LG Frankfurt/M.: Übernahmerechtlicher Squeeze out auch bei Erreichen des Anteilsbesitzes von 95 % außerhalb der Angebotsfrist

28.07.2009

WpÜG §§ 39a, 39b

Übernahmerechtlicher Squeeze out auch bei Erreichen des Anteilsbesitzes von 95 % außerhalb der Angebotsfrist

LG Frankfurt/M., Beschl. v. 13. 3. 2009 – 3-5 O 328/08

Leitsätze der Redaktion:

1. Beim übernahmerechtlichen Squeeze out muss der Antragsteller den Anteilsbesitz von 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gem. § 39a Abs. 1 WpÜG nicht innerhalb der Angebotsfrist oder in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dieser Frist erreichen.

2. Für das Erreichen eines Anteilsbesitzes von 90 % gem. § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG, demzufolge das Angebot bei Erreichen dieser Schwelle als angemessen gilt, sind auch Aktienerwerbe aufgrund sog. irrevocable undertakings zu berücksichtigen.

Gründe:

I. Die I. AG ist eine börsennotierte AG mit Sitz in München. Das Grundkapital beträgt derzeit 6.593.525 € und ist in 6.593.525 nennwertlose, stimmberechtigte Namensaktien eingeteilt. Die Antragstellerin ist eine AG niederländischen Rechts. Die Antragstellerin ist Holdinggesellschaft der I. und unterhält Niederlassungen in mehreren europäischen Ländern.

Am 20.6.2008 veröffentlichte die Antragstellerin ein Übernahmeangebot an die Aktionäre der I. AG zum Preis von 64 € je Aktie, nachdem die BaFin am 19.6.2008 die Veröffentlichung des Angebots gestattet hatte. Die Frist für die Annahme des Angebots endete am 24.7.2008, 24.00 Uhr MEZ. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Angebots hielt die Antragstellerin weder unmittelbar noch über Zurechnung Aktien der I. AG. Allerdings hatte die Antragstellerin am 19.5.2008 mit den Herren Ha. und Wo. eine Vereinbarung getroffen, wonach sich diese verpflichtet hatten, ihren Anteil von zusammen 32,3 % an der I. AG der Antragstellerin anzudienen.

Bis zum Ende der Annahmefrist am 24.7.2008, 24:00 Uhr (MEZ), wurde das Übernahmeangebot für insgesamt 5.824.351 I.-Aktien angenommen. Dies entspricht einem Anteil von rund 89,55 % des Grundkapitals und der Stimmrechte an der I. AG. Der Erwerb dieser Aktien fand am 31.7.2008 statt. Weiterhin erwarb die Antragstellerin an diesem Tag außerhalb des Angebotsverfahrens außerbörslich zu einem Kaufpreis von 64 € weitere 70.775 I.-Aktien, d.h. am 31.7.2008 hielt die Antragsteller 5.895.126 I.-Aktien. Innerhalb der gesetzlichen weiteren Annahmefrist gem. § 16 Abs. 2 WpÜG bis 16.8.2008 erwarb die Antragstellerin insgesamt weitere 118.757 I.-Aktien zum Angebotspreis.

Das Übernahmeangebot wurde danach innerhalb der Angebotsfristen für insgesamt 5.943.108 Aktien der I. AG angenommen, was 90,14 % des Grundkapitals und der Stimmrechte entspricht; zuzüglich der außerhalb des Angebots erworbenen 70.775 Aktien hielt die Antragstellerin nach Ablauf der weiteren Annahmefrist und Abwicklung insgesamt 6.013.883 Aktien der I. AG, d.h. 91,21 % des Grundkapitals und der Stimmrechte.

Am 10.10.2008 erwarb die Antragstellerin jeweils außerhalb des Angebots außerbörslich insgesamt weitere 170.404 und am 13.10.2008 insgesamt weitere 208.294 Aktien der I. AG.

Die Antragstellerin gab am 13.10.2008 gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WpÜG bekannt, dass sie nunmehr 6.392.581 Aktien der I. AG halte, d.h. ca. 96,95 % des Grundkapitals und der Stimmrechte der I. AG. Weitere 10.085 I.-Aktien erwarb die Antragstellerin am 14.10.2008 außerhalb des Angebots.

Mit Antragsschrift vom 24.10.2008 hat die Antragstellerin beantragt: Die stimmberechtigten Aktien der I. AG, die nicht bereits der I. N.V. gehören, werden gegen Gewährung einer Abfindung i.H. v. 64 € je Stückaktie auf die I. N.V. übertragen. Zu diesem Zeitpunkt hielt die Antragstellerin 6.402.666 Aktien der I. AG, d.h. 190.859 Aktien dieser Gesellschaft wurden von der Antragstellerin nicht gehalten. Das Gericht hat den Antrag im elektronischen Bundesanzeiger vom 7.11.2008 – dem satzungsmäßig einzigem Gesellschaftsblatt der I. AG – gem. § 39b WpÜG bekannt gemacht.

Die Antragsgegner haben sich nach Bekanntmachung der Anträge im Bundesanzeiger an Verfahren beteiligt und sind dem Antrag entgegengetreten.

II. Das LG Frankfurt/M. ist zunächst gem. § 39a Abs. 5 WpÜG zur Entscheidung über den Antrag berufen. Soweit ZIP Heft 30/2009, Seite 1423sich einzelne Antragsgegner darauf beziehen, dass die vom Bundesgesetzgeber hier gewählte bundesweite Zuständigkeitskonzentration gegen die Länderautonomie verstoße und es nur den Ländern möglich sei, mittels Staatsvertrags eine solche länderübergreifende Zuständigkeit zu schaffen, so wird übersehen, dass gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG dem Bund u.a. für den Bereich der Gerichtsverfassung und gerichtlichen Verfahren die konkurrierende Gesetzgebung zukommt, d.h. er ggf. die Maßstäbe der sachlichen, funktionellen und örtlichen Zuständigkeit definieren kann. Macht er wie vorliegend von diesem Recht durch die Bestimmung eines bundeseinheitlichen Gerichtsstandes für Verfahren nach §§ 39a, 39b WpÜG Gebrauch, so kommt es auf Ländervereinbarungen im Wege eines Staatsvertrages nicht mehr an (so auch OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 9.12.2008 – WpÜG 2/08, ZIP 2009, 74 = NJW 2009, 375 = NZG 2009, 74, dazu EWiR 2009, 93 (Wilsing/Ogorek)).

Der Antrag auf Übertragung der übrigen stimmberechtigten Aktien der I. AG gegen Gewährung einer Abfindung i.H. v. 64 € auf die Antragstellerin ist zunächst zulässig.

Die Antragstellerin ist gem. § 39a Abs. 1 WpÜG antragsbefugt. Der Antragstellerin gehören nach Durchführung eines Übernahmeangebots mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals der I. AG.

Die Antragstellerin hat durch Vorlage einer Bestätigung glaubhaft gemacht, dass sie zum Zeitpunkt der Antragstellung am 24.10.2008 mit 6.402.666 Aktien in das Aktienregister der I. AG eingetragen ist, § 67 AktG, d.h. sie hielt zu diesem Zeitpunkt 97,1 % der Aktien dieser Gesellschaft, nachdem sie zum Zeitpunkt der Bekanntmachung gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WpÜG am 13.10.2008 bereits 6.392.581 Aktien, d.h. 96,95 % gehalten hatte.

Die Antragstellerin hat den Antrag am 24.10.2008 auch gem. § 39a Abs. 3 WpÜG innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des Annahmefrist am 24.7.2008 gestellt, wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob für den Fristbeginn der Antragsfrist nicht auf das Ende der weiteren Annahmefrist nach § 16 Abs. 2 WpÜG (so: Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl., § 39a Rz. 20 m.w.N.; kritisch: Stöwe, Der übernahmerechtliche Squeeze out, Europ. Hochschulschriften Bd. 4628, S. 106) abzustellen ist. Entgegen der Auffassung einiger Antragsgegner und Stimmen in der Literatur verlangt die gesetzliche Regelung des § 39a WpÜG weder, dass die 95 % innerhalb der Angebotsfrist (so Geibel/Süßmann, a.a.O., § 39a Rz. 8) noch in einem engen und zeitlichen Zusammenhang damit (so Santelmann, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl., § 39a Rz. 15; Kießling, Der übernahmerechtliche Squeeze out gem. §§ 39a, 39b WpÜG, S. 50 f.; Deilmann, NZG 2007, 721, 722; Meyer, WM 2006, 1142) erreicht sein müssen. Zwar findet sich eine derartige Formulierung des engen zeitlichen Zusammenhangs auch in den Gesetzesmaterialien zu § 39a WpÜG (Begr. RegE BT-Drucks. 16/1003, S. 21), doch hat dies im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden. An einen derartigen, im Gesetzestext nicht manifestierten Willen des Gesetzgebers sind die Gerichte nicht nach Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 GG gebunden (vgl. BGH ZIP 2008, 1398, dazu EWiR 2008, 575 (Goslar); BGH ZIP 2007, 1528 = AG 2007, 629 = NZG 2007, 675, dazu EWiR 2007, 641 (Wilsing/Goslar), zur Zulässigkeit von Nebeninterventionen bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage) und es gebietet auch der Respekt vor dem Gesetzgeber nicht die Berücksichtigung dieser im Gesetzgebungsverfahren gemachten Äußerung. Vielmehr bestimmt der Gesetzgeber durch den normativen Gesetzestext, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zusteht und welchen Inhalt es haben soll (vgl. BVerfG NJW 1989, 666). Die gesetzliche Bestimmung des § 39a WpÜG verlangt aber allein, dass der Antragsteller in einer Frist von drei Monaten nach Ende der Angebotsfrist den Antrag auf Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre stellen kann, wenn ihm mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören. Auf welcher Grundlage der Antragsteller bis zur Antragstellung diese Schwelle erreicht, gibt das Gesetz nicht vor (so auch Paefgen, WM 2007, 765, 766 m.w.N.). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus § 39c WpÜG, vielmehr bestätigt dies die Ansicht des Gerichts. Zwar knüpft das dort geregelte Recht des „sell-out“ binnen drei Monaten zunächst an das Ende der Annahmefrist an, doch wird deutlich, dass auch der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass innerhalb der Angebotsfrist das Erreichen der 95 %-Schwelle nicht zwingend ist, da er die Frist für ein „sell-out“ nach § 39c WpÜG nicht vor der Mitteilung nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 oder Satz 2 WpÜG beginnen lässt. Dies wäre überflüssig, wenn der Bieter die 95 %-Schwelle in der Angebotsfrist erreichen müsste.

Für das Erreichen der 95 %-Schwelle ist auch unbeachtlich, ob die Erwerbe nach der Angebotsfrist zu dem Preis des Angebots erfolgten, oder der Bieter hier eine höhere Gegenleistung gewährt hat, so dass das entsprechende Bestreiten einiger Antragsgegner hier unbeachtlich ist. Dies hätte zwar Bedeutung für die Frage, ob hier nicht Ansprüche nach § 31 Abs. 4 WpÜG entstanden sind, für die Frage des Erreichens der 95 %-Schwelle ist dies jedoch unbeachtlich.

Der Antrag ist auch begründet. Entgegen der Auffassung einiger Antragsgegner hat die Antragstellerin durch ihr Übernahmeangebot mehr als 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals i.S.d. § 39a Abs. 3 WpÜG erworben. Die vorliegend aufgrund der sog. „irrevocable undertakings“ erworbenen Aktien von den Herren Ha. und Wo. sind in die 90 %-Schwelle einzubeziehen. Es kommt hier nicht darauf an, dass die dem Erwerb der Aktien zugrunde liegende Vereinbarung außerhalb des Angebotsverfahrens geschlossen wurde. Nach dem Wortlaut des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG sind solche Aktien zu berücksichtigen, die der Bieter „aufgrund des Angebots“ erworben hat. Dies ist bei den sog. „irrevocable undertakings“ der Fall, weil hier erst die Aktien aufgrund des formellen Angebotsverfahrens an die Antragstellerin veräußert und übertragen wurden (vgl. OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74 = NJW 2009, 375 = NZG 2009, 74; LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 (m. Anm. Falkner) = NZG 2008, 665). Der Kaufpreis richtet sich nach dem Gegenwert, der auch für die übrigen Aktionäre gilt (vgl. Paefgen, WM 2007, 765; Ott, WM 2008, 384, 389). Es ist auch nicht ersichtlich und wird von den Antragsgegnern auch nicht substanziiert dargetan, dass weitere Gegenleistungen über Nebenabreden vereinbart und geflossen sind.

ZIP Heft 30/2009, Seite 1424

Dem Antrag steht weder ein Rechtsverlust nach § 59 WpÜG noch nach § 28 WpHG entgegen. Derartige Rechtsverluste sind bei der Antragstellerin nicht erkennbar.

Die Vereinbarung mit den Herren Ha. und Wo. hat nicht zu einem Kontrollerwerb geführt, der ein Pflichtangebot nach § 35 WpÜG erforderlich gemacht hätte. Dies ist gem. § 35 Abs. 1 WpÜG erst erforderlich, wenn ein Kontrollerwerb i.S.d. § 29 Abs. 2 WpÜG stattgefunden hat, d.h. 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft gehalten werden. Ein „Halten“ der Stimmrechte bedingt aber, dass der Bieter Eigentümer der fraglichen Aktien geworden ist (vgl. Holst, in: Heidel, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., § 29 WpÜG Rz. 2 m.w.N.). Eigentum geht aber erst im Rahmen eines dinglichen Vollzugs über, nicht bereits mit einer schuldrechtlichen Übertragungsverpflichtung. Die dingliche Übertragung der Aktien der Herren Ha. und Wo. fand hier aber erst im Rahmen des Vollzugs des Übernahmeangebots statt. Ein Pflichtangebot war daher nach § 35 Abs. 3 WpÜG nicht erforderlich.

Auch ein Verstoß gegen Meldepflichten nach §§ 21, 22 WpHG ist nicht feststellbar. Gemäß § 28 WpHG verliert der Meldepflichtige die aus der Aktie resultierenden Mitverwaltungs- und Vermögensrechte dann, wenn die Meldepflicht gem. §§ 21, 22 WpHG nicht erfüllt wird. Soweit Antragsgegner einen Verstoß gegen Meldepflichten durch Bezugnahme auf die von der BaFin im Internet veröffentlichte Meldelage begründen wollen, hat dies schon deshalb keinen Erfolg, weil diese Internetveröffentlichungen keinen Rückschluss auf die Meldungen erlauben, worauf die BaFin selbst hinweist.

Die Antragstellerin hat dargelegt und durch entsprechende Unterlagen belegt, dass die Meldepflichten erfüllt worden sind. Dem sind die Antragsgegner auch nicht mehr substanziiert entgegengetreten.

Soweit aus dem Internetauftritt der BaFin sich ggf. für bestimmte Zeitpunkte noch von den vorgelegten Meldungen abweichende Beteiligungsquoten ergeben haben sollten, kommt es hierauf nicht an (vgl. OLG Frankfurt/M. ZIP 2008, 138 – Wella, dazu EWiR 2007, 767 (Goslar/von der Linden); LG Frankfurt/M., Urt. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07). Die BaFin weist selbst in ihrem Internetauftritt darauf hin, dass es regelmäßig bei der Veröffentlichung der gemeldeten Stimmrechtsanteile in der Stimmrechtsdatenbank zu Verzögerungen komme, und die Datenbank daher in keinem Fall als Nachweis dafür dienen kann, dass die Mitteilungspflichten erfüllt oder nicht erfüllt worden sind.

Bei der beantragten Übertragung für die Angemessenheit der Abfindung kann sich die Antragstellerin auf die gesetzliche Vermutung berufen, dass der Preis des Angebots von 64 € je Stückaktie auch im Rahmen der Aktienübertragung nach § 39a Abs. 1 WpÜG durch Gerichtsbeschluss ein angemessener Preis ist, wobei grundsätzlich die Vermutung einer marktpreisorientierten Angemessenheitsvermutung nicht zu beanstanden ist (vgl. hier im Einzelnen: Stöwe, a.a.O., S. 63 ff., 97 ff. m.w.N.). Nach § 39a Abs. 3 WpÜG ist die im Rahmen des Übernahme- oder Pflichtangebots gewährte Abfindung als angemessene Abfindung anzusehen, wenn der Bieter aufgrund des Angebots Aktien i.H. v. mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob es sich hier um eine unwiderlegliche Vermutung (so: Steinmeyer, in: Häger/Santelmann, a.a.O., § 39a Rz. 25; Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2035; Dieckmann, NJW 2007, 17, 20; Holzborn, BKR 2007, 101, 106) handelt. Selbst wenn man es als eine widerlegliche Vermutung ansehen wollte (so: LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = NZG 2008, 665, offengelassen in der Beschwerdeentscheidung hierzu durch das OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74 = NJW 2009, 375 = NZG 2009, 74), wäre die Vermutung hier nicht entkräftet.

Die gegebene vermutete Angemessenheit der Abfindung wegen Erreichens des Quorums nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ist aufgrund des Vorbringens der Antragsgegner nicht erschüttert. Es sind von ihnen keine konkreten Anhaltspunkte vorgebracht worden, wonach 64 € je Stückaktie keine angemessene Abfindung sind. Diese Anhaltspunkte ergeben sich zunächst nicht aus den Überlegungen und Darlegungen einiger Antragsgegner, dass in einer Vielzahl von aktienrechtlichen Ausschlussverfahren, denen ein Übernahmeangebot vorausging, eine höhere Abfindung festgelegt wurde, als es dem Übernahmeangebot entsprach. Derartige behauptete allgemeine Erfahrungen können eine konkrete Vermutung nicht erschüttern. Vielmehr ist für eine derartige Erschütterung auf konkrete, die Zielgesellschaft betreffende Umstände abzustellen, aus denen sich die fehlende Angemessenheit der Abfindung aufdrängt. Unabhängig davon, ob hier betriebswirtschaftliche Bewertungsmodelle überhaupt geeignet sind, die Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG zu erschüttern (ablehnend OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74 = NJW 2009, 375 = NZG 2009, 74), sind die von einigen Antragsgegnern vorgebrachten (überschlägigen) Bewertungsannahmen, die auf der Ertragswertmethode beruhen, nicht geeignet, konkrete Anhaltspunkte für die Unangemessenheit der Bewertung zu erbringen. Diese Überlegungen blenden völlig die derzeitige wirtschaftliche Situation im Bankensektor aus, indem sie von den Erträgen der Vergangenheit (bis 2007) ein ständiges Wachstum der ausschüttbaren Erträge der I. AG unterstellen. Die absehbare künftige Ertragslage der Banken allgemein und der I. ist jedoch allgemeinkundig eine andere. Wie sich z.B. aus einer Pressemitteilung der I. AG zum 3. Quartal 2008 vom November 2008 ergibt, lag das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) bei 5 Mio. € (Q3 2007: 5,4 Mio. €) und der Nettogewinn erreichte 2,8 Mio. € (Q3 2007: 3,4 Mio. €), d.h. ist rückläufig.

Diese Vermutung wird auch nicht dadurch entkräftet, indem einzelne Antragsgegner geltend machen, dass weitere Gegenleistungen über Nebenabreden für die Erwerbe von den Herren Ha. und Wo. vereinbart und geflossen seien, bzw. bestritten wird, dass die Erwerbe der Antragstellerin nach Ende der Angebotsfrist zu 64 € je Aktien erfolgten. Das entsprechende Vorbringen einzelner Antragsgegner ist nicht durch tatsächliche Anhaltspunkte belegt, erscheint vielmehr aus der Luft gegriffen und ins Blaue hinein erfolgt. Ein solches dem Ausforschungsbeweis dienendes Vorbringen ist auch im echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit unbeachtlich und zwingt das Gericht nicht, im Wege der Amtsermittlung ZIP Heft 30/2009, Seite 1425diese Umstände aufzuklären, zumal grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin sich rechtstreu verhalten hat und ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 23 Abs. 2 WpÜG zutreffend nachgekommen ist.

Es bleibt daher bei der gesetzlichen Vermutung der Angemessenheit, ohne dass es darauf ankommt, ob im Verfahren nach §§ 39a, 39b WpÜG überhaupt eine Beweiserhebung zum Wert der Zielgesellschaft statthaft wäre (verneinend: LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = NZG 2008, 665).

Eine Vorlage an den EuGH oder und das BVerfG scheidet mangels Entscheidungserheblichkeit aus. Mangels dargelegter oder sonst erkennbarer Umstände, dass die gesetzliche Vermutung der Angemessenheit der Preise durch den Markttest im Rahmen des Übernahmeangebots (vgl. OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74 = NJW 2009, 375 = NZG 2009, 74) nicht eine angemessene Abfindung darstellt, ist nicht feststellbar, dass hier die Minderheitsaktionäre in ihrem Eigentumsrecht unstatthaft beeinträchtigt würden, d.h. es fehlt hier eine Entscheidungserheblichkeit. Auch aus Art. 15 der Übernahmerichtlinie (RL 2004/25/EG), die mit den §§ 39a f. WpÜG umgesetzt werden sollte, folgt nicht, dass es dem Gesetzgeber verwehrt wäre, hier eine gesetzliche Vermutung anzunehmen, vielmehr wird dies in dieser Richtlinie geradezu vorgegeben. Für das Gericht ist auch nicht ersichtlich, dass bei der Frage, ob der Antragsteller in der Angebotsfrist die 95 %-Schwelle erreichen muss oder es genügt, wenn diese in der Dreimonatsfrist zur Antragstellung erfolgt, verfassungsrechtliche oder europarechtliche Fragen tangiert würden. Es handelt sich hierbei nur um die verfahrensrechtliche Frage der Zulässigkeit des Antrags. Für die Frage, ob die Minderheitsaktionäre in ihrer Eigentumsstellung unangemessen beeinträchtigt werden, ist dieser verfahrensrechtliche Aspekt ohne Bedeutung. Auch aus den Art. 15 und 16 der Übernahmerichtlinie ergibt sich nichts zu der Frage des Verfahrens, diese regeln nur materielle Voraussetzungen (vgl. hierzu Kießling, a.a.O., S. 165 m.w.N.).

Ergänzend zum Antrag hat das Gericht ausdrücklich eine Zug-um-Zug-Übertragung gegen Zahlung der Abfindung ausgesprochen. Wenn sich auch nach Ansicht des Gerichts zwar schon diese Zug-um-Zug-Übertragung aus dem entsprechenden gerichtlichen Ausspruch „der Übertragung gegen Abfindung“ ergibt, hält die Kammer jedoch zur Klarstellung einen ausdrücklichen Ausspruch zur Sicherung des Art. 15 Abs. 5 Übernahmerichtlinie, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, „dass eine angemessene Abfindung garantiert wird“, für geboten (vgl. hierzu Heidel/Lochner, in: Heidel, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., § 39 WpÜG Rz. 27), zumal die Antragstellerin ihren Sitz im Ausland hat und es den Minderheitsaktionären nicht zumutbar ist, nach erfolgter Übertragung ggf. die Abfindung vor ausländischen Gerichten geltend zu machen. Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist auch das Gericht nicht zwingend an den gestellten Antrag gebunden (vgl. BGH NJW 1983, 173).

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Anmerkung der Redaktion:

Die Berufung ist anhängig beim OLG Frankfurt/M. unter dem Az. WpÜG 1/09.

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