OLG Düsseldorf: Eintragung einer arbeitnehmerlosen SE ohne Nachweis der Arbeitnehmerbeteiligung

27.05.2009

SE-VO Art. 2 Abs. 3, Art. 12, 16, 35; SEAG § 3; SEBG § 18

Eintragung einer arbeitnehmerlosen SE ohne Nachweis der Arbeitnehmerbeteiligung

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30. 3. 2009 – I-3 Wx 248/08

Leitsätze des Gerichts:

1. Erklären die maßgeblichen Beteiligten an der Gründung einer Societas Europaea – SE (hier eine deutsche GmbH und eine britische Ltd. und die künftige SE), weder Arbeitnehmer zu haben noch solche jemals beschäftigen zu wollen, so stellt der fehlende Nachweis der Arbeitnehmerbeteiligung ein Eintragungshindernis nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO nicht dar.

2. Die unter 1. genannten Grundsätze gelten auch für die Gründung einer Tochter-SE als „Vorratsgesellschaft“.

3. Zur Frage einer Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens bei Ausstattung der Vorrats-SE mit einem Arbeitnehmer beschäftigenden Unternehmen.

Gründe:

Die Gründerinnen, eine GmbH mit Sitz in Bonn sowie eine Vermögensverwaltungs Ltd. mit Sitz in Birmingham/Großbritannien, ZIP 2009, Seite 919beabsichtigen, die Beteiligte als Europäische Aktiengesellschaft (SE) zu gründen, und erstreben ihre Eintragung in das Handelsregister. Sämtliche Beteiligten versichern, weder Arbeitnehmer zu beschäftigen noch die Einstellung von Arbeitnehmern zu beabsichtigen.

Das Amtsgericht – Registergericht – hat den entsprechenden Eintragungsantrag vom 15. Februar 2008 mit Beschluss vom 28. Mai 2008 abgelehnt, weil die Eintragung einer SE ohne Regelung der Arbeitnehmerbeteiligung nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 SE-VO nicht möglich sei. Hiergegen hat sich die Beteiligte beschwert. Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das LG hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 24. September 2008 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte mit ihrer weiteren Beschwerde.

II. Das zulässige Rechtsmittel ist begründet, denn die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhen auf einer Rechtsverletzung i.S.d. § 27 FGG.

1. Das LG hat sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Nichtabhilfebeschluss des AG bezogen. Diese Erwägungen des LG halten der dem Senat obliegenden rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

2. a) Zunächst ist festzuhalten, dass die SE, die ihre Rechtspersönlichkeit erst am Tag ihrer Eintragung in das Handelsregister erwirbt (Art. 16 Abs. 1, Art. 12 SE-VO; § 3 SEAG), gleichwohl bereits allein deshalb beschwerdeberechtigt ist, weil eine von ihr angeblich eingelegte Beschwerde zurückgewiesen wurde (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., 2003, § 20 Rz. 959).

b) aa) Maßgebliche Bestimmungen für die Gründung einer SE sind u.a. die SE-VO (VO (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl L 294 v. 10.11.2001, S. 1), ferner das Gesetz zur Ausführung der SE-VO (SE-Ausführungsgesetz – SEAG, BGBl I 2004, 3675), schließlich die SE-RL, die durch das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) umgesetzt wurde (BGBl I 2004, 3686).

Eine SE kann nicht einfach als Bar- oder Sachgründung durch eine natürliche Person gegründet werden. Sie entsteht vielmehr originär durch Verschmelzung, durch Gründung als Holding-Gesellschaft, durch Gründung einer gemeinsamen Tochter-Gesellschaft oder durch formwechselnde Umwandlung (numerus clausus der Gründungsformen; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 370). Voraussetzung für die Gründung einer SE ist zudem ein sog. Mehrstaatenbezug, für den je nach Art der Gründung unterschiedliche Maßstäbe gelten. Neben den originären Gründungsformen kann eine SE gem. Art. 3 Abs. 2 SE-VO durch eine bereits bestehende SE als Tochtergesellschaft errichtet werden (sog. sekundäre Gründungsmöglichkeit). Anders als bei der Gründung einer gemeinsamen Tochter handelt es sich hierbei um die Gründung einer 100 %igen Tochter der Gründungsgesellschaft; ein Mehrstaatenbezug wird für diesen Gründungsweg nicht verlangt (Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 370).

bb) (a) Vorliegend soll die Gesellschaft als Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3, Art. 35 SE-VO) gegründet werden. Bei dieser Gründungsform bleiben die Anteilsinhaber der die Gründung anstrebenden Gesellschaften Anteilsinhaber dieser Gesellschaften; sie werden nicht zu Aktionären der SE. Aktionäre der SE werden die die Gründung anstrebenden Gesellschaften bzw. juristischen Personen durch Übernahme der Aktien der SE (Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 412), hier die GmbH mit Sitz in Bonn sowie die Ltd. mit Sitz in Birmingham/Großbritannien.

(b) (aa) Zu Unrecht haben die Vorinstanzen in dem fehlenden Nachweis der Arbeitnehmerbeteiligung ein Eintragungshindernis gesehen.

Zwar ist Ziel der SE-RL auf der einen Seite die Sicherung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer, auf der anderen Seite der Vorrang für Verhandlungslösungen. Die Bedeutung der Wahrung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer wird dadurch unterstrichen, dass sie gesellschaftsrechtlich durch die Eintragungssperre des Art. 12 Abs. 2 SE-VO sichergestellt wird (Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 374).

Wie Art. 12 Abs. 2 SE-VO zeigt, geht die SE-VO auch als selbstverständlich davon aus, dass die Gründungsgesellschaften und damit auch die SE über Arbeitnehmer verfügen, mit denen über eine Mitbestimmungsregelung verhandelt werden kann (MünchKomm-Schäfer, AktG, 2. Aufl., 2006, Art. 16 SE-VO Rz. 13).

(bb) Dies zwingt indes nicht zu der Annahme, dass eine arbeitnehmerlose SE nicht Gründungsgegenstand sein kann. In den Fällen der Gründung einer arbeitnehmerlosen Tochter-SE kann nämlich von der Durchführung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens abgesehen werden.

Nach AG Düsseldorf ZIP 2006, 287 ist eine Durchführung des Verfahrens über die Beteiligung der Arbeitnehmer entbehrlich, wenn weder bei der zu gründenden SE noch bei den Gründungsgesellschaften Arbeitnehmer beschäftigt sind und dieser Tatbestand gegenüber dem Registergericht versichert wird.

Erklären die maßgeblichen Beteiligten – wie hier – für die Gründungsgesellschaften und die künftige SE, weder Arbeitnehmer zu haben noch solche jemals haben zu wollen, so erscheint dies zwar nicht unproblematisch, weil das Registergericht nicht in der Lage ist, die Wahrhaftigkeit und Beständigkeit der Erklärung zu überprüfen (LG Hamburg ZIP 2005, 2017 (m. Bespr. Seibt, S. 2248 u. Frodermann/Jannott, S. 2251), dazu EWiR 2005, 905 (Noack)). Hier gilt aber nichts anderes als in sonstigen Fällen, in denen das Registergericht – außerhalb konkreter Verdachtsmomente – auch nicht gehalten ist, die Angaben eines um Eintragung nachsuchenden Antragstellers zu überprüfen.

Weiter ist zu bedenken, dass die Arbeitnehmerbeteiligung nicht in erster Linie Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE sichern, sondern verhindern soll, dass Arbeitnehmer der Gründungsgesellschaften durch die Einbringung in eine SE ihre erworbenen Beteiligungsrechte einbüßen. So bestimmt Erwägungsgrund (3) SE-RL:

„Um die Ziele der Gemeinschaft im sozialen Bereich zu fördern, müssen besondere Bestimmungen – insbesondere auf dem Gebiet der Beteiligung der Arbeitnehmer – festgelegt werden, mit denen gewährleistet werden soll, dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herr-ZIP 2009, Seite 920schen. Dieses Ziel sollte durch die Einführung von Regeln in diesem Bereich verfolgt werden, mit denen die Bestimmungen der Verordnung ergänzt werden.“

Erwägungsgrund (7): „Sofern und soweit es in einer oder in mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte gibt, sollten sie durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben, es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen.“

Auffangregelung nach Art. 7: Anhang Teil 3 b) Satz 2: „Bestanden in keiner der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE Vorschriften über die Mitbestimmung, so ist die SE nicht verpflichtet, eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen.“

Hieraus lässt sich die Tendenz ableiten, dass von vornherein nicht mitbestimmungspflichtige – weil arbeitnehmerlose – Gründungen nicht an fehlender Arbeitnehmerbeteiligung scheitern sollen.

Das Verbot einer arbeitnehmerlosen SE widerspräche überdies dem Zweck der SE-VO. Die Verordnung beruht auf der Ermächtigung in Art. 308 EG. Die Europäische Gemeinschaft verfolgt mit ihr das Ziel, den Binnenmarkt zu vollenden, indem sie eine gemeinschaftsrechtliche Aktiengesellschaft als Rechtsform zur Verfügung stellt. Unternehmerische Aktivitäten sind indes nicht stets mit der Beschäftigung von Arbeitnehmern verbunden. Es liefe daher dem auf größtmögliche Freiheit angelegten Verordnungszweck zuwider, wenn die Beschäftigung von Arbeitnehmern Voraussetzung für eine wirksame Gesellschaftsgründung wäre (Schubert, ZESAR 2006, 340, 341).

cc) Eine abweichende Beurteilung im Hinblick auf das Erfordernis eines Nachweises der Arbeitnehmerbeteiligung auch für die Eintragung arbeitnehmerloser Gesellschaften ergibt sich auch nicht, wenn sie – wie hier – als Vorratsgesellschaft, also mit dem Ziel einer alsbaldigen Veräußerung an Dritte, im Rechtsverkehr platziert werden sollen.

(a) Dass die SE auch als Vorratsgesellschaft gegründet werden kann, entspricht der ganz überwiegenden Meinung, der der Senat folgt (MünchKomm-Jacobs, AktG, 2. Aufl., 2006, § 3 SEBG Rz. 2; Spitzbart, RNotZ 2006, 369, 414 m. Nachw.).

(b) Gelangt eine Vorrats-SE zur Entstehung, so ist eine Gefährdung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zwar nicht von der Hand zu weisen. Die Eintragung einer Vorrats-SE kommt in diesem Fall naturgemäß nur unter Verzicht auf ein vorangegangenes Beteiligungsverfahren in Betracht, und nach dem Konzept der SE-RL bzw. SE-VO führt allein der spätere Anstieg der Arbeitnehmerzahlen grundsätzlich nicht zur erneuten (hier also erstmaligen) Aufnahme von Verhandlungen gem. § 18 SEBG (MünchKomm-Schäfer, a.a.O., Art. 16 SE-VO Rz. 13; MünchKomm-Jacobs, a.a.O., § 18 SEBG Rz. 18).

(c) Dieses Problem wird in der Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Überprüfung der RL 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 (KOM (2008) 591 endg.) zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer ausdrücklich erwähnt. So heißt es unter Punkt 4 (Themen, die von den Mitgliedsstaaten und den europäischen Sozialpartnern während der Anhörung angesprochen wurden) zum Unterpunkt 4.3 „Änderungen in der SE nach ihrer Gründung“:

„Einige Mitgliedstaaten haben darauf hingewiesen, dass die Richtlinie keine Bestimmungen für das Verfahren bei Änderungen in der SE nach ihrer Gründung enthält. Insbesondere wurde auf das Problem von eingetragenen SE ohne Arbeitnehmer oder Geschäftstätigkeit sowie die Frage der Arbeitnehmerbeteiligung bei der Aufnahme der Geschäftstätigkeit und Einstellung von Personal durch die SE aufmerksam gemacht.“

In der dortigen Fußnote 9 wird unter Bezug auf das sog. SE-Factsheet (Stand: Oktober 2008) darauf hingewiesen, dass über die Hälfte der SE, für die Daten vorliegen, zum Zeitpunkt der Eintragung nicht über Arbeitnehmer verfügten. In diesem Factsheet wird ausdrücklich eingeräumt, dass durch die Gründung von SE's, die im Gründungszeitpunkt keine Arbeitnehmer beschäftigen, die durch die SE-RL beabsichtigte Einführung von Mechanismen zur Sicherung der Arbeitnehmerkonsultation und -beteiligung umgangen werden können (www.worker-participation.eu/european_company/se_companies). Es sei noch unklar, wie in diesen SE´s die Arbeitnehmerbeteiligung garantiert werden könne. Auf die Entwicklung werde von den europäischen Gewerkschaften warnend hingewiesen.

Die Kommission selbst hat in ihrer Mitteilung (KOM (2008) 591 endg.) vom 30. September 2008 ihre Besorgnis darüber formuliert, dass in der SE-RL die Mitgliedstaaten zwar verpflichtet werden, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass eine SE mit dem Ziel gegründet wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte, die sie bereits innehatten, zu entziehen oder vorzuenthalten, dass aber andererseits einige Mitgliedstaaten derartige Maßnahmen nicht getroffen haben (3.6 – Verfahrensmissbrauch).

(d) Als Lösungsalternativen zur Vermeidung einer Umgehung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer bei der Gründung einer „Vorrats-SE“ kommt in Betracht, entweder die SE-Vorratsgründung an dem fehlenden Beteiligungsverfahren überhaupt scheitern zu lassen (so AG und LG Hamburg ZIP 2005, 2017, 2018 für den Fall, dass die Gründungsgesellschaften über Arbeitnehmer verfügen), wobei die bloße Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs für sich genommen einen hinreichenden Grund für die Versagung eines Rechts weder allgemein noch mit Blick auf die Vorratsgründung darzustellen vermag, oder das Beteiligungsverfahren nachzuholen, sobald die Vorrats-SE wirtschaftlich neu gegründet, namentlich mit einem Unternehmen ausgestattet wird und infolgedessen über Arbeitnehmer verfügt.

Als Grundlage für eine solche (nachträgliche) Verhandlungspflicht bietet sich eine Analogie zu § 1 Abs. 4, § 18 Abs. 3 SEBG an. Denn diese Vorschriften übertragen die für die Gründung geltenden Grundsätze auf Strukturänderungen. Die Gesetzesbegründung selbst nennt als Beispiel für eine strukturelle Änderung i.S.d. § 18 SEBG die Aufnahme eines mitbestimmten Unternehmens durch eine nicht mitbestimmte SE (BT-Drucks. 15/3405, S. 50 (zu § 18 Abs. 3 SEBG); MünchKomm-Schäfer, a.a.O., Art. 16 SE-VO Rz. 13).

ZIP 2009, Seite 921

Demnach ist die Vorratsgründung zulässig, das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren aber gem. § 18 Abs. 3 SEBG nachzuholen, sobald die SE im beschriebenen Sinne zum Leben erweckt wird (MünchKomm-Schäfer, a.a.O., Art. 16 SE-VO Rz. 13; Seibt, ZIP 2005, 2248, 2251). Letzteres dürfte dem angestrebten Ziel der Verhinderung eines Missbrauchs (vgl. Art. 11 SE-RL) Rechnung tragen.

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