenfeld)). Der zwischen den Parteien vereinbarte Verzicht stellt einen Erlassvertrag i.S.d. § 397 Abs. 1 BGB dar. Dieser betrifft Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis und den unmittelbaren Gegenstand selbstständiger Hauptleistungspflichten (BAGE 109, 22 = ZIP 2004, 1561 = AP BGB § 312 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 312 Nr. 1, Rz. 61). Anders als bei vorformulierten Ausschlussfristen handelt es sich nicht um eine Klausel, die die Hauptleistungspflicht einschränkt, ausgestaltet oder modifiziert, sondern um die vereinbarte Hauptleistung selbst.

[18]  2. Der Erlassvertrag ist nach § 613a Abs. 1 Satz 1, § 134 BGB unwirksam.

[19]  a) Die Voraussetzungen für einen Betriebsteilübergang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB lagen vor. Dies ergibt sich zwar nicht aus ausdrücklichen Feststellungen des LAG, folgt aber aus dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien.

[20]  Ein nach § 613a BGB selbstständig übertragungsfähiger Betriebsteil setzt voraus, dass innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird. Dies führt nur dann zu einer selbstständigen übergangsfähigen Einheit, wenn eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen vorliegt (Senat v. 27.9.2007 – 8 AZR 941/06, ZIP 2008, 801 = AP BGB § 613a Nr. 332 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 86, Rz. 26 m.w.N., dazu EWiR 2008, 519 (Lindemann)). Der Bereich der Kindertagesstätten/Kinderheim stellte einen übertragungsfähigen Betriebsteil dar, da der Beklagte dort einen betrieblichen Teilzweck, die Kinderbetreuung, verfolgte und zu diesem Zweck bestimmte Arbeitnehmer und Betriebsmittel einsetzte. Unstreitig hat die DRK Senioren- und Sozialdienst gGmbH aufgrund eines Betriebsteilübernahmevertrags den Bereich mit Wirkung zum 1. April 2005 übernommen und beschäftigt jetzt die Arbeitnehmer an ihren bisherigen Arbeitsplätzen zum Zweck der Kinderbetreuung weiter.

[21]  b) § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB stellt zwingendes Recht dar. Eine Vereinbarung, die dagegen verstößt, ist nach § 134 BGB unwirksam (BAG st. Rspr., v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, BAGE 27, 291 = AP BGB § 613a Nr. 2 = EzA BGB § 613a Nr. 4; BAG v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, BAGE 70, 209 = ZIP 1992, 1408 = AP BetrAVG § 1 Betriebsveräußerung Nr. 14 = EzA BGB § 613a Nr. 104, dazu EWiR 1992, 957 (Schaub); Preis, in: Erfurter Komm. z. ArbR, 9. Aufl., § 613a BGB Rz. 82; APS/Steffan, 3. Aufl., § 613a BGB Rz. 107; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, 3. Aufl., § 613a BGB Rz. 245).

[22]  c) Seinem Wortlaut nach scheint der zwischen den Parteien vereinbarte Erlassvertrag vom 26./30. März 2005 nicht gegen § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zu verstoßen. Ein vor dem Betriebsübergang geschlossener Erlassvertrag bewirkt grundsätzlich das Erlöschen des Anspruchs. Der so erloschene Anspruch gehört nicht mehr zu den im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Rechten. Die Parteien hatten auch weder vereinbart, dass der Erwerber des Betriebsteils nicht Arbeitgeberin der Klägerin werde, noch, dass der Erwerber nicht in die Rechte und Pflichten des im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses eintrete. Auch die Haftungsregelungen des § 613a Abs. 2 BGB sind vom Wortlaut der Verzichtsvereinbarung nicht direkt betroffen. Für einen bereits vor dem Betriebsübergang untergegangenen Anspruch kommt schon begrifflich eine Haftung des Betriebsveräußerers oder des Betriebserwerbers nicht mehr in Betracht.

[23]  d) Gleichwohl ist der Erlassvertrag nach § 134 BGB nichtig, weil er abgeschlossen wurde, um die zwingenden gesetzlichen Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 BGB zu umgehen.

[24]  aa) Ein Rechtsgeschäft darf und kann die mit ihm beabsichtigte Wirkung nicht entfalten, wenn es sich als objektive Umgehung zwingender Rechtsnormen darstellt. Das ist der Fall, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten missbräuchlich verwendet werden.

[25]  Die gewählte rechtliche Gestaltung muss im Gefüge der einschlägigen, zwingenden Rechtsnorm sachlich zu rechtfertigen sein. Anderenfalls wird ein von dem zwingenden Gesetzesrecht verbotenes Ziel angestrebt. Es kommt weder auf eine Umgehungsabsicht noch auf eine bewusste Missachtung der zwingenden Rechtsnormen an; entscheidend ist die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts (BAG v. 27.11.2008 – 6 AZR 632/08, ZTR 2009, 192, Rz. 28; BAG v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, ZIP 2008, 286 = AP BGB § 613a Nr. 329 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 79, Rz. 13; BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643 = AP BGB § 613a Wiedereinstellung Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 61, Rz. 24). Für die Prüfung, ob ein Rechtsgeschäft, welches nicht vom direkten Wortlaut des Verbotgesetzes erfasst wird, einen unzulässigen Umgehungstatbestand des § 613a BGB darstellt, kommt es demnach maßgeblich auf die Reichweite des Schutzzwecks dieser Vorschrift an.

[26]  bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG gewährt § 613a BGB Schutz vor einer Veränderung des Arbeits-ZIP Heft 36/2009, Seite 1735vertragsinhaltes im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ohne sachlichen Grund (BAG v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, AP BGB § 613a Nr. 354 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 96, Rz. 41; BAG ZIP 2007, 643 = AP BGB § 613a Wiedereinstellung Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 61, Rz. 23 m.w.N.). Durch § 613a Abs. 1 BGB soll insbesondere verhindert werden, dass eine Betriebsveräußerung zum Anlass genommen wird, die erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer abzubauen (BAG v. 19.5.2005 – 3 AZR 649/03, BAGE 114, 349 = ZIP 2005, 1706 = AP BGB § 613a Nr. 283 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 33, Rz. 35, dazu EWiR 2005, 855 (Richter); BAG v. 21.2.2006 – 3 AZR 216/05, BAGE 117, 112 = ZIP 2006, 1742 = AP BetrAVG § 16 Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 54, Rz. 27, dazu EWiR 2007, 35 (Schumann)). Dagegen bezweckt § 613a BGB nicht, Sanierungen im Falle von Betriebsübernahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern (BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, BAGE 58, 176 = ZIP 1988, 989 = AP BGB § 613a Nr. 71 = EzA BGB § 613a Nr. 70, dazu EWiR 1988, 767 (v. Stebut)). Schutzzweck des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist also nicht ausschließlich der Erhalt des Arbeitsplatzes bei einem Betriebsübergang und die Sicherung der Fortdauer des Arbeitsverhältnisses. Das Gesetz bestimmt nicht nur, dass der Betriebserwerber der neue Arbeitgeber wird, sondern legt zugleich fest, dass er in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt. Damit gewährt § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auch einen Schutz des Inhalts der Arbeitsverhältnisse. Allein der Betriebsübergang soll sich weder auf den Bestand noch auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses nachteilig auswirken. Alle bestehenden Rechte und Pflichten sollen vom Betriebserwerber übernommen werden. Dem Kündigungsverbot in § 613a Abs. 4 BGB kommt insoweit eine Komplementärfunktion zu (vgl. Senat v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, BAGE 83, 302 = ZIP 1996, 2028 = AP BGB § 613a Nr. 147 = EzA BGB § 613a Nr. 142, dazu EWiR 1996, 1115 (Joost); HWK/Willemsen/Müller-Bonanni, a.a.O., § 613a BGB Rz. 300).

[27]  cc) Demnach stellt eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebsveräußerer oder dem in Aussicht genommenen Betriebserwerber eine zur Unwirksamkeit nach § 134 BGB führende Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB dar, wenn es Grund und Ziel der Vereinbarung ist zu verhindern, dass der künftige Betriebserwerber in sämtliche bestehende Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis eintritt. Auch wenn der Arbeitnehmer mit dem Hinweis auf eine geplante Betriebsveräußerung und bestehende Arbeitsplatzangebote des Betriebserwerbers veranlasst wird, sein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer selbst zu kündigen oder mit diesem einen Auflösungsvertrag zu schließen, um mit dem Betriebserwerber neue Arbeitsverträge abschließen zu können, liegt eine Umgehung des § 613a BGB vor (BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06, AP BGB § 613a Nr. 333 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 82, Rz. 43; BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, BAGE 115, 340 = ZIP 2006, 148 (m. Bespr. B. Gaul/B. Otto, S. 644) = AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 31 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 40, Rz. 27, dazu EWiR 2006, 197 (Lindemann)).

[28]  dd) Nichts anderes wird durch die RL 2001/23/EG gefordert, die sicherstellen soll, dass den durch den Übergang des Unternehmens betroffenen Arbeitnehmern ihre Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis erhalten bleiben. Dieser Schutz ist als zwingendes Recht einer Verfügung der Parteien des Arbeitsvertrags entzogen. Der von einem Unternehmensübergang betroffene Arbeitnehmer soll in seinen Rechtsbeziehungen zum Erwerber in gleicher Weise geschützt sein, wie er es nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats in seinen Beziehungen zum Veräußerer war. Zulässig sind zwar für den Arbeitnehmer nachteilige Änderungen bei dem neuen Unternehmensinhaber, soweit diese nach dem nationalen Recht unabhängig vom Fall des Unternehmensübergangs zulässig sind; der Unternehmensübergang als solcher stellt jedoch weder Grund noch Anlass für eine solche Änderung dar (EuGH v. 10.2.1988 – Rs C-324/86, Slg. 1988, 739; EuGH v. 12.11.1992 – Rs C-209/91, Slg. 1992, I-5755, dazu EWiR 1993, 147 (Schroeder); EuGH v. 14.9.2000 – Rs C-343/98, Slg. 2000, I-6659 = ZIP 2000, 1996, dazu EWiR 2000, 1121 (Plander); EuGH v. 6.11.2003 – Rs C-4/01, Slg. 2003, I-12859).

[29]  ee) Es kann vorliegend dahinstehen, ob eine nach einem Betriebsübergang zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber einzelvertraglich vereinbarte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, z.B. eine Absenkung der Vergütung, eine Umgehung des Schutzzwecks des § 613a Abs. 1 BGB darstellen kann (BAG ZIP 2008, 286 = AP BGB § 613a Nr. 329 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 79). Der Erlassvertrag wurde nicht mit der Betriebserwerberin nach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses, sondern mit der Beklagten vor dem Betriebsübergang geschlossen. Ebenso kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsänderung, die aus einem anderen Grund als der Verhinderung des Eintritts des künftigen Betriebserwerbers in sämtliche Rechte und Pflichten abgeschlossen wird, wirksam ist. Der Senat hat die Berücksichtigung sonstiger, anderer Gründe als „Sachgründe“ für eine Vertragsänderung nicht ausgeschlossen (BAGE 115, 340 = ZIP 2006, 148 = AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 31 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 40, Rz. 29; BAGE 70, 209 = ZIP 1992, 1408 = AP BetrAVG § 1 Betriebsveräußerung Nr. 14 = EzA BGB § 613a Nr. 104 zu II 2 der Gründe; KR-Pfeiffer, 9. Aufl., § 613a BGB Rz. 102 m.w.N.). Jedenfalls war es vorliegend Grund und Ziel des Erlassvertrages, gerade zu verhindern, dass die künftige Betriebserwerberin, die DRK Senioren- und Sozialdienst gGmbH, vollständig in die bestehenden Rechte der Klägerin eintreten musste. Der geplante Betriebsteilübergang war der entscheidende Grund für den Erlassvertrag. Die in Aussicht stehende Betriebserwerberin machte ihn nach dem Anschreiben des Beklagten vom 24. März 2005 an seine Mitarbeiter zur Bedingung für das Zustandekommen des Betriebsteilsübernahmevertrages. Ohne die Verzichtsvereinbarung gehörten die schon entstandenen und noch nicht erfüllten Ansprüche der Klägerin auf Zahlung des Urlaubsgeldes und der Sonderzuwendung für die Jahre 2003 und 2004 zu den Ansprüchen, die zu erfüllen nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Pflicht der Betriebserwerberin geworden wäre. Dass allein aus Gründen des Betriebsübergangs ein Rechtsverzicht erfolgen sollte, ergibt sich aus Ziff. 2 der Vereinbarung, derzufolge der Verzicht unwirksam werden sollte, falls es bis zum 31. Dezember 2005 nicht zu einem Betriebsübergang auf die in ZIP Heft 36/2009, Seite 1736Aussicht genommene Betriebserwerberin gekommen sein sollte. Auch diese auflösende Bedingung, § 158 Abs. 2 BGB, unterstreicht, dass der Erlassvertrag ausschließlich darauf gerichtet war, die Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB teilweise zu verhindern. Die gegen den Schutzzweck des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB verstoßende Vereinbarung ist nichtig, § 134 BGB.

[30]  Im Übrigen bedarf es keiner weiteren Erörterung, dass es keinen sachlichen Grund darstellt, wenn der potenzielle Betriebserwerber zum Ausdruck bringt, ohne vorherige Vertragsänderungen oder Erlassverträge werde er den Betrieb nicht übernehmen. Die zwingenden gesetzlichen Schutzbestimmungen des § 613a BGB können nicht mit der Begründung, anderenfalls komme es nicht zum Betriebsübergang, als dispositives Gesetzesrecht verstanden werden.

[31]  III. Die Ansprüche der Klägerin sind nicht nach § 65 DRK-TV-Ost verfallen. (Wird ausgeführt.)

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