LAG Köln: Zum Ausschluss von Sozialplanabfindungsansprüchen bei vorzeitiger Eigenkündigung

31.07.2009

BetrVG §§ 77, 75; GG Art. 3

Zum Ausschluss von Sozialplanabfindungsansprüchen bei vorzeitiger Eigenkündigung

LAG Köln, Urt. v. 27. 2. 2009 – 10 Sa 891/08

Leitsatz des Gerichts:

Es liegt kein Verstoß gegen den grundsätzlich geltenden Gleichbehandlungsgrundsatz vor, wenn im Sozialplan für den Fall einer vorzeitigen Eigenkündigung nach vorheriger Arbeitgeberkündigung für den Abfindungsanspruch die zusätzliche Einschränkung aufgestellt wird, dass der betriebliche Beschäftigungsbedarf entfallen sein muss.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Abfindungsanspruch aus Sozialplan.

Der 1955 geborene, verheiratete Kläger war seit 1.7.1980 bei der Beklagten – zuletzt als Senior-Accountant im Bereich Investment Accountant – in H. beschäftigt. Sein Monatsgehalt betrug zuletzt 5.892,97 € brutto zzgl. eines von bestimmter Zielerreichung abhängigen Jahresbonus.

Die Beklagte ist ein Unternehmen des T. Konzerns. Die T. AG erwarb im Frühjahr 2006 Anteile an der G. GmbH, der Konzernobergesellschaft des ehemaligen G. Konzerns. Im Konzernbereich Asset-Management schloss die T. AG mit dem bei ihr gebildeten Konzernbetriebsrat Ende 2006 einen Interessenausgleich zur Neuordnung dieses Bereichs, der im Hinblick auf eine Verlagerung u.a. des Betriebs der Beklagten von H. nach K. vorsah, dass den Arbeitnehmern in H. zunächst Angebote zur Weiterbeschäftigung in K. unterbreitet werden sollten und erst danach notwendig werdende Änderungskündigungen ausgesprochen würden. Ein Angebot zur Weiterbeschäftigung mit unveränderten Aufgaben im neuen Betrieb in K. nahm der Kläger nicht an.

Mit Rücksicht darauf erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber die Änderungskündigung vom 21.2.2007, mit der sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.9.2007 kündigte und gleichzeitig anbot, das Anstellungsverhältnis ab dem 1.10.2007 zu im Übrigen unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen in K. mit dem Kläger fortzusetzen.

Hiergegen richtete sich die vom Kläger beim ArbG Hannover unter dem Aktenzeichen 12 Ca 203/07 anhängig gemachte Kündigungsschutzklage. Im Laufe des Kündigungsrechtsstreits erklärte der Kläger seinerseits die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnis-ZIP Heft 30/2009, Seite 1439ses mit Schreiben vom 21.3.2007 zum 31.3.2007. Im Gütetermin vor dem ArbG Hannover vom 29.3.2007 schlossen die Parteien zunächst einen von der Beklagten später fristgemäß widerrufenen Vergleich.

Unter dem 2.4.2007 stellte das ArbG Hannover einen Vergleich der Parteien mit folgendem Inhalt rechtskräftig fest:

1. Die Parteien sind sich einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitnehmers mit Ablauf des 31.3.2007 enden wird. ...

3. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.

Im Rahmen des Sozialplans vom 12.6.2007 vereinbarte die T. AG mit dem bei ihr bestehenden Konzernbetriebsrat, dass Arbeitnehmer, die aufgrund der Änderung der Betriebsorganisation betriebsbedingt gekündigt werden, einen Anspruch auf eine Abfindung haben (§ 11 des Sozialplans vom 12.6.2007).

Nach § 3 Ziffer 2e des Sozialplans gelten die zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehenen Leistungen nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers beendet wird, sofern sie nicht durch den Arbeitgeber veranlasst ist. Dies ist nach dem Sozialplan nur der Fall, wenn der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung mit Beendigungswirkung durch den Arbeitgeber zu einem früheren Zeitpunkt kündigt, in dem der Arbeitgeber für den betreffenden Arbeitnehmer im Rahmen seines bisherigen Arbeitsverhältnisses und am bisherigen Standort (politische Gemeinde) keinen Beschäftigungsbedarf mehr hat; in diesen Fällen steht eine Aufhebungsvereinbarung der vom Arbeitgeber veranlassten Eigenkündigung gleich.

Mit seiner am 4.9.2007 beim ArbG Köln eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung einer Abfindung nach dem Sozialplan vom 12.6.2007 i.H. v. 155.113,86 € nebst Zinsen geltend gemacht.

Das ArbG Köln hat durch Urteil vom 12.6.2008 die Klage als unbegründet abgewiesen, da ein Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan vom 12.6.2007 abzulehnen sei. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).

II. In der Sache hat das Rechtsmittel allerdings keinen Erfolg. Das ArbG Köln hat zu Recht die Klage abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung gegen die Beklagte aus dem Sozialplan vom 12.6.2007 herleiten kann.

1. Nach § 3 Ziffer 2e gelten die zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehenen Leistungen nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Eigenkündigung beendet wird, sofern sie nicht durch den Arbeitgeber veranlasst ist. Letzteres ist nach ausdrücklicher Regelung in dem Sozialplan nur der Fall, wenn der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung mit Beendigungswirkung durch den Arbeitgeber mit Wirkung zu einem früheren Zeitpunkt kündigt, in dem der Arbeitgeber für den betreffenden Arbeitnehmer im Rahmen seines bisherigen Arbeitsverhältnisses und am bisherigen Standort keinen Beschäftigungsbedarf mehr hat.

2. Diese Regelung erweist sich auch vor dem Hintergrund des von den Betriebsparteien zu beachtenden Gleichbehandlungsgrundsatzes als wirksam.

a) Die Betriebsparteien haben bei Sozialplänen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beachten, dem der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde liegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sind Arbeitnehmer, die aufgrund eines vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrages oder einer von ihm veranlassten Eigenkündigung ausscheiden, bei einem Anspruch auf Sozialplanabfindung grundsätzlich mit demjenigen gleich zu behandeln, deren Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt wird. Ursache für das Ausscheiden muss die vom Arbeitgeber vorgenommene Betriebsänderung sein (vgl. BAG, Urt. v. 13.2.2007 – 1 AZR 163/06, ZIP 2007, 1075 = DB 2007, 315).

b) Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt durch die Regelung in § 3 Ziffer 2e des Sozialplans vom 12.6.2007 nicht vor, die Betriebsparteien haben für den Fall einer vorzeitigen Eigenkündigung durch den Arbeitnehmer nach vorherigem Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber aufgrund der Betriebsänderung die zusätzliche Einschränkung aufgestellt, dass der betriebliche Beschäftigungsbedarf gegenüber dem betreffenden Mitarbeiter entfallen sein muss. Die damit verbundene Ungleichbehandlung innerhalb des Kreises der Mitarbeiter ist sachlich gerechtfertigt.

c) Die Regelung ist zum einen Ausdruck der Beurteilung der Betriebsparteien, dass Arbeitnehmer, die nicht bis zum im Interessenausgleich vorgesehenen Beendigungszeitpunkt (30.9.2007) arbeiten, bereits eine neue zumutbare Arbeitsstelle gefunden haben und damit keine oder geringe wirtschaftliche Nachteile erleiden. Diese Umstände rechtfertigen es, in diesen Fällen den Sozialplanabfindungsanspruch sogar vollständig auszuschließen. Zweck eines Sozialplans ist es gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, die den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder abzumildern. Bei deren Einschätzung haben die Betriebsparteien einen erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Sie dürfen im Rahmen einer typisierenden Beurteilung davon ausgehen, dass den vorzeitig kündigenden Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung keine oder wesentlich geringere wirtschaftliche Nachteile drohen als den anderen Arbeitnehmern. Dem steht nicht entgegen, dass auch Arbeitnehmer, die einen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt sein können (vgl. hierzu BAG ZIP 2007, 1075 = DB 2007, 315; LAG Köln, Urt. v. 29.10.2008 – 9 Sa 675/08, ZIP 2009, 1025).

d) Zudem haben die Betriebsparteien einen Anreiz für Arbeitnehmer geschaffen, ihr Arbeitsverhältnis nur auf Veranlassung oder mit Zustimmung der Beklagten vor dem auch aus betrieblicher Sicht gebotenen Beendigungstermin zum 30.9.2007 aufzulösen.

Bereits unter § 5 Ziffer 4 des im Jahr 2006 abgeschlossenen Interessenausgleichs haben sie ein einvernehmliches Abweichen der Arbeitsvertragsparteien von diesem Beendigungstermin unter Einhaltung der Kündigungsfrist für zulässig erklärt. Unter § 3 Ziffer 2e des Sozialplans vom 12.6.2007 haben sie für den Abfindungsanspruch eine derartige Aufhebungsverein-ZIP Heft 30/2009, Seite 1440barung der vom Arbeitgeber veranlassten Eigenkündigung bei Wegfall des Beschäftigungsbedarfs gleichgesetzt. Die Beklagte soll es dadurch in der Hand haben, eine dem betrieblichen Interesse zuwiderlaufende Eigenkündigung des Arbeitnehmers durch den damit verbundenen Verlust des Abfindungsanspruchs zu erschweren.

Das Interesse des Arbeitgebers an der geordneten Verlagerung der Betriebsorganisation ist als Rechtfertigungsgrund für die Versagung des Abfindungsanspruchs im Falle einer vorzeitigen Kündigung des Arbeitnehmers anzuerkennen (vgl. BAG, Urt. v. 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, ZIP 1995, 1915 = DB 1995, 2531, dazu EWiR 1996, 153 (Otto)).

Der Beklagten ist ein berechtigtes Interesse an einer geordneten Durchführung der Verlagerung der Betriebsorganisation von H. nach K. zuzubilligen. Dazu gehörte es, dass auch noch nach dem Umzug, während einer mehrmonatigen Übergangszeit, qualifizierte Mitarbeiter für etwaige Anfragen aus dem Betrieb in K. zur Verfügung standen und ggf. auch noch Arbeiten, für deren Erledigung besondere fachliche Kenntnisse und/oder ein entsprechendes Erfahrungswissen erforderlich sind, weiter erledigten.

3. Aufgrund der danach wirksamen Sozialplanregelung in § 3 Ziffer 2e des Sozialplans vom 12.6.2007 besteht kein Abfindungsanspruch des Klägers, da zum 31.3.2007 der Beschäftigungsbedarf für den Kläger in der Betriebsstätte in H. nicht entfallen war.

a) In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob dem Abfindungsanspruch des Klägers bereits der Inhalt des Vergleichs vor dem ArbG Hannover vom 2.4.2007 entgegensteht, indem in Ziffer 1 ausdrücklich aufgenommen wurde, dass das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Arbeitnehmers endet. Fraglich ist, ob die Formulierung in Ziffer 1 des Vergleichs vom 2.4.2007 i.S.v. § 3 Ziffer 2e des Sozialplans vom 12.6.2007 mit der Folge auszulegen ist, dass der Kläger von den im Sozialplan vorgesehenen Leistungen ausgeschlossen ist, da die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses nicht durch den Arbeitgeber veranlasst ist.

In Betracht kommt, den Begriff der Beendigung auf Veranlassung des Klägers dahin gehend auszulegen, dass damit der rein rechtstechnische Weg der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – nämlich vor dem Hintergrund der Eigenkündigung des Klägers vom 21.3.2007 – bezeichnet werden sollte und nicht automatisch im Sinne des damals noch nicht geschlossenen Sozialplans vom 12.6.2007, der auch bei einer Eigenkündigung von einer Veranlassung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur unter besonderen Voraussetzungen ausgeht bzw. diese verneint, auszulegen ist.

Ein von den Parteien geschlossener Prozessvergleich ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes einer möglichst nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung auszulegen (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 29.7.2008 – 11 U 121/07, zitiert nach Juris). Vorliegend drängt sich als Auslegungskriterium die Entstehungsgeschichte für den Vergleich vom 2.4.2007 auf, wonach die Beklagte nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung des Klägers zum 31.3.2007 auf der Weiterbeschäftigung des Klägers beharrt, den widerruflichen Vergleich vor dem ArbG Hannover vom 29.3.2007 widerrufen und erst nach Aufnahme der Formulierung hinsichtlich der Beendigungsmodalität dahin gehend, dass die Beendigung auf Veranlassung des Klägers beruhe, den Vergleich vom 2.4.2007 abgeschlossen hat. Dies spricht für eine Auslegung des Vergleichs dahin gehend, dass nicht allein die rechtstechnische Modalität der Eigenkündigung des Klägers Grundlage für die Formulierung in Ziffer 1 des Vergleichs vom 2.4.2007, wonach die Beendigung auf Veranlassung des Klägers erfolgt ist, gewesen ist, sondern dass der weiterhin bestehende Beschäftigungsbedarf im Tätigkeitsbereich des Klägers durch diese Formulierung gekennzeichnet war.

b) Wie das ArbG zutreffend erkannt hat, kann diese Auslegungsfrage dahinstehen, da nicht davon auszugehen ist, dass der Beschäftigungsbedarf für den Kläger in der Betriebsstätte in H. zum 31.3.2007 entfallen war. Unstreitig ist die Verlagerung der Betriebsorganisation erst am 21.5.2007 von H. nach K. vollzogen worden.

Der Kläger ist nach allgemeinen Regeln für die tatsächlichen Voraussetzungen des von ihm geltend gemachten Sozialplanabfindungsanspruchs darlegungs- und beweisbelastet. Hierzu gehört, dass er substanziiert vorträgt, dass nach § 3 Ziffer 2e des Sozialplans vom 12.6.2007 trotz seiner Eigenkündigung zum 31.3.2007 von einer arbeitgeberseitigen Veranlassung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss, weil zum 31.3.2007 kein Beschäftigungsbedarf mehr vorgelegen habe. Der Kläger trägt hierfür nur unschlüssig vor. Sein bloßer Hinweis darauf, ein Beschäftigungsbedarf in H. habe nicht mehr bestanden, reicht hierfür nicht aus, nachdem die Beklagte sich zum einen auf den unstreitig erst am 21.5.2007 erfolgten Umzug der Betriebsorganisation von H. nach K. und zudem auf in H. durch die nicht wechselbereiten, dort verbleibenden Mitarbeiter zu verrichtende Unterstützungsleistungen im Rahmen der Aufbauphase des neuen Betriebes in K. hingewiesen hat.

Nach alldem sind die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan vom 12.6.2007 gegenüber der Beklagten nicht zu erkennen.

III. Kostenentscheidung

IV. Die Revision wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits für die Rechtswirksamkeit des Ausschlusses eines Sozialplanabfindungsanspruchs bei vorzeitigen Eigenkündigungen zugelassen.

<hinweis>

Anmerkung der Redaktion:

Die Revision ist anhängig beim BAG unter dem Az. 1 AZR 417/09.

</hinweis>

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