BGH, Beschluss vom 27. März 2024 - XII ZB 291/23

04.06.2024

BUNDESGERICHTSHOF

vom

27. März 2024

in der Familiensache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


HUVÜ 1973 Art. 4, 17 Abs. 1 Nr. 2, 24 Abs. 2; HUÜ 2007 Art. 20 Abs. 6, 25 Abs. 1 lit. b und d, 56 Abs. 1 lit. b, Abs. 3; AUG §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a und b, 41, 57, 59 a


a) Wird gegen die erstinstanzliche Entscheidung zur Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels Beschwerde eingelegt, ist das Beschwerdegericht nicht daran gehindert, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Einzelfall auch ohne Beibringung des von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 HUVÜ 1973 und Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 geforderten formalen Nachweises festzustellen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 24. August 2022 ­ XII ZB 268/19 ­ FamRZ 2022, 1719).

b) Im Anwendungsbereich des HUÜ 2007 kann der Titelschuldner mit der Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Kindesunterhaltstitels nicht nach § 59 a AUG geltend machen, dass der antragstellende Elternteil, der den Titel erwirkt hat, nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes (auch hinsichtlich der Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit) nicht mehr zur Vollstreckung der titulierten Kindesunterhaltsansprüche befugt ist.


BGH, Beschluss vom 27. März 2024 - XII ZB 291/23 - OLG München, AG München


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. März 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Günter und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats ­ Familiensenat ­ des Oberlandesgerichts München vom 1. Juni 2023 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1 der Beschlussformel des vorgenannten Beschlusses wie folgt neu gefasst wird:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts ­ Familiengericht ­ München vom 24. November 2021 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1 der Beschlussformel des vorgenannten Beschlusses wie folgt neu gefasst wird:

Das Urteil des 3. Familiengerichts in Kayseri (Türkei) vom 27. Oktober 2015 (Aktenzeichen 2015/833; Urteilsnummer 2015/812) ist mit der Vollstreckungsklausel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 41 AUG zu versehen, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist,

a) nach Art. 175 des türkischen Zivilgesetzbuches Nr. 4721 für die Zeit ab dem 27. Oktober 2015 (Rechtskraft des Urteils) einen Ehegattenunterhalt in Höhe von monatlich 600 € und

b) nach Art. 182/2 des türkischen Zivilgesetzbuches Nr. 4721 für den Zeitraum vom 27. Oktober 2015 (Rechtskraft des Urteils) bis zum 27. Juni 2018 (Beschränkung des Antrags durch die Antragstellerin) einen Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 700 € für das am 12. Dezember 2001 geborene Kind B.

an die Antragstellerin zu zahlen.

Eine Wertfestsetzung ist nicht veranlasst (Nr. 1720 KV FamGKG).

Gründe:

[1] I. Die Beteiligten streiten um die Vollstreckbarerklärung der Unterhaltsaussprüche in einem türkischen Scheidungsverbundurteil.

[2] Durch Urteil des 3. Familiengerichts in Kayseri (Türkei) vom 27. Oktober 2015 ist die Ehe der Beteiligten geschieden und der Antragsgegner verpflichtet worden, ab Rechtskraft des Urteils einen monatlichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 600 € und für den im Dezember 2001 geborenen Sohn der Beteiligten einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 700 € an die Antragstellerin zu zahlen. Die Entscheidung ist seit dem 27. Oktober 2015 rechtskräftig.

[3] Die Antragstellerin hat im Februar 2019 beantragt, das türkische Urteil hinsichtlich der Aussprüche zum Ehegatten- und Kindesunterhalt für vollstreckbar zu erklären. Sie hat ihren Antrag später für den Kindesunterhalt auf den Zeitraum vom 27. Oktober 2015 bis zum 27. Juni 2018 beschränkt, weil der Sohn der Beteiligten, der bis dahin bei der Antragstellerin in der Türkei gelebt hatte, am 27. Juni 2018 zum Antragsgegner nach Deutschland gezogen ist. Das Amtsgericht hat die beiden Unterhaltsaussprüche des türkischen Urteils antragsgemäß mit einer Vollstreckungsklausel nach § 41 AUG versehen.

[4] Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt. Nach einem gerichtlichen Hinweis hat die Antragstellerin die Anerkennung der im Urteil vom 27. Oktober 2015 ausgesprochenen Ehescheidung nach § 107 FamFG erwirkt. Gegen die sodann erfolgte Zurückweisung seiner Beschwerde durch das Oberlandesgericht wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde, mit der er weiterhin die Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung erstrebt.

[5] II. Die gemäß §§ 57, 46 Abs. 1 AUG iVm § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a und b AUG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

[6] 1. Die Vollstreckbarerklärung des Ausspruchs zum Kindesunterhalt im türkischen Urteil vom 27. Oktober 2015 richtet sich nach den Vorschriften des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (ABl. EU 2011 L 192 S. 51; im Folgenden: HUÜ 2007). Ob und inwieweit die Vollstreckbarerklärung des Urteilsausspruchs zum Ehegattenunterhalt ebenfalls nach den Vorschriften des HUÜ 2007 oder nach denjenigen des Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2. Oktober 1973 (BGBl. 1986 II S. 826; im Folgenden: HUVÜ 1973) zu beurteilen ist, kann vorliegend offenbleiben.

[7] a) Zu der Frage, welches der Übereinkommen vorliegend auf die Vollstreckbarerklärung der Unterhaltsaussprüche anzuwenden ist, hat sich das Beschwerdegericht nicht verhalten. Es hat einerseits das Bestehen von Anerkennungshindernissen nach Art. 5 HUVÜ 1973 verneint, aber andererseits im Rahmen der Prüfung der formellen Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung das HUÜ 2007 in sachlicher, personeller und zeitlicher Hinsicht für anwendbar gehalten. Zu den mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung vorzulegenden Schriftstücken hat es sowohl Art. 17 HUVÜ 1973 als auch Art. 25 HUÜ 2007 in Bezug genommen.

[8] b) Das HUÜ 2007, welches in seinem Anwendungsbereich das HUVÜ 1973 verdrängt, ist im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) und der Türkei am 1. Februar 2017 in Kraft getreten (Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 9 Rn. 604). Es erfasst insbesondere Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes sowie Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten und früheren Ehegatten (Art. 2 Abs. 1 HUÜ 2007) und ist gemäß Art. 56 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 in Fällen eines ­ wie hier ­ unmittelbar gestellten Antrags auf Anerkennung und Vollstreckung anzuwenden, wenn der Antrag nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens zwischen dem Ursprungsstaat und dem Vollstreckungsstaat bei der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats eingegangen ist (Senatsbeschluss vom 20. Juni 2018 ­ XII ZB 285/17 ­ FamRZ 2018, 1347 Rn. 12).

[9] c) Allerdings sieht die Übergangsregelung in Art. 56 Abs. 3 HUÜ 2007 vor, dass der Vollstreckungsstaat nach diesem Übereinkommen nicht verpflichtet ist, einen Unterhaltstitel in Bezug auf Zahlungen zu vollstrecken, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens zwischen dem Ursprungsstaat und dem Vollstreckungsstaat fällig geworden sind, es sei denn, dass Unterhaltspflichten aus einer Eltern-Kind-Beziehung gegenüber einer Person betroffen sind, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

[10] Die Antragstellerin hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung im Jahr 2019 gestellt, also nachdem das HUÜ 2007 im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei in Kraft getreten ist. Hinsichtlich des Urteilsausspruchs zum Kindesunterhalt findet das HUÜ 2007 Anwendung, weil der im Dezember 2001 geborene Sohn der Beteiligten im Vollstreckungszeitraum vom 27. Oktober 2015 bis zum 27. Juni 2018 das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (Art. 56 Abs. 3 HUÜ 2007).

[11] d) Die Frage, nach welchem der beiden Haager Übereinkommen sich die Vollstreckbarerklärung des türkischen Urteilsausspruchs zum Ehegattenunterhalt richtet, bedarf keiner Entscheidung. Denn die beiden Übereinkommen enthalten insoweit weder hinsichtlich der formellen Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung noch bezüglich etwaiger Anerkennungshindernisse Vorgaben, die hier zu voneinander abweichenden Ergebnissen führen würden. Auch verfahrensrechtlich ergeben sich keine Unterschiede, weil das Auslandsunterhaltsgesetz für beide Übereinkommen ­ soweit vorliegend von Interesse ­ dieselben Ausführungsvorschriften enthält (vgl. §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a und b, §§ 57 ff. AUG). Daher kann die Rechtsgrundlage für die Vollstreckbarerklärung des Ehegattenunterhaltsausspruchs dahinstehen.

[12] 2. Die Vollstreckbarerklärung der türkischen Unterhaltsaussprüche ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

[13] a) Einer Vollstreckbarerklärung der Unterhaltsaussprüche steht ­ anders als die Rechtsbeschwerde meint ­ nicht bereits der Umstand entgegen, dass die Antragstellerin keine vollstreckbare Ausfertigung des türkischen Urteils und somit keinen Nachweis für dessen Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat vorgelegt hat.

[14] aa) Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung einer Unterhaltsentscheidung ist sowohl nach dem HUVÜ 1973 als auch nach dem HUÜ 2007, dass diese Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist (vgl. Art. 4 HUVÜ 1973 und Art. 20 Abs. 6 HUÜ 2007). Das Erfordernis der formellen Vollstreckbarkeit des Titels im Ursprungsstaat folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass einer ausländischen Entscheidung im Vollstreckungsstaat keine Rechtswirkungen beigelegt werden können, die sie im Ursprungsstaat selbst nicht hat (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 ­ XII ZB 234/15 ­ FamRZ 2015, 2144 Rn. 10 mwN). Vor diesem Hintergrund sieht Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 HUVÜ 1973 die Vorlage von Urkunden vor, aus denen sich ergibt, dass gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat kein ordentliches Rechtsmittel mehr zulässig ist und ­ gegebenenfalls ­ dass die Entscheidung dort vollstreckbar ist, während Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 die Vorlage eines schriftlichen Nachweises verlangt, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist.

[15] bb) Der Senat hat indes zum HUÜ 2007 entschieden, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens das Beschwerdegericht nicht daran hindern, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Einzelfall auch ohne Beibringung des von Art. 25 Abs. 1 lit. b HUÜ 2007 geforderten formalen Nachweises festzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. August 2022 ­ XII ZB 268/19 ­ FamRZ 2022, 1719 Rn. 12 ff. mwN). Der Umstand, dass ein gesondertes Schriftstück zum Nachweis der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat nicht vorgelegt wurde, steht daher anderweitigen Feststellungen grundsätzlich nicht entgegen. Ob ein Rechtskraftvermerk beigebracht werden kann, ist bei unstreitig gegebener Rechtskraft nicht maßgeblich. Wenn die zu vollstreckende Entscheidung nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten rechtskräftig ist, bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte für die Annahme, aus ihr könne dennoch nicht vollstreckt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 24. August 2022 ­ XII ZB 268/19 ­ FamRZ 2022, 1719 Rn. 26 mwN).

[16] Nichts anderes kann für das HUVÜ 1973 gelten, das grundsätzlich keine weitergehenden Unterlagen als das HUÜ 2007 fordert und in seinem Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 "gegebenenfalls" einen Nachweis über die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung vorsieht (vgl. auch Senatsbeschluss vom 24. August 2022 ­ XII ZB 268/19 ­ FamRZ 2022, 1719 Rn. 16 mwN).

[17] cc) Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist das von der Antragstellerin im vollständigen Wortlaut (Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 HUVÜ 1973 und Art. 25 Abs. 1 lit. a HUÜ 2007) mit Übersetzung und Rechtskraftvermerk vorgelegte türkische Urteil aufgrund des von beiden Beteiligten erklärten Rechtsmittelverzichts am 27. Oktober 2015 rechtskräftig geworden. Ein ordentliches Rechtsmittel ist dagegen also nicht mehr zulässig. Somit steht fest, dass dieses Urteil in der Türkei grundsätzlich vollstreckbar ist. Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass aus ihm dennoch nicht vollstreckt werden könne, etwa weil das Urteil im Ursprungsstaat bereits aufgehoben wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2007 ­ XII ZB 174/04 ­ FamRZ 2007, 989 Rn. 15), hat der Antragsgegner weder im erstinstanzlichen Verfahren, an dem er entgegen § 58 AUG beteiligt worden ist, noch im zweitinstanzlichen Verfahren geltend gemacht. Daher konnte das Beschwerdegericht auch ohne urkundlichen Nachweis davon ausgehen, dass die Unterhaltsaussprüche des Urteils vom 27. Oktober 2015 in der Türkei vollstreckbar sind und somit in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden können, zumal die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen hat, dass es im türkischen Recht keinen Vermerk über die Vollstreckbarkeit eines Urteils gebe.

[18] Auch die Rechtsbeschwerde benennt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, weshalb die Unterhaltsaussprüche des türkischen Urteils trotz dessen unstreitig bestehender Rechtskraft in der Türkei nicht vollstreckbar sein sollen. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, den fehlenden urkundlichen Nachweis zu rügen.

[19] b) Letztlich ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde ferner geltend, das Beschwerdegericht habe nicht beachtet, dass die Antragstellerin in Bezug auf den Kindesunterhaltsanspruch nicht mehr "aktivlegitimiert" und daher im Vollstreckbarerklärungsverfahren auch nicht antragsberechtigt sei, weil der materiell berechtigte Sohn der Beteiligten inzwischen volljährig sei und erklärt habe, er wolle keine Unterhaltsansprüche gegen den Antragsgegner geltend machen.

[20] aa) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob ein nach türkischem Recht titulierter Kindesunterhaltsanspruch materiell dem Kind zusteht (so Andrae IPrax 2001, 98 f. für das bis zum 31. Dezember 2001 geltende türkische Unterhaltsrecht). Denn in der deutschen Rechtsprechung wurde jedenfalls für das bis zum 31. Dezember 2001 geltende türkische Unterhaltsrecht die Auffassung vertreten, dass der Kindesunterhaltsanspruch ein eigener Anspruch des nach der Scheidung mit der elterlichen Sorge ausgestatteten Elternteils sei. Dieser Elternteil sei alleiniger Träger der elterlichen Unterhaltsverpflichtung und müsse für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes einstehen, während der andere (nicht sorgeberechtigte) Elternteil verpflichtet sei, regelmäßig einen Unterhaltsbeitrag für das Kind zu leisten. Der sorgeberechtigte Elternteil sei daher selbst und nicht nur als Verfahrensstandschafter für das Kind zum Empfang des Unterhaltsbeitrags berechtigt (vgl. OLG Stuttgart IPrax 2001, 130, 131). Dieser Auffassung haben sich nach dem Inkrafttreten des reformierten türkischen Unterhaltsrechts zum 1. Januar 2002 auch Stimmen im deutschsprachigen Schrifttum angeschlossen (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 9 Rn. 467; vgl. auch Rumpf Gutachten vom 25. April 2008 im Verfahren 11 F 221/06 AG Kamen S. 20, unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen des türkischen Kassationshofs (Yargitay) aus dem Jahr 1998, abrufbar unter www..

[21] Ob diese Auffassung zutreffend ist, hängt von der Auslegung des reformierten türkischen Unterhaltsrechts, insbesondere von Art. 329 des türkischen Zivilgesetzbuches Nr. 4721 vom 22. November 2001 (im Folgenden: ZGB, abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 1. Juni 2020] Länderteil Türkei S. 94) ab, wonach der Elternteil, der tatsächlich für den Unterhalt des Kindes Sorge trägt, gegen den anderen Elternteil im Namen des Kindes Unterhaltsklage erheben kann. Soweit für das nicht urteilsfähige Kind erforderlich, kann die Klage auch von einem einzusetzenden Pfleger oder Vormund erhoben werden. Das urteilsfähige Kind kann die Unterhaltsklage selbst erheben. Diese Regelungen des Art. 329 ZGB könnten ­ wie auch die Rechtsbeschwerde meint ­ für einen dem Kind zustehenden Anspruch und gegen einen eigenen Anspruch des sorgeberechtigten Elternteils sprechen.

[22] bb) Unbeschadet des Umstands, dass die Feststellung ausländischen Rechts sowie seine Auslegung und Anwendung Sache des Tatrichters ist (Senatsbeschluss BGHZ 203, 372 = FamRZ 2015, 479 Rn. 20 mwN), kommt es auf die Frage, wer materiell Berechtigter des nach türkischem Recht titulierten Kindesunterhaltsanspruchs ist, vorliegend jedoch nicht entscheidungserheblich an. Denn selbst wenn man insoweit unterstellte, dass es sich um einen dem Sohn der Beteiligten zustehenden Anspruch handelt und der Eintritt seiner Volljährigkeit (vgl. Art. 11 Abs. 1 ZGB, abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 1. Juni 2020] Länderteil Türkei S. 64) auch nach türkischem Rechtsverständnis dazu geführt hat, dass die Verfahrensführungs- bzw. Vollstreckungsbefugnis der Antragstellerin hinsichtlich der geltend gemachten Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit entfallen ist (vgl. zum deutschen Rechtsverständnis OLG Brandenburg FamRZ 2020, 125, 126; OLG Hamm FamRZ 2016, 1100, 1101 mwN; Wendl/Dose/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 10 Rn. 52), würde es sich dabei nicht um eine Einwendung handeln, die gegen die Vollstreckbarerklärung des türkischen Urteilsausspruchs zum Kindesunterhalt erhoben werden könnte.

[23] (1) Nach § 59 a Abs. 1 AUG kann der Schuldner mit der Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer ausländischen Entscheidung auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind. Damit ist kein Verstoß gegen das Verbot der révision au fond verbunden, das in Art. 28 HUÜ 2007 zum Ausdruck kommt. Denn die Berücksichtigung von nach Entscheidungserlass entstandenen Umständen im Verfahren der Vollstreckbarerklärung stellt keine Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit dar und lässt deren Rechtskraft unberührt (Senatsbeschluss vom 24. März 2010 ­ XII ZB 193/07 ­ FamRZ 2010, 966 Rn. 10 mwN).

[24] Aufgrund seiner systematischen Stellung gilt § 59 a AUG für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltstitel nach den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AUG genannten völkerrechtlichen Verträgen (Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 3. Aufl. M Rn. 803), zu denen auch das HUÜ 2007 gehört. Er wurde vom deutschen Gesetzgeber infolge einer zu Art. 45 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I-VO) ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 13. Oktober 2011 ­ C­139/10 ­ NJW 2011, 3506 Rn. 41 ff.) als Ersatz für den früheren § 44 AUG geschaffen (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 ­ XII ZB 234/15 ­ FamRZ 2015, 2144 Rn. 19).

[25] (2) Die Berufung auf den nach Entscheidungserlass erfolgten Wegfall der Verfahrensführungs- bzw. Vollstreckungsbefugnis des Elternteils, der den Kindesunterhaltstitel erstritten hat, stellt schon keine vom Wortlaut des § 59 a Abs. 1 AUG gedeckte Einwendung gegen den titulierten Anspruch selbst dar, sondern ist vielmehr eine solche gegen seine weitere Durchsetzung und Vollstreckung durch den Titelgläubiger. Die Frage, ob sie vom Schuldner gleichwohl ­ weil letztlich im materiellen Recht (Eintritt der Volljährigkeit des Kindes) wurzelnd ­ nach § 59 a AUG im Beschwerdeverfahren gegen die Vollstreckbarerklärung erhoben werden kann, ist unter Berücksichtigung der Vorgaben des völkerrechtlichen Vertrages zu beantworten, nach welchem sich die Vollstreckbarerklärung des jeweiligen Unterhaltstitels richtet (vgl. MünchKommFamFG/Lipp 3. Aufl. § 1 AUG Rn. 10). Auch § 1 Abs. 2 Satz 1 AUG stellt insoweit klar, dass Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen den Vorschriften dieses Gesetzes vorgehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind.

[26] (a) Das hier einschlägige HUÜ 2007 will ausweislich seines Art. 1 die wirksame internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen sicherstellen. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht Art. 23 HUÜ 2007 Verfahrensregelungen vor, welche eine einfache, schnelle und kostengünstige Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Unterhaltstitel ermöglichen sollen. So ist die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung zwar anfechtbar (Art. 23 Abs. 6 HUÜ 2007), aber das Rechtsmittel kann grundsätzlich nur auf die in Art. 23 Abs. 7 HUÜ 2007 genannten Gründe gestützt werden. Allerdings kann der Antragsgegner nach Art. 23 Abs. 8 HUÜ 2007 mit seinem Rechtsmittel auch die Erfüllung der Schuld geltend machen, soweit sich die Vollstreckbarerklärung auf bereits fällige Zahlungen bezieht. Denn in der Begleichung einer rückständigen Schuld liegt ein klarer Grund, die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels insoweit abzulehnen (vgl. Borrás/Degeling Explanatory Report on the Convention on the International Recovery of Child Support and Other Forms of Family Maintenance Rn. 490, 509 und 512, abrufbar unter www.hcch.net). Zudem darf nach Art. 23 Abs. 10 HUÜ 2007 ein weiteres Rechtsmittel, wenn es nach dem Recht des Vollstreckungsstaats zulässig ist, nicht dazu führen, dass die Vollstreckung der Entscheidung ausgesetzt wird, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

[27] (b) In der Gesamtschau ist aus dem Sinn und Zweck des HUÜ 2007 und insbesondere aus den Regelungen in Art. 23 HUÜ 2007 abzuleiten, dass ein Rechtsmittel gegen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Unterhaltstitels nur auf die dort genannten Gründe gestützt werden kann. Daher ist die (der Ausführung verschiedener völkerrechtlicher Verträge dienende) Vorschrift des § 59 a AUG, die im Beschwerdeverfahren allgemein nachträgliche Einwendungen gegen den Anspruch selbst zulässt, jedenfalls in Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem HUÜ 2007 einschränkend dahingehend auszulegen, dass der Schuldner mit seiner Beschwerde ­ vorbehaltlich des Art. 23 Abs. 7 HUÜ 2007 ­ grundsätzlich nur die nachträgliche Erfüllung der Schuld geltend machen kann (aA offenbar KG Beschluss vom 18. März 2022 ­ 3 UF 56/21 ­ juris Rn. 47). Somit kann sich der Antragsgegner hier nicht auf einen etwaigen Wegfall der Verfahrensführungs- bzw. Vollstreckungsbefugnis der Antragstellerin berufen. Diese Einwendung wäre gegebenenfalls in einem späteren Vollstreckungsverfahren zu erheben, ohne dass der Antragsgegner damit nach § 66 Abs. 2 AUG präkludiert wäre.

[28] (3) Die Frage der Verfahrensführungs- bzw. Vollstreckungsbefugnis des antragstellenden Beteiligten ist (anders als etwa die seiner Verfahrensfähigkeit) auch nicht rein verfahrensrechtlicher Natur, so dass sie gemäß Art. 23 Abs. 1 HUÜ 2007 unter Rückgriff auf das nationale Verfahrensrecht beurteilt werden könnte. Denn sie hat ihre Grundlage im materiellen Recht (Eintritt der Volljährigkeit des Kindes) und entfaltet über das Verfahrensrecht hinausgehende Wirkungen. Zudem ist dem deutschen Verfahrensrecht ohnehin nicht zu entnehmen, dass in einem auf die Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 41 AUG gerichteten Verfahren auch eine entsprechende Verfahrensführungs- bzw. Vollstreckungsbefugnis des Antragstellers bestehen muss. Vielmehr bedarf es nur der Befugnis zur Antragstellung nach §§ 57, 36 AUG, die ohne Weiteres vorliegt, wenn der Antragsteller ­ wie hier ­ der im Titel genannte Gläubiger ist (vgl. Meller-Hannich in Kindl/Meller-Hannich Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung 4. Aufl. § 36 AUG Rn. 3; vgl. auch BGH Beschluss vom 17. Januar 2024 ­ VII ZB 54/21 ­ WM 2024, 604 Rn. 14).

[29] c) Mit ihrer Rüge, der Ausspruch des türkischen Urteils zum Ehegattenunterhalt hätte wegen mangelnder Bestimmtheit nicht für vollstreckbar erklärt werden dürfen, vermag die Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht durchzudringen.

[30] aa) Durch das türkische Urteil wurde der Antragstellerin ab Eintritt der Rechtskraft ein monatlicher Ehegattenunterhalt in Höhe von 600 € nach Art. 175 ZGB (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 1. Juni 2020] Länderteil Türkei S. 74) zugesprochen. Nach dieser Vorschrift kann der Ehegatte, der durch die Scheidung bedürftig wird und den kein höheres Verschulden trifft, vom anderen Ehegatten nach dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für seine Lebensführung unbefristet Unterhalt verlangen. Die Rechtsbeschwerde moniert, dass das türkische Urteil keinerlei Parameter zur Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit enthalte, sich also zu den Entscheidungsgrundlagen nicht äußere. Es sei daher vor dem Hintergrund, dass der Bedürftigkeitsunterhalt nur nach Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit geschuldet werde, nicht hinreichend bestimmt.

[31] Die Frage, ob ein Urteil hinreichende Ausführungen zu seinen Entscheidungsgrundlagen enthält und somit ordnungsgemäß begründet wurde, ist jedoch keine solche der Bestimmtheit des Urteilsausspruchs. Denn der Ausspruch, dass der Antragsgegner ab Rechtskraft des Urteils einen monatlichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 600 € an die Antragstellerin zu zahlen hat, ist als solcher hinreichend bestimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 24. März 2010 ­ XII ZB 193/07 ­ FamRZ 2010, 966 Rn. 23; KG Beschluss vom 18. März 2022 ­ 3 UF 56/21 ­ juris Rn. 53), und zwar ohne dass es auf etwaige Feststellungen zur Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit ankäme. Ob die Urteilsbegründung den Zahlungsausspruch tatsächlich trägt, ist ausschließlich eine Frage der Gesetzmäßigkeit des Urteils, deren Prüfung dem Vollstreckungsstaat im Verfahren der Vollstreckbarerklärung jedoch nach Art. 12 HUVÜ 1973 und Art. 28 HUÜ 2007 untersagt ist (Verbot der révision au fond).

[32] bb) Auch der Umstand, dass die Antragstellerin die bei Antragseinreichung bestehenden Unterhaltsrückstände nicht beziffert hat, steht einer Vollstreckbarerklärung des Ausspruchs zum Ehegattenunterhalt nicht entgegen. Das HUVÜ 1973 sieht die Vorlage einer Rückstandsberechnung nicht vor und das HUÜ 2007 verlangt in seinem Art. 25 Abs. 1 lit. d lediglich "bei Bedarf" ein entsprechendes Schriftstück. Ein solcher Bedarf kann sich etwa ergeben, wenn der Unterhaltsschuldner schon Zahlungen erbracht hat, so dass der Titel hinsichtlich der bereits fälligen Ansprüche nur teilweise für vollstreckbar zu erklären ist. Wenn jedoch ­ wie hier ­ der titulierte Unterhalt in voller Höhe vollstreckt werden soll, lässt sich der Unterhaltsrückstand problemlos berechnen, ohne dass es für die Vollstreckbarerklärung aus Gründen der hinreichenden Bestimmtheit einer Rückstandsberechnung bedürfte (vgl. KG Beschluss vom 18. März 2022 ­ 3 UF 56/21 ­ juris Rn. 53).

[33] d) Im Übrigen sind weder Gründe ersichtlich noch vorgetragen, die einer Vollstreckbarerklärung der Unterhaltsaussprüche des türkischen Urteils entgegenstehen. Insbesondere ist auf der Grundlage der instanzgerichtlichen Feststellungen das Vorliegen von Anerkennungshindernissen nach Art. 5 HUVÜ 1973 und Art. 22 HUÜ 2007 zu verneinen. Zudem ist die hier gemäß § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderliche förmliche Anerkennung der durch das türkische Urteil ausgesprochenen Ehescheidung erfolgt, die Voraussetzung für die Entstehung des nachehelichen Ehegattenunterhaltsanspruchs der Antragstellerin ist (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 2007 ­ XII ZR 163/05 ­ FamRZ 2007, 717 Rn. 17 mwN). Daher ist die Vollstreckbarerklärung der türkischen Unterhaltsaussprüche im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Guhling Klinkhammer Günter

Krüger Recknagel

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