OLG Nürnberg: Kein Rechtsmissbrauch bei Verjährungseinrede des bürgenden Geschäftsführers der Hauptschuldnerin trotz Insolvenzverschleppung

27.04.2009

BGB §§ 765, 768, 204 Abs. 1 Nr. 10, § 242; GmbHG § 64 Abs. 1 a.F.

Kein Rechtsmissbrauch bei Verjährungseinrede des bürgenden Geschäftsführers der Hauptschuldnerin trotz Insolvenzverschleppung

OLG Nürnberg, Urt. v. 9. 2. 2009 – 14 U 1226/08

Leitsatz des Gerichts:

Verstößt der Bürge, der gleichzeitig Geschäftsführer der Hauptschuldnerin ist, gegen seine Pflicht zur Insolvenzantragstellung, ist es ihm nicht verwehrt, sich gegenüber dem Gläubiger auf die Verjährung der Hauptforderung zu berufen. Der Umstand, dass dem Gläubiger nicht die Möglichkeit einer verjährungshemmenden Anmeldung seiner Forderungen in einem vom Bürgen beantragten Insolvenzverfahren eröffnet wurde, begründet nicht den Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit.

Gründe:

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaft über 1,4 Mio. DM (715.808,63 €) im Wege der Teilklage in Anspruch.

Der Beklagte war alleiniger Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der H. GmbH. Die Klägerin ist die Hausbank der H. GmbH. Am 10.3.1999 übernahm der Beklagte zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche der Klägerin gegen die H. GmbH eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Betrag von 1,4 Mio.

Mit Schreiben vom 17.6.2002 kündigte die Klägerin alle der H. GmbH gewährten Darlehen und forderte sie zur Rückzahlung von 5.974.437,32 € auf. Da die H. GmbH der Rückzahlungsaufforderung nicht nachkam, nahm die Klägerin mit Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters vom 19.9.2003 den Beklagten aus der Bürgschaft in Anspruch. Dieser leistete jedoch keine Zahlung.

ZIP 2009, Seite 752

Im April 2004 erhob die Klägerin gegen den Beklagten Klage, mit der sie einen Teilbetrag von 357.904,31 € aus der Bürgschaft geltend machte. Mit Strafbefehl des AG Ansbach vom 22.8.2005 wurde der Beklagte in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der H. GmbH wegen Insolvenzverschleppung (§ 64 Abs. 1, § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) zu einer Geldstrafe verurteilt. Das LG hat mit Endurteil vom 8.5.2008 der Klage i.H. v. 306.636,10 € stattgegeben.

II. Die zulässige Berufung ist begründet. Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten gem. § 765 Abs. 1 BGB auf Zahlung von 306.636,10 € besteht nicht. Der Beklagte kann sich gem. § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Verjährung der Hauptforderung berufen.

1. Die Klägerin hat die Darlehensforderung gegen die Hauptschuldnerin mit Schreiben vom 17.6.2002 gekündigt. Die dreijährige Verjährungsfrist für den Darlehensrückzahlungsanspruch begann daher gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit Ablauf des 31.12.2002 zu laufen und endete gem. § 195 BGB mit Ablauf des 31.12.2005.

2. Maßnahmen zur Hemmung oder zum Neubeginn der Verjährung hat die Klägerin nicht getroffen. Die gegen den Beklagten in seiner Eigenschaft als Bürge im April 2004 erhobene Klage hat keinen Einfluss auf die Verjährung der Hauptforderung, insbesondere kann sie nicht deren Verjährung mit Wirkung gegen den Hauptschuldner hemmen (BGH, Urt. v. 12.3.1980 – VIII ZR 115/79, ZIP 1980, 355, Rz. 14, zitiert nach juris).

Das Betreiben der Zwangsversteigerung des Grundbesitzes der Hauptschuldnerin aus den bestellten Grundschulden führt nicht zu einem Neubeginn der Verjährung des Darlehensrückzahlungsanspruchs. Der in § 212 Abs. 1 Nr. 2 BGB geregelte Neubeginn durch Vollstreckungshandlungen betrifft nur den unmittelbar gesicherten Anspruch, nicht aber den dahinter stehenden Hauptanspruch (Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., § 212 Rz. 9; OLG Düsseldorf BauR 1980, 475).

3. Dem Beklagten ist es nicht verwehrt, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Der Erhebung der Verjährungseinrede kann im vorliegenden Fall nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegengehalten werden.

a) Voraussetzung für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Rechtsposition ist, dass der Beklagte die Verjährung der Hauptforderung der Klägerin in rechtsmissbräuchlicher Weise herbeigeführt hat. Der Zweck der Verjährungsregelungen gebietet es, hierbei strenge Maßstäbe anzulegen und den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nur gegenüber einem wirklich groben Verstoß gegen Treu und Glauben durchgreifen zu lassen, etwa wenn der Verpflichtete den Berechtigten durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten oder ihn nach objektiven Maßstäben zu der Annahme veranlasst hat, es werde auch ohne Rechtsstreit eine vollständige Befriedigung seines Anspruchs zu erzielen sein (BGH, Urt. v. 1.10.1987 – IX ZR 202/86, NJW 1988, 266).

Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise erlangt. Zwar hat er als Geschäftsführer der Hauptschuldnerin gegen seine Verpflichtung aus § 64 GmbHG a.F. (= § 15 InsO n.F.) zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags verstoßen. Dies allein reicht für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung jedoch nicht aus. Grundsätzlich kann auch derjenige Rechte geltend machen, der sich selbst nicht rechtstreu verhalten hat. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn er sich infolge seines eigenen Verhaltens mit Treu und Glauben in Widerspruch setzt (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1971 – VIII ZR 49/70, NJW 1971, 1747). Das ist vorliegend zu verneinen. Der Verstoß des Beklagten gegen § 64 GmbHG a.F. führte lediglich dazu, dass der Klägerin nicht die Möglichkeit eröffnet wurde, durch Anmeldung ihrer Ansprüche in einem von der insolventen Gesellschaft selbst beantragten Insolvenzverfahren gem. § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB die Verjährung ihrer Forderungen gegen die Hauptschuldnerin zu hemmen. Der Klägerin blieb es jedoch unbenommen, selbst einen Insolvenzeröffnungsantrag gem. § 13 Abs. 1 Satz 2 InsO zu stellen oder gegen die Hauptschuldnerin Klage zu erheben. Auf diese Rechte des Gläubigers hat ein Verstoß des Insolvenzschuldners gegen § 64 GmbHG a.F. keinen Einfluss. Aus § 242 BGB lässt sich nicht die Verpflichtung des Schuldners herleiten, dafür zu sorgen, dass dem Gläubiger noch ein weiterer – besonders einfacher und kostengünstiger – Weg der Verjährungshemmung zur Verfügung steht. Vielmehr ist es Sache des Gläubigers, durch Ergreifen verjährungshemmender Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass seine Forderung nicht verjährt.

Auch der Schutzzweck des § 64 GmbHG a.F. gebietet es nicht, dem gegen seine Insolvenzantragspflicht verstoßenden Insolvenzschuldner (und damit auch dem Bürgen) die Berufung auf die Einrede der Verjährung zu versagen. Zwar dient § 64 GmbHG a.F. dem Gläubigerschutz. Durch die Verpflichtung zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags sollen die Gläubiger vor den negativen Folgen einer verspäteten Antragstellung bewahrt werden; insbesondere soll das zur Befriedigung der Gläubiger erforderliche Gesellschaftsvermögen erhalten bleiben und nicht durch eine Verzögerung des Insolvenzantrags vermindert werden (BGH, Urt. v. 8.10.1987 – IX ZR 143/86, Rz. 15, zitiert nach juris). Zudem soll ein Unternehmen mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen und dadurch schon präventiv verhindert werden, dass Dritte in ihren Vermögensinteressen dadurch gefährdet werden oder Schaden erleiden, dass sie mit einer insolvenzreifen GmbH noch in Vertragsbeziehungen treten (BGH, Urt. v. 7.11.1994 – II ZR 108/93, ZIP 1995, 211, dazu EWiR 1995, 263 (Uhlenbruck) Rz. 10 b, zitiert nach juris). Mit der in § 64 Abs. 1 GmbHG angeordneten Konkursantragspflicht wird hingegen weder der Zweck verfolgt, den Gläubiger vor einer Verjährung seiner Ansprüche zu bewahren, noch ihm eine kostengünstige Möglichkeit der Verjährungshemmung zur Verfügung zu stellen. Die in § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB angeordnete Verjährungshemmung durch Anmeldung einer Forderung in einem eröffneten Insolvenzverfahren stellt eine lediglich mittelbare Folge der Durchführung eines Insolvenzverfahrens dar.

b) Die Klägerin war nicht gehindert, die Verjährung der Hauptforderung durch eigene Rechtsverfolgungsmaßnahmen zu hemmen. Insbesondere hätte sie selbst einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Hauptschuldnerin stellen können, um sich den Weg der Verjährungshemmung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB zu eröffnen.

ZIP 2009, Seite 753

Die Behauptung der Klägerin, dass sie keine Kenntnis von der Insolvenzreife der Hauptschuldnerin gehabt habe und sie schon aus diesem Grund daran gehindert gewesen sei, Insolvenzantrag zu stellen, wird bereits durch das (in unverjährter Zeit verfasste) Schreiben des anwaltlichen Vertreters der Klägerin vom 19.9.2003, mit dem sie den Beklagten als Bürgen in Anspruch nahm, widerlegt. Dort heißt es ausdrücklich: „Nachdem diese Firma zahlungsunfähig ist, wird die Bürgschaft seitens meiner Mandantin in Anspruch genommen.“ Aber auch die äußeren Umstände belegen, dass die Klägerin Kenntnis von der Insolvenzreife der Hauptschuldnerin hatte. Die Tochtergesellschaft der Hauptschuldnerin, die das operative Geschäft betrieb, hatte am 13.6.2002 Insolvenzantrag gestellt. Aufgrund der – der Klägerin bekannten – engen Verzahnung der beiden Unternehmen ergab sich aufgrund dessen für die Muttergesellschaft eine Anschlussinsolvenz. Dass die Klägerin die Situation richtig einschätzte, zeigt die Tatsache, dass sie die Insolvenz der Tochtergesellschaft offensichtlich zum Anlass für die mit Schreiben vom 17.6.2002 ausgesprochene Kündigung sämtlicher der Muttergesellschaft gewährten Darlehen nahm.

Auch das Vorbringen der Klägerin, dass ein von ihr gestellter Insolvenzantrag gescheitert wäre, da sie die Insolvenzreife der Hauptschuldnerin nicht hätte glaubhaft machen können, vermag nicht zu überzeugen. Die Klägerin hätte zum einen auf den Insolvenzantrag der Tochterfirma vom 13.6.2002 und die enge Verzahnung zwischen Mutter- und Tochterunternehmen hinweisen können. Zum anderen hatte der Geschäftsführer der Hauptschuldnerin für diese am 24.9.2004 die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Ein Hinweis auf diese beiden Sachverhalte hätte zur Glaubhaftmachung der Insolvenzreife ausgereicht.

Schließlich führt auch der Hinweis der Klägerin, dass sie – im Gegensatz zur Insolvenzschuldnerin – nicht verpflichtet gewesen sei, Insolvenzantrag zu stellen, zu keiner anderen Beurteilung. Zwar trifft die Verpflichtung aus § 64 GmbHG a.F. nur die Gesellschaft. Hiervon zu trennen ist aber die Frage, wessen Aufgabe es ist, durch Ergreifen verjährungshemmender Maßnahmen dafür zu sorgen, dass gegen den Schuldner gerichtete Forderungen nicht verjähren. Will der Gläubiger von der (kostengünstigen) Möglichkeit der Verjährungshemmung durch Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren (§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB) Gebrauch machen, ist es seine Angelegenheit, durch Stellung eines Insolvenzantrags ein entsprechendes Verfahren in Gang zu bringen. Es reicht nicht aus, sich darauf zu verlassen, dass der Schuldner seiner gesetzlichen Verpflichtung aus § 64 GmbHG a.F. nachkommen wird.

c) Darüber hinaus stand der Klägerin auch die Möglichkeit einer Klageerhebung gegen die Hauptschuldnerin zu. Auf diese Weise hätte sie verlässlich sicherstellen können, dass die Verjährung der Hauptschuld gehemmt wird (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Soweit die Klägerin auf die hiermit verbundenen Rechtsverfolgungskosten verweist, ist nicht nachvollziehbar, warum Rechtsbeitreibungskosten von 4 % der Klageforderung (für zwei Instanzen) die Klägerin von einer Geltendmachung ihrer Rechte abgehalten haben sollten und sie stattdessen eine Verjährung der Forderung in Kauf genommen hat. Doch selbst wenn ein Gläubiger aus nachvollziehbaren wirtschaftliche Erwägungen von einer Klageerhebung zur Verjährungsunterbrechung Abstand nimmt, ist kein Grund ersichtlich, warum es in einem solchen Fall dem Schuldner verwehrt sein sollte, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Scheut der Gläubiger das mit einer Klageerhebung verbundene Kostenrisiko, muss er die sich hieraus ergebenden Konsequenzen tragen. Für eine Anwendung der Rechtsgrundsätze des § 242 BGB bleibt dann kein Raum.

d) Schließlich hat der Verstoß des Beklagten gegen § 64 GmbHG a.F. auch nicht auf Seiten der Klägerin einen Vertrauenstatbestand dahin gehend geschaffen, dass sie im Hinblick auf eine eventuelle Verjährung der Darlehensforderung nichts unternehmen müsse.

Die Klage ist damit unbegründet. Auf die Berufung des Beklagten war das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern.

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