OLG Brandenburg: Keine Ablehnung der Aufnahme eines Bewerbers in die Insolvenzverwalter-Vorauswahlliste wegen überdurchschnittlicher Belastung

15.10.2009

InsO § 56; EGGVG §§ 23 ff.

Keine Ablehnung der Aufnahme eines Bewerbers in die Insolvenzverwalter-Vorauswahlliste wegen überdurchschnittlicher Belastung

OLG Brandenburg, Beschl. v. 6. 8. 2009 – 11 VA 6/08

Leitsätze der Redaktion:

1. Die (momentane) Belastungssituation eines Insolvenzverwalters stellt kein taugliches Kriterium für die Aufnahme in die Insolvenzverwalter-Vorauswahlliste dar.

2. Eine besondere Be- bzw. Überlastung des Verwalters kann allenfalls im Rahmen des pflichtgemäßen Auswahlermessens bei einer Bestellungsentscheidung berücksichtigt werden.

Gründe:

I. Mit Schreiben vom 24.1.2006 trat der Antragsteller an das AG Potsdam – Insolvenzgericht – unter namentlicher Benennung der Antragsgegnerin zu 1b) (Insolvenzrichterin) heran und bat unter Übersendung ergänzender Informationen über seine Sozietät um künftige Berücksichtigung seines Büros bei der Vergabe von Gutachtenaufträgen/Bestellung als Insolvenzverwalter/Treuhänder.

Mit Schreiben vom 7.6.2007 übersandte der Antragsgegner zu 1a) (Insolvenzrichter) dem Antragsteller den Fragebogen des Insolvenzgerichts Potsdam für den Antrag vom 24.1.2006 auf Aufnahme in die Vorauswahlliste mit der Bitte um Ausfüllung und Rücksendung. Unter dem 20.8.2007 sandte der Antragsteller den ausgefüllten Fragebogen zurück.

Mit Schreiben vom 1.9.2008 teilte das AG durch den früheren Antragsgegner zu 1c) und die Antragsgegner zu 1a) und 1b) dem Antragsteller auf seine Bewerbung hin mit, dass er nach Prüfung seines Antrags zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf die Liste aufgenommen werde. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Angesichts der Ihnen bereits übertragenen mehr als 300 Regelinsolvenzverfahren, davon allein 60 im Jahre 2007 entsprechend den im Internet veröffentlichten Angaben, weisen Sie eine erheblich überdurchschnittliche Belastung allein mit Regelinsolvenzverfahren auf. Auf der Vorauswahlliste des Insolvenzgerichts befinden sich andere Kandidaten, die keine Belastungen Ihres Umfangs ausweisen. Es kann daher prognostiziert werden, dass im Rahmen der in einem konkreten Verfahren zu treffenden Auswahlentscheidungen diese Kollegen Ihnen vorzuziehen sein müssen, um keine Nachteile für die Insolvenzverfahren aufgrund einer zu großen Belastung eines Insolvenzverwalters zu riskieren. Bereits aufgrund Ihrer hohen Auslastungen mit Regelinsolvenzverfahren rechtfertigt es nach Ansicht des Insolvenzgerichts, Sie nicht auf die Vorauswahlliste des Insolvenzgerichts aufzunehmen. ...“

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem zunächst gegen die Antragsgegnerin zu 2) (Präsidentin des AG Potsdam) gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30.9.2008, der am selben Tage bei dem OLG Brandenburg eingegangen ist.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 teilte der Antragsteller mit, dass sich der Antrag gegen die die Vorauswahlliste führenden Insolvenzrichter richten solle. Er beantragt, die Präsidentin des AG Potsdam zu verpflichten, ihn in die Vorauswahlliste geeigneter Bewerber i.S.d. § 56 InsO für die Bestellung als Insolvenzverwalter/Treuhänder aufzunehmen.

II. 1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, §§ 23 ff. EGGVG. (Wird ausgeführt.)

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch begründet. Der Bescheid der Antragsgegner zu 1) vom 1.9.2008, mit dem die Aufnahme des Antragstellers in die Vorauswahlliste der Insolvenzverwalter abgelehnt wurde, ist rechtswidrig.

a) Nach § 56 Abs. 1 InsO ist zum Insolvenzverwalter eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere kundige und von den Gläubigern unabhängige natürliche Person zu bestellen. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG behält dem Richter die Zuständigkeit für das Eröffnungsverfahren einschließlich der Entscheidung über den Eröffnungsantrag und die Person des Insolvenzverwalters vor.

In der Sache ist nach der Entscheidung des BGH (Beschl. v. 19.12.2007 – IV AR (VZ) 6/07, ZIP 2008, 515 = ZVI 2008, 254, dazu EWiR 2008, 371 (Hess)) zu unterscheiden zwischen dem gerichtlich voll überprüfbaren Beurteilungsspielraum, der dem Entscheidungsträger zuzubilligen ist, wenn er einen Bewerber um Aufnahme in die Vorauswahlliste an den allgemeinen Kriterien für die fachliche und persönliche Eignung misst, und dem nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensspielraum des einzelnen Insolvenzrichters, der aus den gelisteten Bewerbern einen für ein einzelnes Verfahren bestimmt.

Zwar steht dem Richter bei der Insolvenzverwalterbestellung ein weites Auswahlermessen zu, doch kann dies angesichts der weitreichenden Entscheidung für oder gegen bestimmte Berufsangehörige nicht ohne Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG geschehen. Eine Chance auf eine Einbeziehung in ein konkret anstehendes Auswahlverfahren und damit auf Ausübung des Berufs hat ein potenzieller Insolvenzverwalter nur bei willkürfreier Einbeziehung in das Vorauswahlverfahren. Die Chancengleichheit der Bewerber ist gerichtlicher Überprüfung zugänglich. Allein sie gewährt insoweit die Beachtung subjektiver Rechte (BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00, ZIP 2004, 1649 (m. Bespr. Wieland, ZIP 2005, 233) = ZVI 2004, 470, und BVerfG, Beschl. v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06, ZIP 2006, 1541 = ZVI 2006, 398, dazu EWiR 2006, 599 (Römermann)).

Für das Vorauswahlverfahren steht die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der persönlichen und fachlichen Eignung im Vordergrund. Ein dem konkreten Insolvenzverfahren vorgelagertes allgemeines Vorauswahlverfahren darf sich nicht nur auf das Erstellen einer Liste mit Namen und Anschriften des Personenkreises beschränken, der bereit ist, als Insolvenzverwalter tätig zu werden. Es ist vielmehr Aufgabe des Gerichts, Kriterien für die Feststellung der Eignung eines Bewerbers sowie für eine sachgerechte Ausübung des Auswahlermessens zu entwickeln. Das Modell einer „geschlossenen Liste“, nach dem die Zahl der aufgenommenen Bewerber begrenzt ist und nur bei Ausscheiden einer bereits geführten Person ein neuer Bewerber in den Kreis möglicher Insolvenzverwalter aufgenommen wird, trägt nach der Rechtsprechung des BVerfG der Chancengleichheit der Bewerber nicht hinrei-ZIP Heft 40/2009, Seite 1918chend Rechnung (BVerfG ZIP 2004, 1649). Eine Liste ist daher so zu führen, dass in sie jeder Bewerber aufgenommen wird, der die grundsätzlich zu stellenden Anforderungen an eine generelle, von der Typizität der einzelnen Insolvenzverfahren gelöste Eignung für das Amt des Insolvenzverwalters erfüllt. Dabei ist sicherzustellen, dass eine mit Blick auf die Eigenheiten des konkreten Verfahrens und die spezielle Eignung der Bewerber sachgerechte und damit pflichtgemäße Ermessensausübung erfolgt (BVerfG ZIP 2004, 1649; Graeber, NJW 2004, 2715). Erfüllt der Bewerber die nach diesen Grundsätzen aufgestellten persönlichen und fachlichen Anforderungen für das Amt des Insolvenzverwalters, so kann ihm die Aufnahme in die Liste nicht versagt werden. Ein weitergehendes Auswahlermessen besteht nicht (BGH ZIP 2008, 515).

b) Dem so formulierten Anspruch des Antragstellers wird die ablehnende Entscheidung der Antragsgegner zu 1) vom 1.9.2008 nicht gerecht.

Die Nichtaufnahme des Antragstellers in die Vorauswahlliste wird nicht mit fehlender persönlicher oder fachlicher Qualifikation für das Amt des Insolvenzverwalters begründet, sondern damit, dass er eine erheblich überdurchschnittliche Belastung allein mit Regelinsolvenzen aufweise.

Die Argumente der Antragsgegner tragen ihre ablehnende Entscheidung nicht. Die (momentane) Belastungssituation des Antragsgegners stellt bereits kein taugliches Kriterium dar, den Antragsgegner nicht auf die Vorauswahlliste aufzunehmen. Eine besondere Be- bzw. Überlastungssituation mag allenfalls dazu führen, dass im Rahmen der Ausübung des pflichtgemäßen Auswahlermessens bei einer Bestellungsentscheidung dieser Umstand berücksichtigt werden könnte. Dies ist aber erst im konkreten Bestellungsfall zu prüfen.

Es verbietet sich jedenfalls, die anstehenden Prüfungen aufgrund der momentanen Belastungssituation prognostisch für die Zukunft vorwegzunehmen und die Aufnahme des Antragstellers auf die Vorauswahlliste aus diesem Grund zu versagen.

Zutreffend weist der Antragsteller im Übrigen darauf hin, dass sich die Antragsgegner zu 1) mit ihren Argumenten in Widerspruch zu ihrer eigenen Aufnahme- und Bestellpraxis setzen. Wie diese in ihrer Stellungnahme vom 6.2.2009 ausführen, werden Insolvenzverwalter bestellt, die z.T. erheblich die durchschnittlichen Belastungszahlen überschreiten. Gerade dies belegt aber, dass die Frage der Belastungssituation, die im Übrigen einem ständigen Wandel unterliegt, für die Antragsgegner kein für die Aufnahme auf die Vorauswahlliste entscheidendes Kriterium darstellt, vielmehr erst im Rahmen der konkreten Auswahlentscheidung darüber zu befinden ist, ob die Belastungssituation einer Bestellung entgegensteht.

Davon abgesehen führt der Umstand, dass dem Antragsteller von den Antragsgegnern zu 1) keine Gelegenheit gegeben werden soll, seine Belastungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, im Ergebnis dazu, dass es neuen Bewerbern, die eine Belastungssituation wie der Antragsteller aufweisen, unmöglich gemacht wird, auf die Vorauswahlliste aufgenommen zu werden. Dies bedeutet, dass sich aufgrund der Bestellpraxis der Antragsgegner zu 1) deren Vorauswahlliste insoweit als eine sog. „geschlossene“ Liste darstellt. Eine solche trägt – wie ausgeführt – der Chancengleichheit der Bewerber nicht hinreichend Rechnung, da vom Kreis der überdurchschnittlich belasteten Bewerber nur die bislang bekannten Personen von den Antragsgegnern zu 1) berücksichtigt werden.

Der Senat kann allerdings nicht die Verpflichtung der Antragsgegner zu 1) aussprechen, die Aufnahme in die Liste vorzunehmen (vgl. § 28 Abs. 2 Satz 1 EGGVG), da die Antragsgegner zu 1) grundsätzlich einen eigenen (überprüfbaren) Beurteilungsspielraum haben. Grundsätzlich ist nämlich die Aufstellung konkret beschriebener sachgerechter Mindestanforderungen und die Beurteilung, ob ein Antragsteller diese Kriterien ausfüllt, zunächst Sache der Insolvenzrichter. Ausnahmen, die es vorliegend rechtfertigen würden, dem Antrag des Antragstellers in vollem Umfang zu entsprechen, sind nicht ersichtlich.

Daher war unter Aufhebung des Bescheides vom 1.9.2008 die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates an das AG zurückzuverweisen.

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