BGH: Rücktritt des Käufers trotz Geringfügigkeit des Mangels bei fehlender Erkennbarkeit im Zeitpunkt des Rücktritts

01.04.2009

BGB §§ 242, 323, 434, 437

Rücktritt des Käufers trotz Geringfügigkeit des Mangels bei fehlender Erkennbarkeit im Zeitpunkt des Rücktritts

BGH, Urt. v. 5. 11. 2008 – VIII ZR 166/07

Leitsätze des Gerichts:

1. Zur Frage, unter welchen Umständen das Eindringen von Feuchtigkeit in den Innenraum eines verkauften Gebrauchtwagens als ein den Rücktritt des Käufers ausschließender geringfügiger Mangel („unerhebliche Pflichtverletzung“) i.S.d. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB eingestuft werden kann.

2. Für die Beurteilung, ob ein Mangel als geringfügig i.S.d. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB einzustufen ist, ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Käufers abzustellen. Ein zu diesem Zeitpunkt erheblicher Mangel wird nicht dadurch unerheblich, dass es im Verlauf der sich anschließenden Auseinandersetzung einem gerichtlich bestellten Sachverständigen gelingt, den Mangel zumindest provisorisch zu beseitigen.

3. Das Festhalten des Käufers an dem wirksam erklärten Rücktritt ist nur dann treuwidrig, wenn der Mangel nachträglich mit seiner Zustimmung beseitigt wird.

Tatbestand:

[1]

 Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Gebrauchtwagen.

[2]

 Der Kläger erwarb von der Beklagten mit Vertrag von Ende Juni/Anfang Juli 2004 einen gebrauchten Range Rover, Erstzulassung April 1996, mit einem Kilometerstand von 101.500 km zu einem Kaufpreis von 12.150 €. Schon bald nach der am 2. Juli 2004 erfolgten Auslieferung reklamierte der Kläger bei der Beklagten, dass Wasser in das Innere des Fahrzeugs eintrete. In Absprache mit der Beklagten wurde in der Folgezeit mehrfach versucht, das Fahrzeug ab-ZIP 2009, Seite 525zudichten. Mit Schreiben vom 7. Mai 2005 informierte der Kläger die Beklagte darüber, dass wieder Wasserundichtigkeit im Bereich des vorderen rechten Fußraums und im Bereich des rechten Rücksitzes vorhanden sei. Er forderte die Beklagte zur Mängelbeseitigung auf und kündigte für den Fall des Fehlschlagens die Rückgabe des Fahrzeugs an.

[3]

 Mit Schreiben vom 1. Juni 2005 erklärte der Kläger unter Hinweis auf erneut eingetretenes Wasser den Rücktritt vom Kaufvertrag.

[4]

 Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 11.500 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu verurteilen. Das LG hat zu den behaupteten Mängeln ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt und darauf gestützt der Klage in Höhe von 11.376,61 € stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

[5]

 Die Revision hat Erfolg.

[6]

 I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

[7]

 Der Kläger sei nicht berechtigt, vom Kauf zurückzutreten.

[8]

 Zwar sei das Fahrzeug bei Übergabe gem. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB mangelhaft gewesen, da an mehreren Stellen und infolge unterschiedlicher Ursachen Feuchtigkeit eingedrungen sei. Die festgestellten Feuchtigkeitserscheinungen und deren Ursachen gäben dem Kläger jedoch – auch in ihrer Gesamtheit betrachtet – keinen Grund, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Der Rücktritt sei nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen. (Wird ausgeführt.)

[14]

 II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

[15]

 Das Berufungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte gem. § 437 Nr. 2, §§ 323, 440, 346 Abs. 1, § 348 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises – abzüglich gezogener Gebrauchsvorteile – in Höhe von 11.376,61 € Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Fahrzeugs zu.

[16]

 1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war das Fahrzeug bei Gefahrübergang gem. § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB mangelhaft, weil an mehreren Stellen Feuchtigkeit in das Fahrzeuginnere eindrang. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision, da ihr günstig, auch nicht angegriffen. Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, das Berufungsgericht habe die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs nicht festgestellt, sondern sie lediglich zu Gunsten des Klägers unterstellt, verkennt sie, dass die Unterstellung sich lediglich auf die von dem gerichtlichen Sachverständigen nicht aufgeklärte Ursache des Wassereintritts im Fußraum des Beifahrersitzes bezieht. Mangelhaft war das Fahrzeug auch insoweit aber schon deswegen, weil – aus welchen Gründen auch immer – Wasser in den Fußraum eindrang. Dass dies der Fall war, hat das Berufungsgericht auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens ausdrücklich – und rechtsfehlerfrei – festgestellt.

[17]

 2. Im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Klägers, auf den richtigerweise auch das Berufungsgericht abstellt, waren die Rücktrittsvoraussetzungen des § 323 Abs. 1 BGB erfüllt. Einer Fristsetzung zur Nacherfüllung bedurfte es gem. § 440 Satz 1 BGB nicht, weil die Nachbesserungsversuche der Beklagten selbst und eines von ihr eingeschalteten weiteren Kfz-Betriebs nach den rechtsfehlerfreien und von der Revisionserwiderung nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erfolglos geblieben waren, die Nacherfüllung somit fehlgeschlagen war (§ 440 Satz 2 BGB).

[18]

 3. Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Rücktritt sei gem. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil die in der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs bestehende Pflichtverletzung der Beklagten unerheblich sei.

[19]

 a) Auch für die Beurteilung dieser Frage ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkennt, auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt war die Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs dadurch eingeschränkt, dass aus bis dahin ungeklärter Ursache an mehreren Stellen Feuchtigkeit in das Wageninnere eindrang und zwei Fachbetriebe nicht in der Lage waren, Abhilfe zu schaffen. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass ein solcher Befund grundsätzlich als erheblicher Mangel einzustufen ist, weil er – so die Begründung des Berufungsgerichts – „für viele, wenn nicht gar für die meisten Interessenten ein Grund sein (wird), vom Kauf Abstand zu nehmen“.

[20]

 b) Beizupflichten ist auch der weiteren Erwägung des Berufungsgerichts, dass ein im Zeitpunkt des Rücktritts erheblicher Mangel nicht dadurch unerheblich werden kann, dass es – wie hier – im Verlauf der sich anschließenden Auseinandersetzung einem gerichtlich bestellten Sachverständigen gelingt, den Mangel zumindest provisorisch zu beseitigen.

[21]

 c) Mit Recht wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Mängel seien deswegen als unerheblich einzustufen, weil es sich bei dem verkauften Fahrzeug um einen acht Jahre alten Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von mehr als 100.000 km handelte und weil das Fahrzeug zur Kategorie der Geländewagen gehört. Das Berufungsgericht zeigt nicht auf, welche Umstände oder Erfahrungssätze seine Auffassung stützen sollen, der verständige Durchschnittskäufer eines derartigen Fahrzeugs werde eher als der Käufer eines normalen Pkw bereit sein, Abstriche zu machen, was das Eindringen von Feuchtigkeit in das Wageninnere angehe. Überdies weist die Revision zutreffend darauf hin, dass es sich bei dem Fahrzeug vom Typ Range Rover nicht um ein üblicherweise im Gelände eingesetztes Arbeitsfahrzeug, sondern um ein luxuriöses Fahrzeug handelt, das mit den großen – heute SUV genannten – Geländewagen der Hersteller Mercedes-Benz, BMW und Volkswagen vergleichbar ist. Es ist kein Grund zu erkennen, der den verständigen Durchschnittskäufer eines – auch älteren – Gebrauchtwagens dieser Kategorie veranlassen könnte, das Eindringen von Feuchtigkeit in das Wageninnere eher hinzunehmen als der Käufer einer Oberklassenlimousine.

[22]

 4. Schließlich hält auch die Erwägung des Berufungsgerichts, das Festhalten des Klägers an dem erklärten Rücktritt sei treuwidrig, den Angriffen der Revision nicht stand.

[23]

 Wie der Senat zum Kaufgewährleistungsrecht in der vor dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung entschieden hat, bleibt das Wandelungsrecht des Käufers jedenfalls dann unberührt, ZIP 2009, Seite 526wenn der Mangel durch eine – vertraglich nicht vereinbarte – Nachbesserung bis zum Vollzug der Wandelung zwar erfolgreich, aber ohne Zustimmung des Käufers, also eigenmächtig beseitigt worden ist; hat hingegen eine im Einverständnis des Käufers durchgeführte Nachbesserung zur vollständigen Behebung des Mangels geführt, so ist damit der Wandelung der Boden entzogen (Senatsurt. v. 19.6.1996 – VIII ZR 252/95, WM 1996, 1915 = NJW 1996, 2647, unter II 2 c). Ob diese Rechtsprechung sich in Anbetracht der dazu angestellten Erwägungen des Senats (WM 1996, 1915 = NJW 1996, 2647) ohne Weiteres auf den an die Stelle der Wandelung getretenen Rücktritt des Käufers übertragen lässt, bedarf hier keiner vertiefenden Betrachtung. Sowohl nach der Rechtsprechung des Senats zur Wandelung als auch unter dem Gesichtpunkt treuwidrigen Verhaltens (§ 242 BGB) wäre der Kläger nur dann gehindert, an der durch den wirksam erklärten Rücktritt erlangten Rechtsposition festzuhalten, wenn die (provisorische) Mängelbeseitigung im Bereich des Schiebedachs durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen mit seiner Zustimmung erfolgt wäre. Davon geht auch das Berufungsgericht aus. Eine Zustimmung des Klägers hat es indessen nicht festgestellt, sondern sich stattdessen auf die Bemerkung beschränkt, es könne nicht festgestellt werden, dass die Mängelbeseitigung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen gegen den Willen des Klägers geschehen sei. Dass der Kläger den Reparaturmaßnahmen des Sachverständigen lediglich nicht entgegengetreten ist, wozu er nach erklärtem Rücktritt auch keine Veranlassung hatte, hindert ihn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht, an seinem Rücktritt festzuhalten.

[24]

 III. Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil es weiterer Feststellungen nicht bedarf (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da die Klage begründet ist, ist die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

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