BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 - VI ZR 1074/20

05.12.2023

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

Verkündet am:

24. Oktober 2023

HolmesJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB § 823 Ah, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Zur Zulässigkeit einer Berichterstattung über den Besuch eines Geistlichen im Privathaus einer prominenten Person.


BGH, Urteil vom 24. Oktober 2023 - VI ZR 1074/20 - OLG Köln, LG Köln


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO unter Berücksichtigung bis zum 31. August 2023 eingegangener Schriftsätze durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterinnen von Pentz und Müller, den Richter Dr. Allgayer sowie die Richterin Dr. Linder

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 23. Juli 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten gegen ihre Verurteilung gemäß Ziffer 4 des Tenors des Urteils der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 6. November 2019 zurückgewiesen worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts im Kostenpunkt aufgehoben, hinsichtlich Ziffer 4 des Tenors abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, es zu unterlassen, in Bezug auf den Kläger zu behaupten/behaupten zu lassen und/oder zu verbreiten/verbreiten zu lassen,

"Bevor sich der Geistliche verabschiedete, zeichnete er mit dem Daumen noch ein Kreuzzeichen auf S. Stirn",

wie in der FREIZEIT REVUE, Ausgabe Nr. 50 vom 5. Dezember 2018 unter der Überschrift "S. ist wieder da! Er sieht aus wie früher" geschehen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz tragen der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4.

Von den Gerichtskosten des Revisionsrechtszugs tragen der Kläger 62 % und die Beklagte 38 %, von den außergerichtlichen Kosten des Revisionsrechtszugs tragen der Kläger 48 % und die Beklagte 52 %.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

[1] Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung von Teilen einer Presseberichterstattung in Anspruch.

[2] Der Kläger ist mehrfacher Formel-1-Weltmeister. Er ist bei einem Skiunfall Ende 2013 schwer verunglückt. Seither ist er nicht mehr persönlich öffentlich aufgetreten. Die Beklagte verlegt die Zeitschrift "FREIZEIT REVUE". In der Ausgabe Nr. 50 vom 5. Dezember 2018 erschien folgender hier auszugsweise wiedergegebener Artikel unter voller Namensnennung:

S[...] ist wieder da!

Er sieht aus wie früher!

Vor zwei Wochen berichtete FREIZEIT REVUE über die enge Freundschaft zwischen der Familie S[...] und dem Papst-Vertrauten G[...] G[...]. Jetzt enthüllt er, wie er die Formel-1-Legende bei einem Besuch erlebt hat

Zäune, dichtes Gebüsch und hohe Bäume umgeben M[...] S[...]s (49) etwa 60 Hektar großes Anwesen [...]. Wer das gusseiserne Eingangstor passieren, zum Haupthaus fahren und in die heiligen Hallen eintreten darf, entscheidet seine Familie. Nur wenigen Vertrauten wurde diese Ehre zuteil. Und wer drin war, legte den Mantel des Schweigens über das, was er sah und erlebte. Bis jetzt!

Wie FREIZEIT REVUE vor Kurzem berichtete, gehört zum Kreis der Vertrauten auch Erzbischof Dr. G[...] G[...] (62). Der Privatsekretär von Papst Franziskus (81) hatte schon verraten, dass er als Priester gern für die Familie da sei. Jetzt sprach er über einen persönlichen Besuch bei S[...]. "Ich unterhielt mich zunächst mit C[...] S[...] und ihrer Mutter, dann brachte ein Therapeut M[...] S[...] ins Wohnzimmer", offenbart G[...] in 'Bild'.

[...]

Ausblick. "Die Familie ist das schützende Nest, das M[...] unbedingt benötigt. Seine Frau ist die Seele der Familie." Bevor sich der Geistliche verabschiedete, zeichnete er mit dem Daumen noch ein Kreuzzeichen auf S[...]s Stirn. Versprach, für ihn zu beten. Das war 2016. Heute soll es M[...] deutlich besser gehen, als viele denken. Das macht doch Hoffnung!

[3] Das Landgericht hat die Beklagte unter Ziffer 4 des Tenors seines Urteils verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf den Kläger zu behaupten/behaupten zu lassen und/oder zu verbreiten/verbreiten zu lassen:

"Bevor sich der Geistliche verabschiedete, zeichnete er mit dem Daumen noch ein Kreuzzeichen auf S[...]s Stirn",

so wie dies in der FREIZEIT REVUE, Ausgabe Nr. 50 vom 5. Dezember 2018 unter der Überschrift "S[...] ist wieder da! Er sieht aus wie früher" geschehen ist.

[4] Die Berufung der Beklagten hiergegen hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage auf Unterlassung dieser Äußerung weiter.

Entscheidungsgründe:

[5] I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren relevant, ausgeführt:

[6] Der Kläger habe einen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus § 1004 Abs. 1 analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Die angegriffene Wortberichterstattung stelle einen Eingriff in die als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützte Privatsphäre des Klägers dar. Die Beklagte habe der Öffentlichkeit einen Einblick in den über zwei Jahre zurückliegenden privat organisierten Besuch eines hohen kirchlichen Würdenträgers beim Kläger gegeben. Betroffen sei die räumliche Privatsphäre, weil Vorgänge in dem privaten Rückzugsort des Klägers beschrieben würden, die dieser mit der Öffentlichkeit so nicht habe teilen wollen. Betroffen sei vor allem aber die Privatsphäre in thematischer Hinsicht. Denn über das Offenlegen der Tatsache hinaus, dass ein Besuch eines hohen kirchlichen Würdenträgers beim Kläger stattgefunden habe, habe die Beklagte der Öffentlichkeit unter anderem mitgeteilt, welche christlichen Riten bei dem Besuch durchgeführt worden seien. Insbesondere im Gesamtkontext mit der flankierenden Berichterstattung, dass die Familie das "schützende Nest" des Klägers sei und der Geistliche im Zuge der Kreuzzeichnung versprochen habe, für den Kläger zu beten, werde deutlich, dass die Beklagte mit ihrer Berichterstattung gerade einen Blick in dieses "schützende Nest" geboten habe. Der Eingriff in das Recht des Klägers auf Achtung seiner Privatsphäre sei rechtswidrig. Das Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit überwiege das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit. Zugunsten der Beklagten sei in die Abwägung einzustellen, dass der Kläger eine berühmte und beliebte Persönlichkeit sei und an seinem Privatleben auch und gerade vor dem Hintergrund des Skiunfalls und der ungebrochenen weltweiten Anteilnahme an seinem Schicksal ein öffentliches Interesse bestehe. Das Berichterstattungsinteresse beziehe sich auch auf den Aspekt, dass der Besuch durch einen hochrangigen kirchlichen Würdenträger erfolgt sei. Das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Berichterstattung sei aber dadurch geschwächt, dass die Beklagte keine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtere. Soweit Einzelheiten des zwei Jahre zurückliegenden Besuchs nach außen gekehrt würden, erscheine das bei Abwägung der widerstreitenden Belange nicht schutzwürdig. Der Kläger bzw. seine Familie habe bei anderer Gelegenheit bereits eine - wenn auch lockere - Verbindung zu dem Geistlichen in der Öffentlichkeit demonstriert. Öffentlich bekannt sei auch das Bekenntnis des Klägers zum christlichen Glauben. Allerdings gehe es hier um Einblicke in das Privatleben des Klägers, an denen kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe.

[7] II. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger hinsichtlich der noch im Streit stehenden Textpassage "Bevor sich der Geistliche verabschiedete, zeichnete er mit dem Daumen noch ein Kreuzzeichen auf S[...]s Stirn." kein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK zu.

[8] 1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Veröffentlichung der Textpassage das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung der Privatsphäre beeinträchtigt.

[9] a) Das Recht auf Achtung der Privatsphäre gesteht jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehört auch das Recht, für sich zu sein, sich selber zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 13; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 24 mwN). Der Schutz der Privatsphäre ist sowohl räumlich als auch thematisch bestimmt. Er umfasst einen räumlich bestimmten - insbesondere häuslichen, aber auch außerhäuslichen - Bereich, in dem der Einzelne die Möglichkeit hat, frei von öffentlicher Beobachtung und der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, und in dem er zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehen lassen kann, und der das Bedürfnis verwirklichen hilft, "in Ruhe gelassen zu werden" (vgl. BVerfGE 120, 180, 199 f., juris Rn. 47; Senatsurteil vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 13; jeweils mwN). Thematisch umfasst der Schutz der Privatsphäre insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst (vgl. BVerfG, NJW 2000, 2194, 2195, juris Rn. 4; Senatsurteil vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 13; jeweils mwN).

[10] b) Nach diesen Maßstäben beeinträchtigt die angegriffene Textpassage das Recht des Klägers auf Achtung der Privatsphäre.

[11] Der am 5. Dezember 2018 in der Zeitschrift FREIZEIT REVUE veröffentlichte Artikel, der diese Textpassage enthält, befasst sich nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Lesers (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 16; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 29 mwN) mit dem Besuch eines hohen katholischen Geistlichen bei dem sich nach einem Unfall in Rehabilitation befindenden Kläger auf dessen privatem Anwesen im Jahr 2016. Im Artikel werden Einzelheiten des Ablaufs des Besuchs geschildert. Es wird berichtet, dass der Geistliche zum Kreis der wenigen Vertrauten des Klägers und seiner Familie gehöre, die die Ehre hätten, das Anwesen des Klägers betreten zu dürfen. Anders als andere Vertraute, die über das dort Erlebte schwiegen, habe der Geistliche allerdings Details seines Besuchs der Bild-Zeitung preisgegeben.

[12] Mit der Passage "Bevor sich der Geistliche verabschiedete, zeichnete er mit dem Daumen noch ein Kreuzzeichen auf S[...]s Stirn." schildert der Artikel eine religiöse Geste, die der Geistliche gegen Ende seines Besuchs, vor seiner Verabschiedung, dem Kläger habe zuteil werden lassen. Die Reaktion des Klägers auf diese religiöse Geste des Geistlichen wird nicht berichtet. Mit diesem Informationsgehalt beeinträchtigt die angegriffene Textpassage sowohl den räumlichen als auch den thematischen Bereich der Privatsphäre des Klägers. Denn der Besuch des Geistlichen, über den der Leser Einzelheiten erfährt, war - wie sich aus dem Artikel ergibt - privater Natur und fand im Wohnhaus des Klägers statt.

[13] 2. Hinsichtlich der angegriffenen Textpassage überwiegt das Schutzinteresse des Klägers das durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK geschützte Recht der Beklagten auf freie Meinungsäußerung nicht.

[14] a) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 31; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 35; jeweils mwN).

[15] Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers am Schutz seines Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Da die Äußerung der Beklagten die Privatsphäre des Klägers betrifft, ist ungeachtet ihrer Wahrheit von entscheidender Bedeutung, ob sie sich durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lässt (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 32; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 36; jeweils mwN).

[16] Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erstreckt sich auch auf die Äußerung von Tatsachen, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können. Zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit gehört es, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht. Unterhaltende Beiträge, etwa über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen, nehmen grundsätzlich an diesem Schutz teil, ohne dass dieser von der Eigenart oder dem

Niveau der Berichterstattung abhängt (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 33; vom 2. August 2022 - VI ZR 26/21, VersR 2022, 1312 Rn. 14 mwN).

[17] Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Allerdings gebührt dem Persönlichkeitsschutz nicht etwa schon deshalb regelmäßig der Vorrang, weil eine weder unwahre noch ehrenrührige Berichterstattung bloße Belanglosigkeiten über eine prominente Person zum Gegenstand hat, ohne einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 34; vom 2. August 2022 - VI ZR 26/21, VersR 2022, 1312 Rn. 15 mwN).

[18] Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und welcher Informationswert ihr damit beizumessen ist, ist von erheblicher Bedeutung, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Eine in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson kann einen besonderen Schutz ihres Privatlebens beanspruchen, nicht aber eine Person des öffentlichen Lebens (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 35; vom 2. August 2022 - VI ZR 26/21, VersR 2022, 1312 Rn. 16 mwN). Außerdem muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen der Berichterstattung über Tatsachen, die einen Beitrag zu einer Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft leisten kann, die z.B. Politiker bei Wahrnehmung ihrer Amtsgeschäfte betrifft, und der Berichterstattung über Einzelheiten des Privatlebens einer Person, die keine solchen Aufgaben hat (vgl. nur Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 35; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, AfP 2022, 429 Rn. 38 mwN).

[19] Stets abwägungsrelevant ist auch die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Diese ist als gering zu werten, wenn es sich um zutreffende Tatsachen handelt, die entweder belanglos sind oder sich allenfalls oberflächlich mit der Person des Betroffenen beschäftigen, ohne einen tieferen Einblick in seine persönlichen Lebensumstände zu vermitteln und ohne herabsetzend oder gar ehrverletzend zu sein (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 36; vom 2. August 2022 - VI ZR 26/21, VersR 2022, 1312 Rn. 17 mwN).

[20] b) Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Abwägung führt dazu, dass das berechtigte Interesse des Klägers am Schutz seines Persönlichkeitsrechts das von der Beklagten verfolgte berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit nicht überwiegt.

[21] aa) Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird durch die große Bekanntheit des Klägers und den Umstand, dass ein hoher Geistlicher der katholischen Kirche den Kläger, dem aufgrund seiner Prominenz eine Leitbild- und Kontrastfunktion zukommt (vgl. nur Senatsurteil vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 38 mwN), zu Hause besuchte, begründet. Die Öffentlichkeit hat auch ein Interesse an der kritischen Auseinandersetzung der Presse damit, dass dieser hohe katholische Geistliche nach dem Aufenthalt im Wohnhaus des Klägers über Einzelheiten seines Besuchs - entgegen den Gepflogenheiten anderer Vertrauter des Klägers - nicht schwieg, sondern mit der Presse sprach.

[22] bb) Die angegriffene Textpassage beeinträchtigt die Privatsphäre des Klägers nur geringfügig.

[23] Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger die Berichterstattung der Beklagten nicht angegriffen hat, soweit im Artikel erwähnt wird, dass der Geistliche den Kläger in seinem Wohnhaus besucht habe und "zum Kreis der Vertrauten" des Klägers und seiner Familie gehöre sowie "als Priester gern für die Familie da sei". Auch soweit mitgeteilt wird, dass der Geistliche dem Kläger am Ende seines Besuchs versprochen habe, für ihn zu beten, hat der Kläger die Berichterstattung nicht angegriffen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger bzw. seine Familie bereits bei anderer Gelegenheit eine Verbindung zu diesem Geistlichen in der Öffentlichkeit demonstriert und ist öffentlich bekannt, dass der Kläger sich zum christlichen Glauben bekennt.

[24] Vor diesem Hintergrund enthält die Textpassage lediglich die Schilderung einer üblichen und erwartbaren Geste eines hohen katholischen Geistlichen am Ende seines Besuchs bei dem ihm vertrauten und sich zum christlichen Glauben bekennenden Kläger. Weder wird über die Reaktion des Klägers auf diese religiöse Geste des Geistlichen berichtet, noch wird mitgeteilt, ob der Kläger eine eigene religiöse Handlung vorgenommen hat. Hinzu kommt, dass die Beklagte diese Information nicht auf rechtswidrige oder indiskrete Weise erlangt, sondern der Geistliche sie der Presse preisgegeben hat. Damit liegt eine nur unerhebliche Beeinträchtigung der Privatsphäre des Klägers vor, weshalb im Rahmen der Abwägung sein Persönlichkeitsrecht das erhebliche berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung nicht überwiegt (vgl. auch Senatsurteil vom 14. März 2023 - VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 48).

[25] III. Das Urteil des Berufungsgerichts ist im genannten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO. Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzte-

rem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO auch in der Sache zu entscheiden.

Seiters von Pentz Müller

Allgayer Linder

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