BGH, Beschluss vom 26. März 2024 - XIII ZB 30/22

26.06.2024

BUNDESGERICHTSHOF

vom

26. März 2024

in der Überstellungshaftsache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


Unterbringung in speziellen Hafteinrichtungen; Beginn der Sicherungshaft


Richtlinie 2008/115/EG Art. 16 Abs. 1; AufenthG 2019 § 62 Abs. 1 Satz 2, § 62a Abs. 1

1. Die Unterbringung eines Drittstaatsangehörigen zur Sicherung der Abschiebung darf gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2008/115 jedenfalls für eine Nacht in der bis zu diesem Tag vollzogenen Untersuchungshaft erfolgen, wenn an dem Tag, an dem die Sicherungshaft angeordnet und sodann die bisher bestehende Untersuchungshaft gegen ihn aufgehoben wird, ein Transport in die weit entfernt liegende (hier: 260 km) Abschiebehafteinrichtung aus sich plötzlich erweisenden momentanen Kapazitätsbeschränkungen nicht mehr erfolgen kann.

2. Der Beginn der Sicherungshaft darf nicht an das noch nicht feststehende Ende einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft angeknüpft, sondern nur parallel dazu angeordnet werden (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - V ZB 77/14, BGHZ 203, 323).


BGH, Beschluss vom 26. März 2024 - XIII ZB 30/22 - LG Augsburg, AG Aichach


Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. März 2024 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt, die Richterin Dr. Holzinger und den Richter Dr. Kochendörfer

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde wird unter Zurückweisung des weiter-gehenden Rechtsmittels festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Aichach vom 19. Januar 2022 sowie der Beschluss des Landgerichts Augsburg - 5. Zivilkammer - vom 25. Februar 2022 die Betroffene ab dem 23. Februar 2022 in ihren Rechten verletzt haben.

Von den gerichtlichen Kosten aller Instanzen trägt die Betroffene 5/6; Dolmetscherkosten und weitere gerichtliche Kosten werden nicht erhoben. Der Freistaat Bayern trägt 1/6 der außergerichtlichen Kosten der Betroffenen; im Übrigen trägt sie diese selbst.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:

[1] I. Die Betroffene, eine vermutlich nigerianische Staatsangehörige, reiste 2020 erneut in das Bundesgebiet ein, nachdem sie bereits 2019 nach Italien überstellt und mit einer Wiedereinreisesperre bis zum 27. Februar 2021 belegt worden war. Ihr (erneuter) Asylantrag wurde als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet. Seit dem 6. Juli 2021 war die Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig. Seither war sie verschiedentlich unbekannten Aufenthalts, so auch vom 30. Dezember 2021 bis 5. Januar 2022. Vom 6. bis zum 19. Januar 2022 befand sie sich wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt A.

[2] Auf den per Telefax übermittelten Antrag der beteiligten Behörde vom 11. Januar 2022, Haft zur Sicherung der Rücküberstellung bis 22. Februar 2022 anzuordnen, hat das Amtsgericht Aichach am 19. Januar 2022 gegen die Betroffene Haft angeordnet bis zur möglichen Abschiebung, längstens jedoch für die Dauer von sechs Wochen (Ziffer 1). Es hat ferner die sofortige Wirksamkeit sowie angeordnet, dass die Sicherungshaft im Anschluss an die bestehende Untersuchungshaft vollstreckt werden solle (Ziffer 2). Der Untersuchungshaftbefehl ist sodann - ebenfalls am 19. Januar 2022 - aufgehoben worden. Die Betroffene ist am 20. Januar 2022 in die Abschiebungshafteinrichtung Hof überstellt worden. Mit Beschluss vom 25. Februar 2022 hat das Landgericht die gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, die nach der am 9. März 2022 erfolgten Überstellung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Abschiebungshaft gerichtet ist.

[3] II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg.

[4] 1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Es liege ein zulässiger Haftantrag vor. Die beteiligte Behörde habe eine Sicherungshaft für sechs Wochen bis zum 22. Februar 2022 beantragt. Das errechnete Datum entspreche einer Dauer von sechs Wochen. Der Vortrag der Betroffenen, das Gericht habe etwas angeordnet, was nicht beantragt worden sei, verfange daher nicht. Fluchtgefahr sei gegeben. Die festgesetzte Haftdauer sei nicht zu beanstanden. Eine kürzere Inhaftnahme sei ausweislich des Akteninhalts nicht möglich, da für die Organisation einer Luftabschiebung, insbesondere nach Italien, eine mehrwöchige Vorlaufzeit erforderlich sei. Es sei mit ausreichender Sicherheit gewährleistet, dass die Rücküberstellung innerhalb der Frist erfolgen werde. Eine unzulässige Vorratshaft liege nicht vor. Aus dem amtsgerichtlichen Beschluss ergebe sich, dass die sechswöchige Haft mit Erlass des Beschlusses am 19. Januar 2022 begonnen und am 1. März 2022 geendet habe.

[5] 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist zwar der Haftantrag der beteiligten Behörde zulässig. Auch bleibt die Rüge der Rechtsbeschwerde erfolglos, die Betroffene sei am 19. Januar 2022 nicht gemäß Art. 16 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückholung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. Nr. L 348, S. 98; nachfolgend RL 2008/115) untergebracht gewesen. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde aber, dass das Amtsgericht die Haft nicht über den von der beteiligten Behörde beantragten Zeitraum bis zum 22. Februar 2022 hinaus hätte anordnen dürfen.

[6] a) Der Haftantrag musste von der beteiligten Behörde entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht gemäß § 14b Abs. 1 FamFG als elektronisches Dokument an das Amtsgericht übermittelt werden. Seine Einreichung in gewöhnlicher Schriftform reichte aus (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2023 - XIII ZB 45/22, juris Rn. 6 bis 10).

[7] b) Der Haftantrag entspricht auch den in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG gestellten inhaltlichen Anforderungen an die Begründung.

[8] aa) Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom 20. Dezember 2022 - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).

[9] bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag gerecht.

[10] (1) Die beteiligte Behörde führt zur beantragten Haftdauer aus, ein Schubantrag sei am 10. Januar 2022 gestellt worden. In Rücksprache mit der Bundespolizei sei die Überstellung der Betroffenen nach Italien in dem genannten Zeitrahmen von sechs Wochen durchführbar. Da eine Sicherheitsbegleitung erforderlich und diese zunächst bei der Bundespolizei zu beantragen sei sowie gegebenenfalls auf speziell fortgebildete Vollzugsbeamte zurückgegriffen werde, sei von einer Bearbeitungszeit von sechs Wochen auszugehen; in diesem Zeitraum dürfte nach einer Mitteilung des Landesamts für Asyl und Rückführungen auch ein Flug zur Verfügung stehen.

[11] (2) Das reicht aus. Bei einem Flug mit Sicherheitsbegleitung bedarf es grundsätzlich keiner näheren Erläuterung, wenn - wie hier - ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Wochen für die Durchführung der Abschiebung veranschlagt wird (BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2020 - XIII ZB 39/19, juris Rn. 9 mwN; vom 4. April 2023 - XIII ZB 8/22, juris Rn. 11).

[12] c) Keinen Erfolg hat die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, die Betroffene sei am 19. Januar 2022 in unzulässiger Weise untergebracht gewesen mit der Folge, dass die Haft an diesem Tag rechtswidrig gewesen sei.

[13] aa) Gemäß § 62a Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 und erneut ab dem 30. Juni 2022 geltenden Fassung als auch nach Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115 erfolgt der Vollzug der Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Vom 21. August 2019 bis 30. Juni 2022, mithin auch im hier maßgeblichen Haftzeitraum, bestimmte § 62a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (diese Fassung nachfolgend AufenthG 2019) dagegen lediglich, dass Abschiebungsgefangene getrennt von Strafgefangenen unterzubringen seien. Insoweit hat der Gesetzgeber von der in Art. 18 Abs. 1 RL 2008/115 vorgesehenen Ausnahme vom Trennungsgebot nach Art. 16 Abs. 1 RL 2008/115 Gebrauch machen wollen (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 10. Mai 2019, BT-Drucks 19/10047 S. 44). Ist nach den insoweit geltenden Grundsätzen (siehe dazu im Einzelnen das nach dem angegriffenen Beschluss ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. März 2022 - C-519/20, NVwZ 2022, 783 Rn. 45 bis 57) absehbar, dass der Betroffene rechtswidrig untergebracht werden wird oder untergebracht ist, muss der Haftrichter im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) die Anordnung von Haft ablehnen (BGH, Beschlüsse vom 17. September 2014 - V ZB 189/13, InfAuslR 2015, 23 Rn. 4; vom 5. Dezember 2023 - XIII ZB 45/22, juris Rn. 15). Dabei ist die durch den Haftrichter vorzunehmende Prüfung auf im Zeitpunkt der Haftanordnung bestehende oder absehbare strukturelle Defizite beschränkt. Kommt es im Einzelfall während des Vollzugs der Sicherungshaft zu einem rechtswidrigen Grundrechtseingriff, berührt dies die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung indes nicht. Insoweit muss sich der Betroffene gegen die konkrete Einzelmaßnahme wenden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - XIII ZB 40/19, InfAuslR 2021, 73 Rn. 12 zum Transitaufenthalt bei Minderjährigen).

[14] bb) Vorliegend kann dahinstehen, ob der Haftrichter am 19. Januar 2022 wusste, dass die Betroffene für eine Nacht in der Justizvollzugsanstalt A untergebracht werden würde. Auch dies unterstellt, konnte er nach den obigen Maßgaben nicht absehen, dass dies unzulässig war.

[15] (1) Es ist unionsrechtlich anerkannt, dass die Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen zur Sicherung der Abschiebung in einer gewöhnlichen Haftanstalt gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 RL 2008/115 erlaubt ist, wenn es dem Mitgliedstaat etwa aufgrund einer plötzlichen und momentanen Auslastung der Kapazitäten sämtlicher spezieller Hafteinrichtungen unmöglich ist, die mit der Richtlinie 2008/115 verfolgten Ziele zu beachten und dabei gleichzeitig sicherzustellen, dass alle Drittstaatsangehörigen in speziellen Hafteinrichtungen untergebracht werden. In einem solchen Fall darf die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt zunächst für eine kurze Dauer angeordnet werden, die einige Tage nicht überschreiten und nur dem Zweck dienen darf, dem betreffenden Mitgliedstaat die Möglichkeit zu geben, dringlich Maßnahmen zu ergreifen, damit die Inhaftierung in einer spezialisierten Hafteinrichtung fortgeführt wird (EuGH, NVwZ 2022, 783 Rn. 94 bis 97).

[16] (2) Im vorliegenden Fall war die Betroffene bis zur Anhörung am 19. Januar 2022 in der Justizvollzugsanstalt A in Untersuchungshaft - mithin gemäß Nr. 22 UVollZO Bayern von Strafgefangenen getrennt - untergebracht. Die Untersuchungshaft ist am 19. Januar 2022 erst nach dem Anhörungstermin aufgehoben worden. Die beteiligte Behörde hatte ausweislich des Haftantrags einen Haftplatz in der etwa 260 Kilometer entfernten Abschiebungshafteinrichtung Hof reserviert. Nachdem die Betroffene nach der Anhörung zunächst wieder in die Justizvollzugsanstalt A zurückgebracht und sodann der Untersuchungshaftbefehl aufgehoben worden war, wurde sie am Morgen des 20. Januar 2022 nach Hof verlegt, weil ein Einzeltransport von der zuständigen Polizeiinspektion noch am 19. Januar 2022 aus Kapazitätsgründen nicht durchgeführt werden konnte. Vorliegend ergab sich daher - nachdem erst nach Erlass des Haftanordnungsbeschlusses und des die Untersuchungshaft aufhebenden Beschlusses am 19. Januar 2022 die Notwendigkeit eines Transports eintrat - eine plötzliche und momentane Auslastung der verfügbaren Transportkapazitäten, so dass es unmöglich war, noch am gleichen Tag eine der Richtlinie entsprechende Unterbringung sicherzustellen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die beteiligte Behörde nach ihrem Vorbringen bereits am 17. Januar 2022 auf die Möglichkeit eines am 19. Januar 2022 eintretenden Transportbedarfs hingewiesen hatte, aber bereits am 17. Januar 2022 eine Kapazitätsauslastung bestand, die am 19. Januar 2022 keinen Transport erlaubte. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich dabei nicht um eine plötzliche und momentane Kapazitätsauslastung handelte, nachdem der Transport sodann am Morgen des 20. Januar 2022 erfolgen konnte. Der Senat hat auch keinen Zweifel, dass entsprechend den Grundsätzen in der genannten Entscheidung des Unionsgerichtshofs die Unterbringung eines Drittstaatsangehörigen zur Sicherung der Abschiebung als Ausnahme vom Grundsatz der Unterbringung in einer speziellen Haftanstalt jedenfalls für eine Nacht (weiterhin) am Ort der bis dahin vollzogenen Untersuchungshaft erfolgen darf, wenn am Tag der Aufhebung der Untersuchungshaft und Anordnung der Sicherungshaft ein Transport in die weit entfernte Abschiebungshafteinrichtung aus plötzlichen und momentanen Kapazitätsgründen nicht mehr erfolgen kann. Ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 Art. 3 AEUV ist daher nach den dafür geltenden Grundsätzen (EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 - C-283/81, NJW 1983, 1257 [juris Rn. 21] - Cilfit; vom 15. September 2005 - C-495/03, HFR 2005, 1236 Rn. 33 - Intermodal Transports; vom 4. Oktober 2018 - C-416/17, EuZW 2018, 1038 Rn. 110 - Kommission/Frankreich) nicht erforderlich.

[17] (3) Nach alledem kann ferner dahinstehen, ob ohne plötzliche und momentane Auslastung der Transportkapazitäten die Unterbringung der Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt A unzulässig und dieses strukturelle Defizit zudem für den Haftrichter am 19. Januar 2022 angesichts des damals geltenden § 62a Abs. 1 AufenthG 2019 vor der Entscheidung des Unionsgerichtshofs vom 10. März 2022 (aaO) nach den obigen Grundsätzen absehbar gewesen wäre.

[18] d) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde aber, dass das Amtsgericht Haft nur bis zum 22. Februar 2022 hätte anordnen dürfen, weil es für den darüberhinausgehenden Zeitraum an einem Haftantrag gemäß § 417 FamFG fehlt.

[19] aa) Die beteiligte Behörde hatte eine sechswöchige Haft bis zum 22. Februar 2022 beantragt. Das durfte das Amtsgericht in Ziffer 1 des Tenors nicht so auslegen, dass sich der Antrag auf eine sechswöchige Haft ab dem Datum der Haftanordnung richte. Denn aus den Angaben der beteiligten Behörde zur erforderlichen Dauer der Haft ergibt sich klar und eindeutig, dass die Behörde, die am 10. Januar 2022 einen Schubantrag gestellt hatte, von der Erforderlichkeit einer sechswöchigen Haft ab dem Datum des Haftantrags, mithin dem 11. Januar 2022 ausging. Für die darüberhinausgehende Anordnung fehlte es daher an dem gemäß § 417 FamFG erforderlichen Haftantrag.

[20] bb) Im Übrigen hat das Amtsgericht die Vollstreckung der Sicherungshaft gemäß Ziffer 2 des Tenors unzulässig an das Ende der bestehenden Untersuchungshaft geknüpft. Sicherungshaft darf nicht auf Vorrat, sondern nur parallel zu einer laufenden Straf- oder Untersuchungshaft angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - V ZB 77/14, BGHZ 203, 323 Rn. 7). Soweit die beteiligte Behörde meint, damit werde nur die Vollstreckung bestimmt, nicht aber festgelegt, dass die Berechnung des Fristlaufs mit der Vollstreckung beginnt, greift das nicht durch. Eine Aufnahme der in Ziffer 2 enthaltenen Regelung in den Tenor wäre nämlich in diesem Fall nicht erforderlich gewesen. Daraus, dass das später und nach Aufhebung der Untersuchungshaft erstellte Haftdatenblatt ein Ende der Sicherungshaft auf den 1. März 2022 ausweist, ergibt sich - entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde - nichts Anderes. Auf die Angabe im Haftdatenblatt kommt es für die Frage, welcher Regelungsgehalt dem Beschlusstenor des Amtsgerichts zu entnehmen ist, von vornherein nicht an. Allerdings hat sich der Fehler des Amtsgerichts nicht ausgewirkt (BGHZ 203, 323 Rn. 9), weil die Untersuchungshaft am Tag der Anordnung der Sicherungshaft aufgehoben worden ist. Zutreffend rügt die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang denn auch lediglich, dass die Haft ab dem 22. Februar 2022 rechtswidrig gewesen sei.

[21] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

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