OLG Düsseldorf: Kein Erlöschen der Nachzahlungsansprüche von Vorzugsaktionären mit Erfüllung des Insolvenzplans

22.12.2009

InsO §§ 217, 227, 243 ff.; AktG §§ 140, 141

Kein Erlöschen der Nachzahlungsansprüche von Vorzugsaktionären mit Erfüllung des Insolvenzplans

OLG Düsseldorf, Urt. v. 30. 9. 2009 – I-6 U 166/08 (nicht rechtskräftig; LG Düsseldorf <fundstelle>ZIP 2009, 1337</fundstelle>)

Leitsatz der Redaktion:

§ 227 Abs. 1 InsO, wonach der Schuldner mit der im Insolvenzplan vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern befreit wird, ist einer teleologischen Ausweitung dahin, dass von der Befreiung auch Nachzahlungsansprüche der Vorzugsaktionäre der Schuldnerin erfasst sind, nicht zugänglich.

Zum Sachverhalt:

Die Kläger sind Inhaber von Vorzugsaktien der beklagten AG. Die Beklagte ist eine börsennotierte AG. Sie entstand 1986 durch Umwandlung und ist seit November 1986 im Handelsregister eingetragen. Das Grundkapital der Beklagten ist aufgeteilt in 1.413.551 auf den Namen lautende Stammaktien und 154.000 auf den Inhaber lautende Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Nach § 2 Nr. 3 der Satzung der AG erhalten die Vorzugsaktien aus dem jährlichen Bilanzgewinn vorab eine nachzuzahlende Dividende von 1,41 € und zusätzlich eine Mehrdividende gegenüber Stammaktionären von 1,41 € je Aktie. Die letzte Gewinnausschüttung auf Vorzugsaktien erfolgte für das Geschäftsjahr 2002.

Auf Antrag der Beklagten vom 7.9.2004 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 1.12.2004 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Ab 11.2.2005 beschloss die Gläubigerversammlung, die Beklagte im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens zu sanieren. Kernpunkte des Sanierungskonzepts waren die Beseitigung ZIP 49/2009, 2351der Überschuldung der Beklagten und die Wiederherstellung ihres Eigenkapitals.

Die außerordentliche Hauptversammlung der Beklagten vom 8.3.2007 beschloss eine Kapitalherabsetzung und eine anschließende Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien, zugleich wurde der Vorstand angewiesen, die Kapitalmaßnahmen erst zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, nachdem das Insolvenzgericht einen Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt hat. Der daraufhin erstellte Insolvenzplan wurde von der Gläubigerversammlung am 4.9.2007 angenommen. Danach sollten die Gläubiger 14,7 % als Barquote sowie eine weitere Quote von 23,7 % erhalten. Von den verbleibenden 61,6 % der Forderungen sollte die Beklagte zur Beseitigung ihrer Überschuldung befreit werden. Das Amtsgericht bestätigte den Insolvenzplan mit Beschluss vom 14.11.2007. Rechtsmittel hiergegen wurden nicht eingelegt. Der Insolvenzplan stand u.a. unter der Bedingung, dass die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten über die Kapitalmaßnahmen bestandkräftig waren und die neuen Aktien durch die Erwerbergesellschaft gezeichnet worden waren. Nachdem die von Aktionären der Beklagten erhobenen Anfechtungsklagen gegen die Kapitalmaßnahmen durch Vergleich beigelegt worden waren, wurden die Beschlüsse über die Kapitalmaßnahmen und deren Durchführung am 7.12.2007 ins Handelsregister eingetragen. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 31.12.2007 mit Wirkung zum 31.12.2007 24.00 Uhr aufgehoben.

Am 2.1.2008 veröffentlichte die Beklagte eine Mitteilung, in der sie die Auffassung vertrat, dass durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens die bis dahin entstandenen Rechte der Inhaber von Vorzugsaktien der Gesellschaft auf Nachzahlung rückständiger Vorzugsbeträge und deren Stimmrecht erloschen seien.

Die Kläger beantragten, festzustellen, dass ihnen für die in ihrem Eigentum befindlichen Vorzugsaktien der Beklagten ein Stimmrecht gem. § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG sowie Nachzahlungsrechte für die seit dem Geschäftsjahr 2003 nicht geleisteten Vorzugsdividenden i.H. v. derzeit 7,05 € pro Vorzugsaktie zustehen, da sowohl das wegen des Ausbleibens der Zahlung einer Vorzugsdividende aufgelebte Stimmrecht als auch die entsprechenden Nachzahlungsrechte nicht durch die Rechtskraft der mit gerichtlicher Bestätigung des Insolvenzplans vom 14. November 2007 eingetretenen Restschuldbefreiung betroffen sind.

Das LG Düsseldorf gab mit Urteil vom 10.10.2009 (ZIP 2009, 1337) den Klagen statt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Gründe:

B. Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg, da die zulässigen Feststellungsklagen der Kläger begründet sind. Ihnen stehen für die in ihrem Eigentum stehenden Vorzugaktien der Beklagten gem. § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG Stimmrechte und Nachzahlungsrechte für seit dem Geschäftsjahr 2003 nicht geleisteten Vorzugsdividenden zu.

I. Die Feststellungsklagen sind gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. (Wird ausgeführt.)

II. Die Feststellungsklagen sind auch begründet.

1. Gemäß § 2 Nr. 3 der Satzung der Beklagten stehen den Klägern aus dem jährlichen Bilanzgewinn vorab eine nachzuzahlende Dividende von 1,41 € und eine Mehrdividende gegenüber den Stammaktionären von 1,41 € pro Aktie pro Jahr seit dem Geschäftsjahr 2003 zu. Einschließlich des Geschäftsjahres 2007 errechnet sich die an die Kläger nachzuzahlende Vorzugsdividende auf insgesamt 7,05 € pro Aktie. Denn die Beklagte hat den Klägern die satzungsmäßig versprochene Vorzugsdividende für diesen Zeitraum unstreitig nicht gezahlt. Die für eine Auszahlung notwendigen Gewinnverwendungsbeschlüsse wurden unstreitig nicht gefasst.

Die daraus erwachsenen Nachzahlungsrechte sind nicht durch die Aufhebung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten mit Beschluss des AG vom 31. Dezember 2007 erloschen. Denn Nachzahlungsrechte werden von der in § 227 Abs. 1 InsO vorgesehenen Restschuldbefreiung nicht erfasst.

Infolge bestehender Nachzahlungsrechte seit dem Geschäftsjahr 2003 sind die Kläger deshalb nach wie vor gem. § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG stimmberechtigt.

a) Nach dem Wortlaut des § 227 Abs. 1 InsO werden Nachzahlungsrechte aus Vorzugsaktien von der nach erfolgreicher Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens gem. §§ 217 ff. InsO möglichen Restschuldbefreiung nicht erfasst. Denn eine solche Restschuldbefreiung kommt nur gegenüber Insolvenzgläubigern in Betracht. Vorzugsaktionäre sind indes im Hinblick auf unbefriedigte unselbstständige Nachzahlungsrechte keine Insolvenzgläubiger.

Gemäß § 38 InsO sind Insolvenzgläubiger persönliche Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Insolvenzschuldner haben. Da das Insolvenzverfahren dem Gläubiger nur eine anteilsmäßige Befriedigung in Geld bietet (Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 45 Rz. 1), muss der Vermögensanspruch seinem Inhalt nach auf die Zahlung einer Geldsumme gerichtet sein oder nach § 45 InsO in eine Geldsumme umgerechnet werden können.

Das Nachzahlungsrecht kann zwar grundsätzlich als ein bedingter schuldrechtlicher Geldzahlungsanspruch des Vorzugsaktionärs gegen die AG ausgestaltet sein. Hierzu bedarf es aber einer ausdrücklichen Regelung in der Satzung der Gesellschaft. Denn § 140 Abs. 3 AktG gestaltet Nachzahlungsrechte grundsätzlich als bloße Mitgliedsrechte der Vorzugsaktionäre aus mit der Folge, dass sie bis zum späteren Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung der AG unselbstständiger Bestandteil der Vorzugsaktie bleiben. Nachzahlungsrechte sind nicht selbstständig verkehrsfähig i.S.d. § 398 BGB (Hüffer, AktG, 8. Aufl., § 140 Rz. 9 f.). Sieht die Satzung der AG – wie im Streitfall – eine Ausgestaltung der Nachzahlungsrechte der Vorzugsaktionäre als schuldrechtlichen Geldzahlungsanspruch nicht vor, kann dies allerdings durch satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung gem. § 179 AktG nachgeholt werden, der gem. § 141 Abs. 1 AktG eines zustimmenden Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre bedarf, da in deren satzungsmäßig festgelegte Rechte eingegriffen wird und diese geändert werden. Ein solcher satzungsändernder Beschluss der Hauptversammlung nebst Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre der Beklagten ist indes im Streitfall bisher unstreitig ebenfalls nicht gefasst worden.

b) Eine teleologische Extension von § 227 Abs. 1 InsO kommt nicht in Betracht. Anlass für eine richterliche Rechtsfortbildung besteht im Streitfall nicht, da § 227 Abs. 1 InsO auch in Verbindung mit § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG keine planwidrige Regelungslücke aufweist.

aa) Das BVerfG hat die Aufgabe und Befugnis der Gerichte zu richterlicher Rechtsfortbildung allerdings stets anerkannt (vgl. BVerfGE 34, 269, 287 f.; BVerfGE 49, 304, 318, jew. m.w.N.). Rechtsfortbildung war in der deutschen Rechtsgeschichte ZIP 49/2009, 2352nicht nur seit jeher eine anerkannte Funktion der Rechtsprechung; sie ist im modernen Staat geradezu unentbehrlich. Auf ihr beruhen gewichtige Regelungen des gegenwärtigen bürgerlichen und öffentlichen Rechts (BVerfGE 65, 182 = ZIP 1984, 78, juris Rz. 31 f. m.w.N.).

Unter dem GG sind richterlicher Rechtsfortbildung indessen durch den Grundsatz der Rechts- und Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG Grenzen gezogen, die sich nicht in eine allgemeine und für alle Fälle gleichermaßen geltende Form fassen lassen. Eine richterliche Rechtsfortbildung kommt deshalb nur in Betracht, wenn einsichtig gemacht werden kann, dass das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den „fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“ (BVerfGE 34, 269, juris Rz. 38; BVerfGE 9, 338, 349).

Die Voraussetzungen für eine richterliche Rechtsfortbildung liegen hier jedoch nicht vor. Weder gesetzgeberische Ziele noch anerkannte Wertvorstellungen gebieten eine Einbeziehung der Nachzahlungsrechte der Vorzugsaktionäre in die in § 227 Abs. 1 InsO vorgesehene Restschuldbefreiung. Dies gilt insbesondere auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, der der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent ist. Denn auch dieser Gesichtspunkt findet bei Anwendung des geschriebenen Gesetzes im Streitfall hinreichende Berücksichtigung.

bb) Mit der Einführung des Insolvenzplanverfahrens gem. §§ 217 ff. InsO hat der Gesetzgeber dem Primat der Gläubigerbefriedigung als dem vorrangigen Ziel eines Regelinsolvenzverfahrens das weitere Ziel der Vermögenserhaltung der Schuldnerin beigeordnet, das nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland seit der Nachkriegszeit zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Denn neben dem durch wirtschaftliche Entwicklung wachsenden allgemeinen Wohlstand gewannen auch arbeitsmarktpolitische Ziele und interaktive wirtschaftliche Zusammenhänge großer Unternehmen zunehmend an Bedeutung (vgl. Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., Vorbemerkung zu §§ 217 ff. Rz. 1 ff.). Hierbei gebührt dem Ziel der Vermögenserhaltung allerdings kein Vorrang vor Gläubigerinteressen und Gesellschafterinteressen bzw. Interessen der Aktionäre. Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung des Insolvenzplanverfahrens gem. §§ 217 ff. InsO vielmehr dafür entschieden, auch die Sanierung eines insolventen Unternehmens einem förmlichen Insolvenzverfahren und der Leitung und Aufsicht eines staatlich bestimmten Insolvenzverwalters sowie des zuständigen Insolvenzgerichts zu unterstellen und nicht lediglich einem ausschließlich nach den Regeln der Wirtschaft handelnden privaten Sanierer anzuvertrauen. Die Gläubiger sind nach § 218 Abs. 3 InsO bei der Aufstellung des Insolvenzplans durch den Insolvenzverwalter zu beteiligen und stimmen gem. §§ 235 ff. InsO über diesen ab. Dies allein schon zeigt, dass das Interesse der Insolvenzschuldnerin an einer Sanierung und ihrem Fortbestehen nach wie vor der Gläubigerautonomie unterstellt wird und das Ziel des Insolvenzverfahrens, eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu erreichen, auch das Insolvenzplanverfahren beherrscht (vgl. Lüer, a.a.O., vor §§ 217 – 269 Rz. 5 m.w.N.). Durch das in § 245 InsO aufgenommene Obstruktionsverbot wird zwar grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, einen Insolvenzplan auch gegen den Willen der Mehrheit einer Gläubigergruppe durchzusetzen. Da dies jedoch nur unter engen und im Gesetz näher dargelegten Voraussetzungen geschehen kann und insbesondere nur dann, wenn sich im Übrigen die Mehrheit der beteiligten Gläubigergruppen für den vorgeschlagenen Insolvenzplan ausgesprochen hat, stellt auch das Obstruktionsverbot des § 245 InsO das Primat der Gläubigerautonomie und Gläubigerbefriedigung nicht infrage.

Das Insolvenzplanverfahren eröffnet allerdings allen Beteiligten Gestaltungsmöglichkeiten, in deren Rahmen auch allein wirtschaftliche Überlegungen zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden können. Denn nach § 1 InsO stellt der vom Regelinsolvenzverfahren abweichende Insolvenzplan eine von mehreren, gleichberechtigten Verwaltungs- und Befriedigungsmöglichkeiten im Insolvenzverfahren dar. Zudem folgt die grundsätzliche Entscheidung zwischen Liquidation oder Sanierung des schuldnerischen Unternehmens betriebswirtschaftlichen Überlegungen (Keller, Insolvenzrecht, 2006, Rz. 1630 m.w.N.). Das Insolvenzplanverfahren bietet die Möglichkeit, im Wege des Verhandlungsprozesses zwischen allen Beteiligten frei von staatlicher Reglementierung eine für alle Beteiligten günstige Verwertungs- und Befriedigungsmöglichkeit zu finden und zugleich die wirtschaftlichen Belange der Schuldnerin zu berücksichtigen (Graf-Schlicker/Kebekus, InsO, 2007, § 217 Rz. 3 mit Hinweis auf die Allgemeine Begründung RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 72 ff., abgedruckt in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Bd. I: InsO, RWS-Dokumentation 18, S. 110 ff.). Durch die vom Gesetzgeber vorgegebene Unabhängigkeit der gesellschaftsrechtlichen Struktur der Insolvenzschuldnerin vom Insolvenzplanverfahren liegt die Verantwortung für die Durchführung der für eine Reorganisation der Schuldnerin notwendigen gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen allerdings in der Verantwortung der Schuldnerin und ihrer Gesellschafter bzw. Aktionäre. Von der Möglichkeit einer gerichtlichen Ersetzung etwaiger Zustimmungen der Gesellschafter zu zwingend erforderlichen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen hat die mit den Gesetzgebungsarbeiten zur Schaffung der InsO befasste Kommission bewusst Abstand genommen, um den Insolvenzrichter nicht in die Position eines gesellschaftsrechtlichen „Zwangsbeglückers“ zu versetzen (Hirte/Mock, ZInsO 2009, 1129, 1131, m.w.N.). Soweit Strukturmaßnahmen wie etwa Satzungsänderungen Teil des mit dem Insolvenzplan verfolgten Sanierungskonzeptes sind, müssen diese deshalb außerhalb des Insolvenzplanverfahrens vorbereitet und durchgeführt werden, wobei allerdings Gesellschafter bzw. Aktionäre aufgrund ihrer Treuepflicht einem Zustimmungserfordernis unterliegen können. Diesen vom Gesetzgeber eröffneten Gestaltungsspielraum können und müssen die Beteiligten nutzen, wollen sie nicht auf die vom Gesetzgeber gesellschaftsrechtlich und insolvenzrechtlich festgelegten Rechtsfolgen beschränkt werden.

Hierbei bietet das Gesetz – zugegebenermaßen in engen Grenzen – den Gesellschaftern und Beteiligten eines Insolvenzver-ZIP 49/2009, 2353fahrens die Möglichkeit der Verknüpfung gesellschaftsrechtlicher Belange einerseits und insolvenzrechtlicher Belange andererseits an. So weist das LG in seiner Entscheidung zu Recht darauf hin, dass die Wirksamkeit des Insolvenzplans gem. § 249 InsO von den Leistungen Dritter und damit von der erfolgreichen Durchführung zwingend erforderlicher Strukturmaßnahmen abhängig gemacht werden kann (vgl. Hirte/Mock, ZinsO 2009, 1129, 1131). Eine gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplans ist erst nach Eintritt dieser Bedingung und damit nach Umsetzung notwendiger Strukturmaßnahmen möglich.

Im Streitfall hätte frei mit den Vorzugsaktionären verhandelt werden können, in welchem Umfang Verzichtserklärungen möglich, aber auch erforderlich sind, um eine Fortführung der Schuldnerin betriebswirtschaftlich sinnvoll ermöglichen und geeignete Investoren finden zu können. Diese Möglichkeit stand zudem nicht nur den Gläubigern der Beklagten, sondern insbesondere auch der Beklagten selbst als der damaligen Schuldnerin offen. Nach § 247 Abs. 1 InsO war nicht nur deren Zustimmung zum Insolvenzplan erforderlich. Nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO war sie vielmehr auch zur Vorlage eines selbst ausgearbeiteten Insolvenzplans berechtigt und konnte damit dessen Inhalt in wesentlichen Punkten zumindest mitbestimmen. Hierbei wäre es ihr möglich gewesen, die vom LG angeführte Bedingung des Insolvenzplans zu formulieren, dass dieser nur bei gleichzeitigem Verzicht der Vorzugsaktionäre auf in der Vergangenheit entstandene Nachzahlungsrechte wirksam werden solle. Gründe, warum dieser Weg nicht gegangen worden ist, legt die Beklagte nicht dar. Die Vorzugsaktionäre hätten Anlass gehabt, einer solchen Bedingung aufgeschlossen gegenüberzustehen. Denn anderenfalls wäre mit einem vollständigen Verlust ihrer Rechte zu rechnen gewesen, da es zur Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens mit dem Ziel der Zerschlagung der Schuldnerin gekommen wäre.

Ob der ebenfalls mögliche Weg einer durch Insolvenzplan festgelegten übertragenden Sanierung mittels einer neu zu gründenden Auffanggesellschaft aus betriebs- oder finanzwirtschaftlichen Gründen aussichtsreich gewesen wäre, kann dem Sachvortrag der Beklagten ebenfalls nicht entnommen werden.

Stellt der Gesetzgeber einen solchen Gestaltungsspielraum zur Verfügung, den die Beteiligten eines Insolvenzverfahrens indes ungenutzt lassen, bleibt für eine richterliche Rechtsfortbildung der dann zum Zuge kommenden gesetzlichen Regelungen schon deshalb kein Raum, weil die behauptete Regelungslücke durch eigenverantwortliches Handeln der Beteiligten hätte geschlossen oder vermieden werden können. In einem solchen Fall kann keine Rede davon sein, dass das Gesetz seine Funktion nicht erfülle.

cc) Darüber hinaus ergibt sich auch bei bloßer Anwendung des Gesetzes keine die Beklagte unbillig benachteiligende Rechtslage. Denn weder das Gesetz noch eine die Interessen aller Beteiligten berücksichtigende Betrachtung gibt Anlass für die Annahme, dass den betriebs- und finanzwirtschaftlichen Interessen der Beklagten Vorrang vor den berechtigten Interessen der Vorzugsaktionäre an einem Erhalt ihrer rückständigen Nachzahlungsrechte einzuräumen wäre. Auch hier hatte die Beklagte vielmehr einen hinreichenden Gestaltungsspielraum, um ihre Interessen im Insolvenzfall zu wahren.

Ihr wäre es z.B. auch schon im Jahr 1986 möglich gewesen, satzungsmäßig festzulegen, dass rückständige Nachzahlungsrechte der Vorzugsaktionäre im Insolvenzfall erlöschen. Denn auch im Jahr 1986 bestand durch die damals geltende Vergleichsordnung die grundsätzliche Möglichkeit, das Fortbestehen einer insolventen Schuldnerin zu sichern (Keller, a.a.O., Rz. 48 ff.). Ebenso konnte es auch damals zu rückständigen Nachzahlungsrechten und daraus erwachsenden Stimmrechten der Vorzugsaktionäre kommen, da § 140 AktG bereits seit dem Jahre 1965 gilt (http://juris.de/Gesetze/Verordnungen/Suchbegriff § 140 AktG).

Des Weiteren hätte die ursprünglich beschlossene Satzung der Beklagten nachträglich geändert werden können. Zutreffend ist, dass sowohl ein satzungsändernder Beschluss der Hauptversammlung nach § 179 Abs. 1 AktG als auch ein Sonderbeschluss der Vorzugsaktionäre nach § 141 Abs. 1 AktG grundsätzlich anfechtbar sind und die Durchführung eines gerichtlichen Anfechtungsverfahrens in aller Regel nicht binnen Jahresfrist abgeschlossen ist. Ein dem Freigabeverfahren i.S.d. § 246a AktG vergleichbares Eilverfahren sieht das Gesetz im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse nach § 179 Abs. 1, § 141 Abs. 1 AktG nicht vor. Die von der Beklagten angeführte mangelnde Praktikabilität dieser Vorgehensweise findet entgegen der Auffassung der Beklagten ihren Grund indes nicht in der gesetzlichen Ausgestaltung nachträglicher und die Rechte von Aktionären einschränkender Satzungsänderungen, sondern in dem durch das im Streitfall eingeleitete Insolvenzverfahren ausgelösten Zeitdruck, der u.a. durch die Suche geeigneter Investoren und die Notwendigkeit der Fortsetzung der Handelstätigkeit der Beklagten – gehen die Geschäftskontakte verloren, verliert eine Sanierung ihren Sinn – entstanden ist. Dieser Zeitdruck ließ in der Tat keinen Raum für ein Zeit beanspruchendes Satzungsänderungsverfahren. Im Gegensatz zu wirtschaftlich relevanten Entscheidungen, die oftmals unter hohem Zeitdruck getroffen werden müssen, um den gewünschten Erfolg herbeizuführen, steht bei der Durchführung eines effektiven Rechtsschutzes jedoch der Aspekt der Schnelligkeit der erstrebten Entscheidung nicht im Vordergrund. Ein Freigabeverfahren i.S.d. § 246a AktG stellt das Gesetz nur in Ausnahmefällen bereit. Soweit die Beklagte darin einen fehlenden Interessenausgleich sieht, verkennt sie, dass das Freigabeverfahren nach § 246a AktG ausschließlich aktienrechtlichen Zielsetzungen dient. Im Streitfall ist die Notwendigkeit schneller Entscheidungen indes insolvenzrechtlich motiviert. Das aktienrechtliche Freigabeverfahren ist jedoch als Instrument zur Erreichung insolvenzrechtlicher Ziele, wie etwa der zeitnahen Sanierung eines insolventen Unternehmens, weder gedacht noch geeignet.

Will ein Unternehmen sich in Krisenzeiten nicht mit möglicherweise langwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen belasten, die ihre Ursache in den gegenläufigen Interessen der das Wirtschaftsleben des Unternehmens bestimmenden Beteiligten finden, muss es entweder in seinen Statuten und Verträgen vorausschauend planen oder in Kauf nehmen, dass im Falle der Insolvenz bestehende geldwerte Rechte ihrer Aktio-ZIP 49/2009, 2354näre betriebswirtschaftlich im Rahmen von Sanierungsplänen einzubeziehen sind.

Das Spannungsverhältnis zwischen den betriebs- und finanzwirtschaftlichen Interessen eines sanierungsfähigen Unternehmens in der Insolvenz einerseits und den Interessen der Insolvenzgläubiger sowie der Aktionäre andererseits berücksichtigt der Gesetzgeber durch die Bereitstellung eines Planverfahrens, in das die Beteiligten ihre Interessen gestaltend mit dem Ziel einfließen lassen können, autonom einen Interessenausgleich herbeizuführen. Bleibt diese Möglichkeit ungenutzt, sind die Interessen der Beteiligten nur im Rahmen der gesetzlichen Regelungen schutzwürdig.

dd) Wie das LG zutreffend in seinen Gründen ausgeführt hat, widerspräche die von der Beklagten gewünschte Rechtsfortbildung sogar rechtsstaatlichen Grundsätzen, da die Vorzugsaktionäre ihre Rechte ohne jedwede Möglichkeit der Einflussnahme, und im Zweifel sogar ohne hiervon Kenntnis zu erlangen, verlieren würden. Denn sowohl nach dem Aktien- als auch nach dem Insolvenzrecht sind diejenigen, in deren Rechte eingegriffen wird, grundsätzlich an dem hierzu angestrengten Verfahren zu beteiligen, im Aktienrecht gem. § 141 Abs. 1 AktG und in der InsO nach den §§ 243 ff. InsO. Würden die Vorzugsaktionäre durch die von der Beklagten angestrebte Ausweitung der in § 227 Abs. 1 InsO vorgesehenen Restschuldbefreiung ihre Nachzahlungs- und damit Stimmrechte verlieren, geschähe dies ohne ihre Beteiligung, da sie hinsichtlich ihrer Nachzahlungsrechte keine Insolvenzgläubiger sind. Von dem Rechtsmittel des § 253 InsO sind sie als Vorzugsaktionäre ausgeschlossen. Mangels Beteiligung am Insolvenzplanverfahren erhielten sie von dem beabsichtigten Rechtseingriff und von dem tatsächlich eingetretenen Rechtsverlust noch nicht einmal Kenntnis. Ein solcher Rechtseingriff ist der deutschen Rechtsordnung fremd.

ee) Weder die in NZI 2009, 323 f. veröffentlichte Anmerkung zum angefochtenen Urteil von Thonfeld (Bonn), noch der von Hirte/Mock in ZInsO 2009, 1129 veröffentlichte Aufsatz: „Vorzugsaktien im Insolvenzplanverfahren“ gebieten eine andere Betrachtungsweise. Während auch Hirte/Mock im Ergebnis anerkennen, dass sich das mitgliedschaftsrechtliche Gewinnrecht des Vorzugsaktionärs erst dann zu einem verkehrsfähigen Gewinnanspruch verfestigt, wenn ein entsprechender Gewinnverwendungsbeschluss von der Hauptversammlung gefasst wurde und die dadurch gesellschaftsrechtlich begründeten unselbstständigen Nachzahlungsrechte insolvenzrechtlich nicht berührt werden, vermag auch Thonfeld kein tragendes Argument für die von der Beklagten vertretene Ansicht vorzubringen, dass allein eine teleologische Extension des § 227 Abs. 1 InsO geeignet ist, dem Gesetz dazu zu verhelfen, seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, zu erfüllen. Es wurde ausführlich dargestellt und im Ergebnis auch den Erwägungen von Hirte/Mock zugrunde gelegt, dass das Gesetz im Insolvenzplanverfahren einen Gestaltungsspielraum eröffnet, gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Belange der Gesellschafter bzw. Aktionäre, der Schuldnerin und der Insolvenzgläubiger zu verknüpfen, um eine Reorganisation der insolventen Gesellschaft auch bei zwingend erforderlichen gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen sinnvoll zu ermöglichen. Lassen die Beteiligten eines Insolvenzplanverfahrens diese Möglichkeiten indes ebenso wie die Gesellschafter bzw. Aktionäre der Schuldnerin ungenutzt, stellen sich spätere wirtschaftliche Belastungen der reorganisierten Schuldnerin wegen unbefriedigter Nachzahlungsrechte ihrer Vorzugsaktionäre schon deshalb nicht als unbillig dar, weil die Beteiligten die ihnen vom Gesetzgeber auferlegte Verantwortung für einen sachgerechten Ausgleich gesellschaftsrechtlicher und insolvenzrechtlicher Belange nicht wahrgenommen haben. Handlungsbedarf im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ist unter solchen Umständen nicht gegeben.

c) Wie bereits ausgeführt worden ist, sind die Kläger gem. § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG nach wie vor stimmberechtigt.

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