OLG Stuttgart: Vermutung der Angemessenheit der Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze out nicht widerlegbar

12.06.2009

WpÜG §§ 39a, 31; WpÜG-AngVO §§ 3 ff.; GG Art. 14

Vermutung der Angemessenheit der Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze out nicht widerlegbar

OLG Stuttgart, Beschl. v. 5. 5. 2009 – 20 W 13/08

Leitsätze des Gerichts:

1. Beim übernahmerechtlichen Squeeze out (§ 39a WpÜG) kann die Angemessenheit der Abfindung nicht in einem Spruchverfahren überprüft werden; der Gesetzgeber hat dies bewusst ausgeschlossen.

2. Die Durchführung eines Spruchverfahrens ist beim übernahmerechtlichen Squeeze out nicht erforderlich, da den übrigen Aktionären keine Einwendungen zustehen, die sie im gerichtlichen Ausschlussverfahren gem. § 39b WpÜG nicht geltend machen können.

3. Der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG, der Angebotspreis entspreche der angemessenen Abfindung, kann nicht entgegengehalten werden, dass der nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelte Unternehmenswert über dem Börsenwert der Zielgesellschaft liegt, auf dem der Angebotspreis grundsätzlich beruht.

4. Art. 14 Abs. 1 GG gebietet nicht, den ausgeschlossenen Aktionären im Sinne einer „Meistbegünstigung“ anteilig entweder den Börsenwert der Zielgesellschaft oder einen diesen übersteigenden, nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Unternehmenswert zukommen zu lassen. Durch die Regelungen zur Bestimmung des Angebotspreises in § 31 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO sowie durch die für das Eingreifen der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG erforderliche Annahmequote von 90 % ist in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise sichergestellt, dass der Angebotspreis dem Verkehrswert der Aktie entspricht.

Gründe:

A. Die Antragsteller begehren die Festsetzung einer angemessenen Abfindung für die Übertragung ihrer Aktien an der M. AG auf die Antragsgegnerin.

I. Die Aktien der Antragsteller an der M. AG wurden im Zuge eines übernahmerechtlichen Squeeze-out-Verfahrens auf die Antragsgegnerin übertragen.

1. Das Grundkapital der M. AG beträgt 21.504.000 € und ist in 8.400.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien unterteilt. Die Antragsteller Ziffer 1) bis 3) waren Aktionäre der M. AG.

Die Antragsgegnerin erwarb am 27.3.2007 insgesamt 5.416.740 Stückaktien der M. AG (entspricht etwa 64,49 % des Grundkapitals), von denen 2.520.000 Stückaktien noch am selben Tag und die übrigen 2.896.740 Stückaktien am 2.4.2007 auf die Antragsgegnerin übertragen wurden; der Erwerb wurde gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG veröffentlicht.

2. Zum Erwerb der weiteren 2.983.260 Stückaktien der M. AG veröffentlichte die Antragsgegnerin am 17.4.2007 ein Pflichtangebot gem. § 35 Abs. 2, § 14 Abs. 2 und 3 WpÜG zum Preis von 15,74 € je Aktie. Der Angebotspreis entsprach dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs der Aktien der M. AG während der letzten drei Monate vor dem 27.3.2007.

Das Angebot wurde für 2.688.984 Aktien angenommen; dies entspricht etwa 90,14 % der Aktien, die noch nicht der Antragsgegnerin gehörten und damit von dem Angebot betroffen waren. Danach standen am 8.6.2007 8.105.724 Stückaktien der M. AG im Eigentum der Antragsgegnerin, dies entspricht etwa 96,50 % des Grundkapitals.

3. Auf Antrag der hiesigen Antragsgegnerin vom 16.5.2007, im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht am 29.6.2007, übertrug das LG Frankfurt/M. dieser mit Beschluss vom 2.8.2007 (3-5 O 138/07, EWiR 2007, 763 (Wilsing/Ogorek)) diejenigen Stückaktien, die ihr nicht bereits gehörten. Der Beschluss wurde am 23.8.2007 im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht.

4. Nach dem 21.9.2007 zahlte die Antragsgegnerin den Aktionären, deren Aktien durch den Übertragungsbeschluss auf sie übergegangen ZIP 2009, Seite 1060waren, eine Barabfindung i.H. v. 15,74 € je Aktie zzgl. 0,06 € Zinsen je Aktie aus, insgesamt also 15,80 € je Aktie.

II. ... III. (Zum Vortrag der Parteien in erster Instanz.)

IV. Das LG hat die Anträge der Antragsteller zu 1) bis 3) durch Beschluss vom 11.11.2008 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unzulässig verworfen.

V. Die Antragsteller zu 1) und 3) beantragen, den Beschluss des LG Stuttgart vom 11.11.2008 – 32 O 108/07 KfH aufzuheben und „ein Spruchverfahren zur gerichtlichen Bestimmung der angemessenen Barabfindung analog § 327f Abs. 1 Satz 2 AktG, §§ 1 ff. SpruchG auf angemessene Barabfindung bzw. Festsetzung einer entsprechenden Barzuzahlung auf die angebotene Barabfindung für die durch Enteignung gem. § 39a WpÜG ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre“ der M. AG durchzuführen. Der Antragsteller Ziffer 2) beantragt, den Beschluss des LG Stuttgart aufzuheben und die angemessene Abfindung zu bestimmen, welche den übrigen Aktionären der M. AG für die Übertragung ihrer stimmberechtigten Aktien der M. AG auf die Antragsgegnerin zu gewähren ist.

B. Die Beschwerden sind zwar zulässig (dazu unten I). Sie haben aber in der Sache keinen Erfolg (dazu unten II).

I. Die Zulässigkeit der Beschwerden bestimmt sich nach § 12 SpruchG, da die angegriffene Entscheidung auf der Grundlage des SpruchG ergangen ist. Den Parteien stehen jedenfalls die Rechtsbehelfe zu, die nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft sind (vgl. BGH NJW 1999, 583, Rz. 18). Hat das LG einen Antrag als unzulässig verworfen, weil es ein Spruchverfahren für nicht eröffnet hielt, ist hiergegen die sofortige Beschwerde statthaft (vgl. OLG Stuttgart ZIP 1997, 362 = AG 1997, 136, 136, dazu EWiR 1997, 197 (Dreher/Neumann); OLG Zweibrücken ZIP 2005, 948, Rz. 10; Drescher, in: Spindler/Stilz, AktG, § 1 SpruchG Rz. 29). Die Voraussetzungen des § 12 SpruchG sind erfüllt; die sofortigen Beschwerden der Antragsteller wurden insbesondere fristgerecht eingelegt.

Das Beschwerdeverfahren ist in analoger Anwendung des SpruchG durchzuführen (im Ergebnis ebenso OLG Zweibrücken ZIP 2005, 948, Rz. 38 f.). Zwar folgt dies nicht schon aus der Eröffnung der sofortigen Beschwerde gem. § 12 SpruchG, da das Rechtsmittelgericht das Verfahren nach den Vorschriften weiterzuführen hat, die von Anfang an richtigerweise einschlägig gewesen wären (vgl. Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., Einl. vor § 511 Rz. 49). Nachdem hier richtigerweise kein gerichtliches Verfahren eröffnet ist, kann indessen nur dasjenige Verfahrensrecht angewendet werden, das – träfe die Rechtsauffassung der Antragsteller zur Eröffnung des Spruchverfahrens zu – eröffnet wäre.

II. Die Beschwerden sind allerdings nicht begründet, da das LG die Anträge zu Recht als unzulässig verworfen hat.

Offenbleiben kann, ob die Anträge der Antragsteller zu 2) und 3) verfristet waren. Jedenfalls ist ein gerichtliches Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung neben dem Ausschlussverfahren gem. § 39b WpÜG weder in Gestalt des Spruchverfahrens noch unter Anwendung anderer Verfahrensordnungen eröffnet.

Ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist nach § 1 FGG grundsätzlich nur durchzuführen, soweit dies gesetzlich bestimmt ist (vgl. von Schuckmann, in: Jansen, FGG, 3. Aufl., § 1 Rz. 10). Ein Verfahren nach der ZPO ist ebenfalls nicht statthaft, da das Begehren der Antragsteller nicht auf einen Leistungs- oder Feststellungsausspruch, sondern auf eine Rechtsgestaltung durch Bestimmung einer angemessenen Abfindung gerichtet ist; zivilprozessuale Gestaltungsklagen kommen allerdings grundsätzlich nur in Betracht, wo das Gesetz für die Ausübung eines Gestaltungsrechts Klage und Urteil voraussetzt (vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 253 Vorbem Rz. 7; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 253 Rz. 89; MünchKomm-Becker-Eberhard, ZPO, 3. Aufl., vor §§ 253 ff. Rz. 22).

Das danach allein verbleibende Spruchverfahren ist nicht eröffnet. Die Bestimmung der Abfindung der übrigen Aktionäre, deren Aktien durch Beschluss nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG auf den Bieter übertragen worden sind, ist in § 1 SpruchG nicht genannt.

Ein Spruchverfahren ist auch nicht in entsprechender Anwendung des SpruchG durchzuführen. Zwar ist eine entsprechende Anwendung des SpruchG grundsätzlich möglich (vgl. unten 1). Der Gesetzgeber hat das Spruchverfahren hier aber bewusst ausgeschlossen (vgl. unten 2). Dabei hat der Gesetzgeber nicht übersehen, dass eine Unternehmensbewertung nach fundamentalanalytischen Methoden durchzuführen ist (vgl. unten 3). Dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist durch das gerichtliche Ausschlussverfahren gem. § 39b WpÜG Genüge getan (vgl. unten 4). Selbst wenn eine Unternehmensbewertung nach fundamentalanalytischen Methoden erforderlich wäre, wäre diese jedenfalls nicht im Spruchverfahren, sondern im gerichtlichen Ausschlussverfahren nach § 39b WpÜG durchzuführen (vgl. unten 5).

1. Im Ausgangspunkt zutreffend weisen die Antragsteller darauf hin, dass § 1 SpruchG keine abschließende Regelung ist. Der BGH hat für die Beantragung des Widerrufs der Zulassung der Aktien der Gesellschaft zum Börsenhandel (Delisting) durch den Vorstand aufgrund einer Ermächtigung durch die Hauptversammlung angenommen, die Vorschriften über das Spruchverfahren seien entsprechend anzuwenden, um zu klären, ob das in diesem Fall vom Großaktionär zum Schutz der Minderheitsaktionäre vorzulegende Pflichtangebot eine volle Entschädigung gewährt (BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387 (m. Anm. Streit), Rz. 32 – 35 – Macrotron). Die Regelungen im Unternehmensvertragsrecht und im Umwandlungsrecht zeigten, dass die Klärung der Höhe des Angebotsbetrags in einem Spruchverfahren den Beteiligten eher entspreche als die nach der Rechtsprechung des BVerfG (ZIP 2000, 1670, Rz. 27 – MotoMeter, dazu EWiR 2000, 913 (Neye)) alternativ denkbare Klärung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Hauptversammlungsbeschluss (BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387, Rz. 34 – Macrotron). Die Bestimmungen des SpruchG seien angesichts der Hilfsfunktion des Verfahrensrechts zur Durchsetzung des materiellen Rechts grundsätzlich analogiefähig (BGHZ 153, 47 = ZIP 2003, 387, Rz. 35 – Macrotron).

2. Die Erwägungen des BGH lassen sich allerdings auf den hiesigen Fall nicht übertragen. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung der §§ 39a, 39b WpÜG die Eröffnung des Spruchverfahrens zur Bestimmung einer angemessenen Abfindung bewusst ausgeschlossen (vgl. Santelmann, in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl., § 39a Rz. 6; Süßmann, in: Geibel/Süßmann, ZIP 2009, Seite 1061WpÜG, § 39a Rz. 18; Heidel/Lochner, in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., § 39a WpÜG Rz. 54; Schüppen/Tretter, in: Frankfurter Komm. z. WpÜG, 3. Aufl., § 39a Rz. 29; Paefgen, WM 2007, 765, 770; offengelassen von Falkner, ZIP 2008, 1775, 1777; a.A. Kießling, Der übernahmerechtliche Squeeze out gem. §§ 39a, 39b WpÜG, S. 147 f. und 226; de lege ferenda auch Schüppen, BB 2006, 165, 168 f.; Seibt/Heiser, AG 2006, 310, 319).

a) Der RegE des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes, durch welches die §§ 39a, 39b WpÜG geschaffen wurden, beschränkte das gerichtliche Verfahren zum übernahmerechtlichen Squeeze out auf das Ausschlussverfahren gem. § 39b WpÜG (vgl. BT-Drucks. 16/1003, S. 22). Zu den zentralen Anliegen des Gesetzentwurfs zählte es, dem Bieter durch den übernahmerechtlichen Squeeze out notwendige Umstrukturierungen ohne große zeitliche Verzögerungen zu ermöglichen. Deshalb sollten langjährige gerichtliche Auseinandersetzungen sowohl in Klageverfahren infolge der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen als auch in Spruchverfahren ausgeschlossen sein (BT-Drucks. 16/1003, S. 14).

b) Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme gem. Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG zwar Bedenken geäußert. Diese setzten sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren aber nicht durch. Im Wege einer Prüfbitte forderte der Bundesrat (BT-Drucks. 16/1342, S. 5) „im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Geltendmachung von Bewertungsrügen im Interesse der Transaktionssicherheit ausschließlich im Rahmen eines Spruchverfahrens erfolgen sollte“. Der Bundesrat stützte seine Prüfbitte auf die Feststellung, der Gesetzentwurf lasse nicht eindeutig erkennen, wie eine etwaige Rüge, dass die gebotene Abfindung nicht angemessen sei, verfahrensrechtlich geltend zu machen wäre. Er fürchtete, dass ohne eine Verweisung solcher Rügen in das Spruchverfahren das Ausschlussverfahren gem. § 39b WpÜG belastet und die Transaktionssicherheit auf diese Weise erheblich beeinträchtigt werden könnte (BT-Drucks. 16/1342, S. 5). Die Bundesregierung hat indes in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates festgestellt, dass für die Eröffnung des Spruchverfahrens beim übernahmerechtlichen Squeeze out kein Bedürfnis bestehe (BT-Drucks. 16/1342, S. 7).

c) Der Gesetzgeber hat sich im weiteren Verfahren nicht die Bedenken des Bundesrates, sondern die Position der Bundesregierung zu eigen gemacht. Dies zeigt die vom Plenum übernommene Beschlussempfehlung des federführenden Finanzausschusses vom 18.5.2006, die lediglich diejenigen Änderungsvorschläge des Bundesrats aufgriff, denen die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ausdrücklich zugestimmt hatte (vgl. BT-Drucks. 16/1541, S. 12 f.). Der Bundesrat hat gegen das Ergebnis seiner Prüfbitte keine grundlegenden Einwendungen erhoben; von der nach Art. 77 Abs. 2 Satz 1 GG eröffneten Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, wurde kein Gebrauch gemacht (vgl. BR-Drucks. 336/06 (B)).

3. Die Situation des übernahmerechtlichen Squeeze out ist – jedenfalls soweit die Voraussetzungen des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG erfüllt sind, weil das Angebot für mindestens 90 % der Aktien angenommen wurde, auf die es sich bezog – den Fällen, für die der Gesetzgeber die Durchführung eines Spruchverfahrens angeordnet hat, nicht vergleichbar. Jene Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass die Angemessenheit einer Kompensationsleistung für eine Strukturmaßnahme – getrennt von der Entscheidung über ihre Wirksamkeit – gerichtlich zu überprüfen ist, wobei die Überprüfung typischerweise mit komplexen Fragen der Unternehmensbewertung verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG vor, wird dagegen unterstellt, dass der Angebotspreis eine angemessene Kompensation darstellt.

Da das Angebot der Antragsgegnerin vom 17.4.2007 für 2.688.984 der 2.983.260 Aktien angenommen wurde, die ihr zum Angebotszeitpunkt noch nicht gehörten, hat sie aufgrund ihres Angebots Aktien i.H. v. mindestens 90 % des von dem Angebot betroffenen Grundkapitals erworben. In diesem Fall ist nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG der nach § 31 Abs. 1 und 7 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO bestimmte, im Wesentlichen auf dem Börsenkurs beruhende Angebotspreis als angemessene Abfindung für die übrigen Aktionäre anzusehen, deren Aktien gem. § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG auf den Bieter übertragen werden.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller kann die Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG nicht widerlegt werden. Insbesondere kann ihr nicht entgegengehalten werden, dass der nach dem Ertragswertverfahren oder anderen fundamentalanalytischen Methoden ermittelte Unternehmenswert über dem Börsenwert der Zielgesellschaft liegt (OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 58 nimmt an, dass der an einem funktionierenden Markt ermittelte Angebotspreis jedenfalls nicht durch ein Sachverständigengutachten zum (theoretischen) Unternehmenswert zu widerlegen ist. Im Ergebnis wie hier Santelmann, a.a.O., § 39a Rz. 11; Süßmann, a.a.O., § 39a Rz. 16; Wilsing/Ogorek, BB 2008, 2038, 2039; Schlitt/Ries/Becker, NZG 2008, 700, 701; Falkner, ZIP 2008, 1775, 1776; Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2134, 2138; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290; Diekmann, NJW 2007, 17, 20; Holzborn/Müller, in: Bürgers/Körber, AktG, Anh. § 327a/§§ 39a – 39c WpÜG Rz. 12; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318 f.; Grunewald, NZG 2009, 332, 334; Steinmeyer/Santelmann, BB 2009, 674, 675. A.A. LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 36; Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 65; Schüppen/Tretter, a.a.O., § 39a Rz. 27; Paefgen, WM 2007, 765, 768; Schüppen, BB 2006, 165, 168; Rühland, NZG 2006, 401, 407; Kießling, a.a.O., S. 226. Ohne eigene Stellungnahme Deilmann, NZG 2007, 721, 723 f.). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut (vgl. unten a) und der Entstehungsgeschichte (vgl. unten b) der Vorschrift. Eine gemeinschaftsrechtskonforme (vgl. unten c) bzw. verfassungskonforme (vgl. unten d) Auslegung ergibt nichts anderes. Die mit ausländischen Staaten geschlossenen völkerrechtlichen Verträge gebieten ebenfalls nicht die Widerleglichkeit der Vermutung in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG (vgl. unten e).

a) Die Unwiderleglichkeit der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG belegt schon der Wortlaut der Vorschrift. Danach „ist“ der Angebotspreis „als angemessene Abfindung anzusehen“, wenn der Bieter aufgrund des Angebots Aktien i.H. v. mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat (für die Annahme einer unwider-ZIP 2009, Seite 1062leglichen Vermutung auf der Grundlage dieses Wortlauts auch OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 45; a.A. LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 37; Grunewald, NZG 2009, 332, 334 und Santelmann, a.a.O., § 39a Rz. 31 halten den Wortlaut für offen).

Zwar bestimmt der Wortlaut der Regelung anders als in § 1361b Abs. 4, § 1566 Abs. 1 BGB, Art. 233 § 2 Abs. 2 Satz 1 EGBGB, § 444 Abs. 3 Satz 3 HGB, § 4 Abs. 2 Satz 2 UKlaG oder § 15a Abs. 3 Satz 2 EGZPO nicht ausdrücklich, dass die Vermutung „unwiderleglich“ ist. Der Gesetzgeber verwendet aber unterschiedliche Wendungen, um die Unwiderleglichkeit einer Vermutung zum Ausdruck zu bringen. So benutzt er in § 67 Abs. 2 AktG das Wort „gilt“, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Aktionärseigenschaft im Fall der Eintragung im Aktienregister im Verhältnis zur Gesellschaft unwiderlegbar vermutet wird (vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl., § 67 Rz. 12). In § 142 Abs. 1 BGB umschreibt der Gesetzgeber im bürgerlichen Recht mit den Worten „ist anzusehen“ die Fiktion der ex-tunc-Wirkung der Anfechtung; im Verfahrensrecht dient die Wendung zur Beschreibung der Rechtsfolge der absoluten Revisionsgründe (vgl. § 547 ZPO). Soll dagegen nur eine Vermutung geregelt werden, stellt der Gesetzgeber an anderer Stelle die Wörter „im Zweifel“ vorweg, so etwa in der Auslegungsregel des § 2066 Satz 2 BGB. Dementsprechend benutzt der Gesetzgeber in § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB die eng verwandte Wendung „ist anzunehmen“, um eine Vermutung zu umschreiben, die unwiderleglich ist (vgl. BGH ZIP 2003, 1592 = NJW 2003, 2821, Rz. 16, dazu EWiR 2004, 177 (Tiedtke); Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 358 Rz. 12). Will der Gesetzgeber dagegen lediglich eine Vermutung zu Ausdruck bringen, stellt er dem Wort „anzunehmen“ die Worte „im Zweifel“ voran (vgl. § 271 Abs. 1, § 307 Abs. 2 BGB); dies gilt insbesondere bei Auslegungsregeln (vgl. § 315 Abs. 1, §§ 316, 317 Abs. 2, § 329 BGB). Auch im Verfahrensrecht benutzt der Gesetzgeber die Wendung „ist anzunehmen“, um unwiderlegliche Vermutungen zu umschreiben (vgl. § 267 ZPO, dazu Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 267 Rz. 1).

b) Die Unwiderleglichkeit der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG belegt im Übrigen die Entstehungsgeschichte der Vorschrift (ebenso Steinmeyer/Santelmann, BB 2009, 674; für einen aus der Entstehungsgeschichte zu schließenden klaren Willen des Gesetzgebers auch Santelmann, a.a.O., § 39a Rz. 11 und 31; Grunewald, NZG 2009, 332, 334).

aa) Der RegE des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes stellte klar, dass § 39a Abs. 3 Satz 3 eine unwiderlegliche Vermutung enthalte (BT-Drucks. 16/1003, S. 22).

bb) Der Bundesrat hat zwar in seiner Stellungnahme gem. Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG auch hierzu Bedenken geäußert, diese setzten sich aber wiederum im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht durch. Im Wege einer Prüfbitte forderte der Bundesrat (BT-Drucks. 16/1342 S. 3) „im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG-E vorgesehene unwiderlegliche Vermutung der Angemessenheit der Abfindung mit dem verfassungsrechtlichen Schutz des Aktieneigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG und der hierzu bestehenden Rechtsprechung des BVerfG zu vereinbaren ist“. Der Bundesrat stützte seine Prüfbitte u.a. auf den Umstand, dass bei der Schaffung der §§ 327a ff. AktG durch das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen zwei Legislaturperioden zuvor in § 327b Abs. 1 Satz 3 AktG-E eine vergleichbare Regelung für den gesellschaftsrechtlichen Squeeze out vorgesehen war. Der Regelungsentwurf lautete wie folgt (vgl. BT-Drucks. 14/7034, S. 24): „Ist jemand Hauptaktionär aufgrund eines in den letzten sechs Monaten vor der Beschlussfassung der Hauptversammlung abgegebenen Angebots nach dem WpÜG geworden, so ist eine im Rahmen dieses Angebots angebotene Geldleistung als angemessene Barabfindung anzusehen, sofern das Angebot von mindestens neunzig vom Hundert der Aktionäre, an die es gerichtet war, angenommen worden ist.“

Bereits gegen diesen Regelungsvorschlag hatte der Bundesrat Bedenken geäußert, weil die übrigen Aktionäre damit so gestellt würden, als hätten sie das Angebot angenommen, obwohl sie es abgelehnt haben, weil sie der Auffassung waren, dass die angebotene Gegenleistung nicht dem wahren Wert ihrer Beteiligung entspreche (vgl. BT-Drucks. 14/7034, S. 87). Auch von dritter Seite hatte der Vorschlag Kritik erfahren (vgl. Rühland, NZG 2001, 448, 454; Heidel/Lochner, DB 2001, 2031, 2032; krit. vor dem Hintergrund der Ausgestaltung des konkreten Regelungsvorschlags und der beim gesellschaftsrechtlichen Squeeze out typischen Marktenge auch Habersack, ZIP 2001, 1230, 1238; krit. in Bezug auf die Maßgeblichkeit des Börsenkurses bei Marktmanipulationen Ehricke/Roth, DStR 2001, 1120, 1123; soweit Wirth/Arnold, AG 2002, 503, 506; Vetter, AG 2002, 176, 188 sowie Sellmann, WM 2003, 1545, 1547 auf § 327b Abs. 1 Satz 3 AktG-E eingehen, berichten sie lediglich ex post über das Gesetzgebungsverfahren). Der federführende Finanzausschuss des Bundestages hatte die Regelung vor diesem Hintergrund in seiner dem späteren Gesetzesbeschluss entsprechenden Beschlussempfehlung an das Plenum (vgl. BT-Drucks. 14/7477, S. 54) gestrichen.

Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz die Auffassung vertreten, die unwiderlegliche Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG stelle eine zulässige Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Zwar gebiete das Grundgesetz einen vollen Ausgleich. Die dabei nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu beachtende Mindestschwelle, namentlich der Börsenkurs, werde aber bei der Bestimmung des Angebotspreises erreicht. Der Schwellenwert von 90 % gewährleiste zudem, dass der Angebotspreis dem Verkehrswert der Aktien entspreche (BT-Drucks. 16/1342, S. 6).

cc) Der Gesetzgeber hat sich auch hier im weiteren Verfahren nicht die Bedenken des Bundesrates, sondern die Position der Bundesregierung zu eigen gemacht. Dies zeigt wiederum die vom Plenum übernommene Beschlussempfehlung des federführenden Finanzausschusses vom 18.5.2006, die lediglich diejenigen Änderungsvorschläge des Bundesrates aufgriff, denen die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ausdrücklich zugestimmt hatte (vgl. BT-Drucks. 16/1541, S. 12 f.). Dem 16. Deutschen Bundestag erschienen demnach die gegen eine Orientierung der Abfindung ausschließlich am Börsenkurs ZIP 2009, Seite 1063vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken im Gegensatz zum 14. Deutschen Bundestag nicht hinreichend fundiert, um die Vermutungsregelung entgegen dem Gesetzgebungsvorschlag widerleglich auszugestalten.

c) Die Widerleglichkeit der in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG geregelten Vermutung folgt nicht aus Vorgaben der Übernahmerichtlinie.

aa) § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG setzt die Regelung in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Übernahmerichtlinie um. Wenngleich dies hier nicht abschließend zu entscheiden ist, dürfte die Richtlinie insoweit eine unwiderlegliche Vermutung enthalten (offengelassen OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 49. Für die Vorgabe einer unwiderleglichen Vermutung Schlitt/Ries/Becker, NZG 2008, 700, 701; Hörmann/Feldmann, BB 2008, 2134, 2137; Wilsing/Ogorek, BB 2008, 2038; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 851; Hasselbach, ZGR 2005, 387, 405 sowie Krause, BB 2004, 113, 118, der eine Angemessenheitsfiktion annimmt. Für die Vorgabe einer widerleglichen Vermutung dagegen LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 42; Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 63; Schüppen/Tretter, a.a.O., § 39a Rz. 27; Maul, NZG 2005, 151, 157; Maul/Muffat-Jeandet, AG 2004, 306, 317; Rühland, NZG 2006, 401, 405; Mülbert, NZG 2004, 633, 634 und 641; Paefgen, WM 2007, 765, 767; Kießling, a.a.O., S. 85; jedenfalls für den Fall des Squeeze out nach einem freiwilligen Angebot Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 116 f.; Schüppen, BB 2006, 165, 168 sieht eine widerlegliche Vermutung jedenfalls als mit der Richtlinie vereinbar an; Rühland, NZG 2004, 401, 407 meint, dass die Richtlinie keine unwiderlegliche Vermutung vorgebe. Grunewald, NZG 2009, 332, 332 meint, dass die Übernahmerichtlinie insoweit keine Vorgaben enthalte).

(1) In der deutschen Fassung lauten die Vorgaben der Richtlinie wie folgt (vgl. ABl Nr. L142 v. 30.4.2004, 0012-0023): „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine angemessene Abfindung garantiert wird. Diese Abfindung muss dieselbe Form aufweisen wie die Gegenleistung des Angebots oder in Form einer Geldleistung erfolgen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass zumindest wahlweise eine Geldleistung angeboten werden muss. Bei einem freiwilligen Angebot in den in Abs 2 Buchst. a und b vorgesehenen Fällen gilt die im Angebot angebotene Abfindung dann als angemessen, wenn der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen stimmberechtigten Kapitals entsprechen. Bei einem Pflichtangebot gilt die Gegenleistung des Angebots als angemessen.“

Die Wendung „gilt ... als angemessen“ in Unterabs. 2 und 3 spricht dafür, dass die Vermutung nicht widerleglich sein soll (vgl. Krause, BB 2004, 113, 118 („Fiktion“); Hasselbach, ZGR 2005, 387, 405; Schlitt/Ries/Becker, NZG 2008, 700, 701; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 851; für eine Ambivalenz des deutschen Wortlauts dagegen Grunewald, NZG 2009, 332). Zu Recht wird zwar darauf verwiesen, dass die vorgenannte Wendung in den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie unterschiedlich übersetzt wurde. Die englische Sprachfassung weist die Wendung „shall be presumed to be fair“ auf, die französische enthält die Formulierung „est présumée juste“. In der italienischen Fassung ist formuliert „è da considerare giusto“. Daraus kann aber nicht darauf geschlossen werden, dass die Vermutung nach der Übernahmerichtlinie widerleglich sein soll. Zwar werden die Verben „to presume“ bzw. „présumer“ im Allgemeinen mit „annehmen“, „mutmaßen“ oder „unterstellen“ ins Deutsche übersetzt (vgl. LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 51; Kießling, a.a.O., S. 77). Die Wendungen „annehmen“ oder „unterstellen“ lassen sich nach dem allgemeinen deutschen Sprachgebrauch aber durchaus mit einer unwiderleglichen Vermutung vereinbaren. Auch das italienische „da considerare“ legt eine unwiderlegliche Vermutung nahe (vgl. Mülbert, NZG 2004, 633, 634; Grunewald, NZG 2009, 332). Entsprechendes gilt für die spanische, niederländische und finnische Sprachfassung jedenfalls in Bezug auf Pflichtangebote, bei denen der Angebotspreis nach der Richtlinie – wie nach dem WpÜG allgemein – nach bestimmten Vorgaben zu ermitteln ist (vgl. Kießling, a.a.O., S. 79).

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der britische Gesetzgeber Regelungen, die er als unwiderlegliche Vermutungen ausgestalten will, mit „shall be considered“ umschreibt, wohingegen Regelungen, die in der Tendenz widerlegbar sind, mit „shall be presumed“ formuliert werden (so LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 51 f.; Kießling, a.a.O., S. 77). Die Orientierung der Wortlautauslegung an der nationalen Gesetzgebung ist mit dem aus den Grundsätzen der Eigenständigkeit und der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts abzuleitenden Grundsatz der autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts unvereinbar (vgl. EuGH, Urt. v. 14.1.1982 – Rs C-64/81, LS 1 und Rz. 8; EuGH, Urt. v. 22.5.2003 – Rs C-103/01, Rz. 33; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, § 15 Rz. 32; Karpenstein, Praxis des EG-Rechts, § 2 Rz. 104; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 EGV Rz. 42). Im Übrigen kommt der englischen Sprachfassung keine größere Bedeutung zu als der deutschen. Bei der Wortlautauslegung von Gemeinschaftsrechtsakten ist grundsätzlich allen Sprachfassungen der gleiche Wert beizumessen (EuGH, Urt. v. 2.4.1998 – Rs C-296/95, LS 2; EuGH, Urt. v. 20.11.2003 – Rs C-152/01, Rz. 32; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg, a.a.O., § 15 Rz. 35; Karpenstein, a.a.O., § 2 Rz. 107; Pernice/Mayer, a.a.O., Art. 220 EGV Rz. 42).

(2) Angesichts der durch mögliche Abweichungen der unterschiedlichen Sprachfassungen erschwerten Wortlautauslegung sind Vorschriften in Gemeinschaftsrechtsakten insbesondere anhand von Sinn und Zweck der Regelung auszulegen, zu der sie gehören (vgl. EuGH, Urt. v. 20.11.2003 – Rs C-152/01, Rz. 33). Entgegen der Auffassung der Antragsteller spricht der Regelungszusammenhang, in dem Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Übernahmerichtlinie stehen, nicht für die Widerleglichkeit der dort angeordneten Vermutung.

Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten durch Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 der Richtlinie, sicherzustellen, dass eine angemessene Abfindung „garantiert“ wird, setzt nicht voraus, dass die Möglichkeit eröffnet wird, die Unangemessenheit des auf Marktpreisen beruhenden Angebotspreises nachzuweisen. Im Gegenteil zeigt der Blick auf die Regelungen zur Bestimmung des Angebotspreises bei Pflichtangeboten, dass dem Ge-ZIP 2009, Seite 1064meinschaftsgesetzgeber grundsätzlich eine Wertbestimmung anhand von Marktpreisen vor Augen stand (vgl. Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2134, 2137). Der Gemeinschaftsgesetzgeber traf – etwa durch die Bestimmung eines längeren Referenzzeitraums oder durch die Verpflichtung zur Berücksichtigung an Dritte gezahlter Zuschläge – lediglich Vorkehrungen, um Manipulationen des Marktpreises zu verhindern (vgl. Art. 5 Abs. 4 Übernahmerichtlinie).

Dahingestellt bleiben kann, dass Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, ihre Aufsichtsstellen zur Abänderung von Pflichtangebotspreisen zu ermächtigen, oder nach Art. 5 Abs. 6 bzw. Art. 3 Abs. 2 Buchst. b ermöglicht, weitere Instrumente zum Schutz der Wertpapierinhaber bzw. zusätzliche Bedingungen und strengere Bestimmungen für Angebote vorzusehen. Da den Mitgliedstaaten insoweit ausdrücklich ein Umsetzungsspielraum gewährt wird, können diese Regelungen nicht als Beleg dafür angeführt werden, dass zum Schutz der Wertpapierinhaber die in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 angeordnete Maßgeblichkeit des auf dem Marktpreis beruhenden Angebotspreises stets entfallen soll, wenn dessen Unangemessenheit im Einzelfall nachgewiesen wird.

(3) Zweifelhaft erscheint, ob aus der Entstehungsgeschichte der Übernahmerichtlinie abzuleiten ist, dass die Angemessenheitsvermutung in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 widerleglich sein soll. Der dem Gesetzgebungsverfahren vorausgegangene Jaap-Winter-Bericht empfahl ausdrücklich, die Widerlegung der Angemessenheit des Angebotspreises zuzulassen (S. 76; vgl. dazu Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2134, 2137; Paefgen, WM 2007, 765, 767). Dieser Empfehlung stand vermutlich die Regelung des Squeeze out im britischen companies act Modell (vgl. Rühland, NZG 2006, 401, 407).

Die Kommission hat zwar in der Begründung ihres Richtlinienvorschlags vom 2.10.2002 zum Ausdruck gebracht, dass sie in Bezug auf das Ausschlussrecht den Empfehlungen des Jaap-Winter-Berichts folge (vgl. KOM (2002) 534 endg. [im Folgenden „RL-E“], S. 3). Dies muss aber nicht notwendig für die Einzelheiten der Ausgestaltung des Ausschlussrechts gelten. Die Kommission hat in ihrem Entwurfstext die Frage der Widerleglichkeit der Angemessenheitsvermutung jedenfalls nicht ausdrücklich angesprochen. In Art. 14 Abs. 3 und 4 RL-E war zum Ausschluss von Minderheitsaktionären bestimmt:

„3. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass eine angemessene Abfindung garantiert wird. Diese Abfindung muss dieselbe Form aufweisen wie die Gegenleistung des Angebots. Bei einem freiwilligen Angebot gilt die Abfindung als angemessen, wenn sie der Gegenleistung des Angebots entspricht und der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des Gesellschaftskapitals entsprechen, das Gegenstand des Angebots war. Bei einem Pflichtangebot gilt die Gegenleistung des Angebots als angemessen.

4. In den beiden in Abs. 1 Buchst. a und b vorgesehenen Fällen gilt die Vermutung der angemessenen Abfindung nur, wenn das Ausschlussrecht innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Frist für die Annahme des Angebots ausgeübt wird. In allen anderen Fällen muss die Abfindung von einem unabhängigen Sachverständigen festgelegt werden.“

Die Gegenüberstellung der Bemessung der Abfindung anhand der Vermutung in Abs. 4 Satz 1 einerseits und anhand eines Sachverständigengutachtens in Abs. 4 Satz 2 andererseits legt eher nahe, dass sich die Abfindung in den Fällen des Abs. 3 – zumindest bei einem zeitlich unmittelbar auf das Angebot folgenden Ausschlussverfahren – nur am Angebotspreis orientieren sollte.

Die Auslegung der Angemessenheitsvermutung in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Übernahmerichtlinie als widerleglich stützt sich demnach im Wesentlichen auf die vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens veröffentlichten Empfehlungen einer Expertengruppe, die weder im Richtlinientext noch in den Erwägungsgründen in Bezug genommen werden. Die Berücksichtigung nicht in Text oder Erwägungsgründen enthaltener Umstände bei der Auslegung von Gemeinschaftsrechtsakten begegnet allerdings Bedenken. Zwar können bei der historischen Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts subjektive Vorstellungen des Normgebers einfließen; dies gilt aber nur insoweit, als sie in dem auszulegenden Gemeinschaftsrechtsakt selbst konkreten Niederschlag gefunden und damit rechtliche Relevanz erhalten haben (vgl. zur Nichtberücksichtigung von Protokollerklärungen bei der Ratstagung, in welcher der Rechtsakt beschlossen wurde, EuGH, Urt. v. 19.3.1996 – Rs C-25/74, LS 3 und Rz. 38; EuGH, Urt. v. 26.2.1991 – Rs C-292/89, Rz. 18; allgemein Borchardt, in: Schulze/Zuleeg, a.a.O., § 15 Rz. 42; zur untergeordneten Bedeutung der historischen Auslegung im Gemeinschaftsrecht wegen der beschränkten Zugänglichkeit der Vorarbeiten der Kommission und anderer Materialien Karpenstein, a.a.O., § 2 Rz. 111; zurückhaltender demgegenüber unter Hinweis auf die zunehmende Veröffentlichung von Materialien im Internet Pernice/Mayer, a.a.O., Art. 220 EGV Rz. 53).

bb) Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die Auslegung von Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Übernahmerichtlinie nicht gem. Art. 234 EG dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

(1) Zwar ist der Senat gem. Art. 234 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Buchst. b EG zur Vorlage verpflichtet, wenn die Klärung der Auslegung der Übernahmerichtlinie in diesem Verfahren erforderlich ist. Der Senat entscheidet i.S.v. Art. 234 Abs. 3 EG in letzter Instanz. Dabei ist in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Regelung eine konkrete Betrachtungsweise geboten. Vorlagepflichtig sind demnach nicht nur die höchsten nationalen Gerichte, sondern auch Instanzgerichte, soweit ihre Entscheidung im konkreten Verfahren nicht mehr anfechtbar ist (vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 234 EGV Rz. 52; Borchardt, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 234 EGV Rz. 41; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, HdB des Rechtsschutzes in der EU, 2. Aufl., § 10 Rz. 57; Classen, in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, § 4 Rz. 77). Da auf dieses Verfahren die Bestimmungen des SpruchG anzuwenden sind (vgl. oben I), ist gegen die Entscheidung des Senats nach § 12 Abs. 2 Satz 3 SpruchG kein ordentlicher Rechtsbehelf eröffnet.

ZIP 2009, Seite 1065

(2) Die Auslegung von Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Übernahmerichtlinie ist aber für die Entscheidung des Senats nicht erheblich. Eine Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG besteht nur, wenn die Auslegungsfrage entscheidungserheblich ist; dabei obliegt die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit dem nationalen Gericht (vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf, a.a.O., Art. 234 EGV Rz. 25; Borchardt, in: Lenz/Borchardt, a.a.O., Art. 234 EGV Rz. 26; Middeke, a.a.O., § 10 Rz. 51; Classen, a.a.O., § 4 Rz. 74). Auf die Frage, ob die Angemessenheitsvermutung nach Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Übernahmerichtlinie widerleglich ist, kommt es indessen im Rahmen der hiesigen Entscheidung nicht an. Weder ist insoweit eine richtlinienkonforme Auslegung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG geboten (dazu unten (a)), noch kommt eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie in Betracht (dazu unten (b)).

(a) Entgegen der Auffassung der Antragsteller und von Teilen der Literatur (vgl. Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 62; Paefgen, WM 2007, 765, 767) ist § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG selbst dann nicht richtlinienkonform im Sinne einer widerleglichen Vermutung auszulegen, wenn die Übernahmerichtlinie eine widerlegliche Angemessenheitsvermutung enthalten sollte. Zwar folgt aus der gem. Art. 10 i.V.m. 249 EG sämtlichen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegenden Pflicht zur Gemeinschaftstreue das Gebot, nationale Gesetze, die in Umsetzung einer Richtlinie erlassen wurden, richtlinienkonform, also im Lichte von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszulegen (vgl. Gellermann, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, a.a.O., § 33 Rz. 45; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 249 EGV Rz. 153; Borchardt, in: Lenz/Borchardt, a.a.O., Art. 220 EGV Rz. 40; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg, a.a.O., § 15 Rz. 72 und 75). Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung besteht aber nur, soweit die auszulegenden nationalen Rechtsvorschriften überhaupt Auslegungsspielräume eröffnen; zur Überwindung des Wortlauts, zur Bildung von Analogien oder zur Rechtsfortbildung ist der Rechtsanwender nicht verpflichtet (vgl. Nettesheim, a.a.O., Art. 249 EGV Rz. 153; Gellermann, a.a.O., § 33 Rz. 49). Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung findet jedenfalls ihre Grenze im eindeutigen Wortlaut der nationalen Vorschrift oder in der ausdrücklichen Weigerung des nationalen Gesetzgebers, eine Richtlinie in nationales Recht umzusetzen; das nationale Recht darf nicht „contra legem“ ausgelegt werden (Borchardt, in: Lenz/Borchardt, a.a.O., Art. 220 EGV Rz. 41; Borchardt, in: Schulze/Zuleeg, a.a.O., § 15 Rz. 85 f.).

Da sich der deutsche Gesetzgeber ausweislich der Entstehungsgeschichte (vgl. dazu oben b) ausdrücklich für eine unwiderlegliche Ausgestaltung der Angemessenheitsvermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG entschieden hat und dies im Wortlaut der Bestimmung auch zum Ausdruck kommt (vgl. oben a), kann die Vorschrift selbst dann nicht als widerlegliche Vermutung ausgelegt werden, wenn dies die Übernahmerichtlinie vorgeben sollte.

(b) Die Auslegung der Richtlinie ist auch nicht in anderem Zusammenhang für die Entscheidung des Senats erheblich; insbesondere ist die Richtlinie nicht unmittelbar anzuwenden. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Übernahmerichtlinie im Allgemeinen und ihr Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 im Besonderen zur unmittelbaren Anwendung geeignet sind. Dazu müssten die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt sein (vgl. Nettesheim, a.a.O., Art. 249 EGV Rz. 161; Gellermann, a.a.O., § 33 Rz. 29; Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rz. 13). Dies trifft indessen jedenfalls auf die Bestimmungen der Übernahmerichtlinie zur Gegenleistung für den Squeeze out nicht zu, da die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber insoweit einen Umsetzungsspielraum lässt (vgl. dazu Falkner, ZIP 2008, 1775, 1776; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 849; Kießling, a.a.O., S. 12 und 85). Bislang unangefochten hat etwa der deutsche Gesetzgeber den nach der Richtlinie nur für freiwillige Angebote vorgesehenen Schwellenwert von 90 % in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG auch zur Voraussetzung der Angemessenheitsvermutung bei Pflichtangeboten gemacht, um die Angemessenheit des Angebotspreises abzusichern (vgl. dazu Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 849 f.). Zu bedenken ist außerdem, dass Art. 3 Abs. 2 Buchst. b und Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 sowie Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie den nationalen Gesetzgeber ermächtigen, von den Richtlinienvorgaben für das Angebot abzuweichen, insbesondere um eine Manipulation der Marktpreise zu verhindern. Die Bestimmungen über den Angebotspreis betreffen die beim Squeeze out zu gewährende Abfindung zwar nur mittelbar. Je stärker die nationalen Umsetzungsvorschriften aber sicherstellen, dass der Angebotspreis angemessen ist, desto weniger besteht Anlass, die Widerlegung der Vermutung in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 zu eröffnen.

Jedenfalls kommt die unmittelbare Anwendung einer Richtlinie grundsätzlich nur im Verhältnis zu dem die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umsetzenden Mitgliedstaat, nicht aber im hier betroffenen Verhältnis zwischen Bürgern untereinander in Betracht. Da Richtlinien Verpflichtungen nur für die Mitgliedstaaten, nicht aber für den Einzelnen enthalten, sind sie unmittelbar grundsätzlich nur anzuwenden, soweit sie den Bürger gegenüber dem Mitgliedstaat begünstigen, nicht aber im Verhältnis der Bürger untereinander (vgl. EuGH, Urt. v. 7.3.1996 – Rs C-192/94, ZIP 1996, 870, LS 1 und Rz. 15 – 18 – El Corte Ingles, dazu EWiR 1996, 599 (Bülow); EuGH, Urt. v. 26.2.1986 – Rs C-152/84, LS 5 und Rz. 48 – Marshall; Gellermann, a.a.O., § 33 Rz. 34; Remien, in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, § 14 Rz. 36; Hetmeier, a.a.O., Art. 249 EGV Rz. 14; für eine umfassendere unmittelbare Anwendung von Richtlinien dagegen Nettesheim, a.a.O., Art. 249 EGV Rz. 179). Zwar können sich Bürger ausnahmsweise gegenüber anderen Bürgern darauf berufen, dass Vorschriften des nationalen Rechts gegen die Vorgaben einer Richtlinie verstoßen. Diese Fälle betreffen aber Rechtsvorschriften, die unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Notifizierungs- oder Wartefristen erlassen wurden, die es der Kommission ermöglichen sollten, Beschränkungen des freien Warenverkehrs durch Harmonisierungsmaßnahmen zu vermindern (vgl. EuGH, Urt. v. 30.4.1996 – Rs C-194/94, Rz. 47 – 50 – CIA Security; EuGH, Urt. v. 26.9.2000 – Rs C-443/98, ZIP 2000, 1773, Rz. 49 – Unilever, dazu EWiR 2001, 497 (Micklitz)). Dadurch wurden die Bürger, die sich auf die richtlinienwidrig erlassenen Rechtsvorschriften beriefen, indessen nicht über die Reflexwirkung ZIP 2009, Seite 1066des Wegfalls der Vorschrift hinaus belastet (vgl. insoweit Gellermann, a.a.O., § 33 Rz. 34). Würde man demgegenüber – die Widerleglichkeit der Angemessenheitsvermutung in Art. 15 Abs. 5 Unterabs. 2 und 3 der Übernahmerichtlinie unterstellt – in unmittelbarer Anwendung dieser Richtlinienbestimmung anstelle des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG den übrigen Aktionären die Möglichkeit eröffnen, zu widerlegen, dass die angemessene Abfindung dem auf dem Börsenwert beruhenden Angebotspreis entspricht, und stattdessen die Bemessung der Abfindung nach einem über dem Börsenwert liegenden, im Ertragswertverfahren ermittelten Unternehmenswert zu fordern, käme es – schon wegen des damit verbundenen Zeit- und Kostenaufwands – zu einer unmittelbaren Belastung des Bieters.

d) Die Widerleglichkeit der Vermutung in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG folgt auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift. Das Gebot der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen bewirkt, dass von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu verfassungswidrigen, teils zu verfasssungsgemäßen Ergebnissen führen, die verfassungsgemäße zu wählen ist (vgl. BVerfGE 32, 373, Rz. 30 m.w.N.; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 11. Aufl., Art. 93 Rz. 114). Die verfassungskonforme Auslegung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG führt aber nicht zu dem Ergebnis, dass die Vermutung, die angemessene Abfindung entspreche dem auf dem Börsenwert beruhenden Angebotspreis, durch den Nachweis eines über dem Börsenwert liegenden, nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Unternehmenswerts widerlegt werden kann.

Dies gilt schon deshalb, weil die verfassungskonforme Auslegung einer Vorschrift – ähnlich wie die richtlinienkonforme Auslegung (vgl. dazu oben c bb (2) (a)) – deren normativen Gehalt nicht grundlegend neu bestimmen darf; die verfassungskonforme Auslegung findet dort ihre Grenze, wo sie zu dem Wortlaut und dem klaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (vgl. BVerfGE 8, 28, LS 1 und Rz. 22; BVerfGE 18, 97, Rz. 50; BVerfGE 72, 278, Rz. 40; BVerfGE 90, 263, Rz. 39; Hopfauf, a.a.O., Art. 93 Rz. 114). Da sich der Gesetzgeber ausweislich der Entstehungsgeschichte (vgl. dazu oben b) für eine unwiderlegliche Ausgestaltung der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG entschieden hat und dies im Wortlaut der Bestimmung auch zum Ausdruck kommt (vgl. oben a), könnte die Vorschrift deshalb selbst dann nicht als widerlegliche Vermutung ausgelegt werden, wenn sie nur in diesem Fall verfassungsgemäß wäre.

Indessen ist die Eröffnung der Möglichkeit für die übrigen Aktionäre, nachzuweisen, dass der nach dem Ertragswertverfahren oder anderen fundamentalanalytischen Methoden ermittelte Unternehmenswert den am Börsenwert orientierten Angebotspreis übersteigt, und diesen vom Bieter zu fordern, nicht geboten, um die Vereinbarkeit der Bestimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben sicherzustellen (ebenso im Ergebnis OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 56, 58 und 62; Santelmann, a.a.O., § 39a Rz. 8 und 11; Süßmann, a.a.O., § 39a Rz. 16; Wilsing/Ogorek, BB 2008, 2038, 2039; Falkner, ZIP 2008, 1775, 1776; Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2134, 2138; Schlitt/Ries/Becker, NZG 2008, 700; Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318 f.; Merkt/Binder, BB 2006, 1285, 1290; Grunewald, NZG 2009, 332, 334; Paefgen, WM 2007, 765, 768, allerdings bei Annahme einer Widerleglichkeitsvorgabe durch das Gemeinschaftsrecht; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 850 und Hasselbach, ZGR 2005, 387, 406 de lege ferenda; wohl auch Holzborn/Müller, a.a.O., Anh. § 327a/§§ 39a – 39c WpÜG Rz. 12 und Ott, WM 2008, 384, 390; Rühland, NZG 2006, 401, 406 f. hält zwar eine Widerlegungsmöglichkeit für geboten, aber nur für Fälle des Verstoßes gegen § 15 WpHG oder von Börsenkursmanipulationen. A.A. LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 41; Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 64 und 41 ff.; Schüppen, BB 2006, 165, 168; Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 109, 117; Kießling, a.a.O., S. 118; wohl auch Schüppen/Tretter, a.a.O., § 39a Rz. 26 f.; Sellmann, WM 2003, 1545, 1547 hielt de lege ferenda jedenfalls eine widerlegliche Vermutung für verfassungsgemäß. Ohne eigene Stellungnahme insoweit Krause, BB 2004, 113, 118; Maul, NZG 2005, 151, 157; Mülbert, NZG 2004, 633, 642 und Deilmann, NZG 2007, 721, 723 f.).

Nicht zu entscheiden ist vor diesem Hintergrund, ob § 39a Abs. 3 Satz3 WpÜG an Art. 14 Abs. 1 GG gemessen werden darf, wenn und soweit er gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umsetzt, oder ob der Grundrechtsschutz insoweit nur auf europäischer Ebene zu gewährleisten ist (vgl. dazu BVerfGE 73, 339, LS 2 – Solange II; BVerfGE 89, 155 = ZIP 1993, 1636, LS 7 – Maastricht, dazu EWiR 1993, 1081 (Kluth); BVerfGE 113, 273, Rz. 80 – EU-Haftbefehl; BVerfG WM 2007, 1483, Orientierungssatz 1a). Einer Aussetzung des Verfahrens zur Einholung einer Entscheidung des BVerfG gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG bedarf es nicht.

aa) Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet zwar auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum im Rahmen seiner Ausgestaltung durch das Gesellschaftsrecht. Diese Gewährleistung schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber kraft seiner Befugnis zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Maßnahmen ermöglicht, die den Wert der Aktie erheblich mindern oder die in ihr verkörperte Rechtsposition entziehen (vgl. BVerfGE 14, 263, Rz. 52 und 62 – Feldmühle; BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436 (m. Anm. Wilken), Rz. 42 und 46 – DAT/Altana, dazu EWiR 1999, 751 (Neye)).

Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die berechtigten Interessen der betroffenen Aktionäre gewahrt werden. Dazu gehört zum einen, dass ihnen wirksame Rechtsbehelfe gegen einen Missbrauch der wirtschaftlichen Macht zur Verfügung stehen, und zum anderen, dass sie für den Verlust ihrer Rechtsposition – anders als bei Enteignungen zum Wohl der Allgemeinheit – wirtschaftlich voll entschädigt werden (BVerfGE 14, 263, Rz. 65 – Feldmühle; BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 47 – DAT/Altana). Die „volle Entschädigung“ muss dasjenige vollständig kompensieren, was dem Aktionär an Eigentum i.S.v. Art. 14 Abs. 1 GG verloren geht. Dabei ist zu bedenken, dass das Aktieneigentum mitgliedschaftliche Herrschafts- und Vermögensrechte vermittelt. Bei Kleinaktionären, die auf die Unternehmenspolitik regelmäßig keinen Einfluss nehmen können und die Aktie vorwiegend als Kapitalanlage betrachten, steht die Vermögenskomponente vielfach im Vor-ZIP 2009, Seite 1067dergrund. Dabei ist das Aktieneigentum im Gegensatz zu anderen Unternehmensbeteiligungen von der besonderen Verkehrsfähigkeit geprägt, die es dem Aktionär jedenfalls in Zeiten eines funktionierenden Kapitalmarktes erlaubt, sein Kapital nach Belieben zu investieren oder zu desinvestieren (vgl. BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 54 f. – DAT/Altana).

Soweit der einfache Gesetzgeber bislang eine Entwertung oder Entziehung des Aktieneigentums ermöglicht hat, gewährt er dem betroffenen Aktionär im Gegenzug eine „angemessene Abfindung“ (vgl. § 305 Abs. 1, § 320b Abs. 1 Satz 1, § 327f Satz 1 und 2 AktG) bzw. einen „angemessenen Ausgleich“ (vgl. § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Praxis ermittelt zur Bestimmung der angemessenen Abfindung bzw. des angemessenen Ausgleichs den Grenzpreis, zu dem der Minderheitsaktionär bei einer freiwilligen Desinvestitionsentscheidung ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden könnte (vgl. BGHZ 138, 136 = ZIP 1998, 690, Rz. 9; OLG Stuttgart ZIP 2007, 1320 (LS) = NZG 2007, 112, Rz. 23; Hüffer, a.a.O., § 305 Rz. 18). Zur Ermittlung dieses Werts wendet die Rechtsprechung fundamentalanalytische Unternehmensbewertungsverfahren an, insbesondere das Ertragswertverfahren (vgl. OLG Stuttgart ZIP 2007, 530 = AG 2007, 209, Rz. 30, dazu EWiR 2007, 225 (Wilsing/Goslar); Hüffer, a.a.O., § 305 Rz. 19; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl., § 305 AktG Rz. 51 ff.; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 305 Rz. 62 ff.). Dabei ist allerdings der Börsenkurs der Aktie als Untergrenze der Entschädigung zu berücksichtigen (BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 63 – DAT/Altana; BGHZ 147, 108 = ZIP 2001, 734, Rz. 17 – DAT/Altana, dazu EWiR 2001, 605 (Wenger)).

Die durch das Übernahmerichtlinien-Umsetzungsgesetz neu geschaffene Vorschrift des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG unterstellt demgegenüber, dass der Preis des Angebots, das dem Ausschlussverfahren vorausging, der angemessenen Abfindung entspricht, wenn es für mindestens 90 % der Aktien angenommen wurde, auf die es sich bezog. Der Angebotspreis bestimmt sich nach § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO. Entscheidend ist dabei im Wesentlichen der gewichtete durchschnittliche Börsenkurs der Aktie während der letzten drei Monate vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bzw. des Kontrollerwerbs (§ 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG i.V.m. §§ 5 f. WpÜG-AngVO). Daneben sind die Preise zu berücksichtigen, zu denen der Bieter oder bestimmte Dritte Aktien erworben haben (§ 31 Abs. 1 Satz 2 WpÜG i.V.m. § 4 WpÜG-AngVO). Die angemessene Abfindung orientiert sich demnach im Fall des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG nicht an einem nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Wert des Unternehmens, sondern an seinem Börsenwert.

bb) Verfassungsrechtlich bedenklich wäre die Unwiderleglichkeit der in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG geregelten Vermutung, dass die angemessene Abfindung dem Angebotspreis entspricht, nur, wenn damit nicht hinreichend gewährleistet wäre, dass die übrigen Aktionäre im Gegenzug für ihre auf den Bieter übertragenen Aktien deren vollen Verkehrswert erhalten. Dies trifft indessen nicht zu. Angesichts der Orientierung des Angebotspreises am Börsenkurs erhalten die übrigen Aktionäre zumindest den Börsenwert. Dem kann hier nicht entgegengehalten werden, dass der Börsenkurs der Aktie am 21.9.2007, also nach dem Übertragungsbeschluss, bei 15,80 € und damit um 6 Cent über dem Angebotspreis lag. Dieser Kurs entspricht genau der Summe aus angebotener Abfindung und Verzinsung. Auf einen über dem Börsenwert liegenden, nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Unternehmenswert haben die übrigen Aktionäre keinen verfassungsrechtlichen Anspruch (vgl. dazu unten (1)); der Gesetzgeber hat jedenfalls ausreichend sichergestellt, dass der am Börsenwert orientierte Angebotspreis dem Verkehrswert der Aktien entspricht (vgl. dazu unten (2)).

(1) Zwar ist der Börsenwert eines Unternehmens nicht notwendig mit dem fundamentalanalytisch ermittelten Unternehmenswert, insbesondere mit seinem Ertragswert identisch. Fehl geht aber die Auffassung der Antragsteller, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihnen im Wege einer „Meistbegünstigung“ entweder den anteiligen Börsenwert oder aber einen höheren anteiligen Ertragswert des Unternehmens zukommen zu lassen; Art. 14 Abs. 1 GG gebietet keine „doppelte Untergrenze“ für die Ermittlung des Verkehrswerts (vgl. Stephan, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 305 Rz. 99; im Ergebnis wohl ebenso OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 56 und Grunewald, NZG 2009, 332, 334; Veil, a.a.O., § 305 Rz. 51 sowie Emmerich, a.a.O., § 305 AktG Rz. 44 jedenfalls vorbehaltlich nachgewiesener Kapitalmarktineffizienzen; Rühland, NZG 2006, 401, 404; Müller, in: Festschrift Röhricht, S. 1015, 1028, hält den Börsenkurs zugleich für die Obergrenze der angemessenen Abfindung; a.A. Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 42; Kießling, a.a.O., S. 927).

Zwar hat der BGH zur Frage der Bemessung der angemessenen Abfindung i.S.v. § 305 AktG in Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG zur Berücksichtigung des Börsenkurses als Untergrenze der angemessenen Abfindung festgestellt, dass der Minderheitsaktionär zumindest den anteiligen Börsenwert oder stattdessen einen darüber liegenden anteiligen Unternehmenswert verlangen kann, der nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelt wurde (vgl. BGHZ 147, 108, 110 = ZIP 2001, 734, Rz. 21 – DAT/Altana; krit. dazu Stilz, ZGR 2001, 875, 892 und Veil, a.a.O., § 305 Rz. 51). Dies bedeutet aber nicht, dass der Minderheitsaktionär stets von Verfassung wegen den höheren Betrag verlangen kann (vgl. Stephan, a.a.O., § 305 Rz. 99; a.A. Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 42; soweit sich Martens, AG 2003, 593, 599, für einen „Meistbegünstigungsgrundsatz“ ausspricht, dient dies lediglich der Bewältigung der hier nicht einschlägigen Sonderprobleme bei der Ermittlung einer angemessenen Verschmelzungswertrelation; Emmerich, a.a.O., § 305 AktG Rz. 44 hält im Rahmen des § 305 AktG eine Abfindung nach dem den Börsenwert übersteigenden fundamentalanalytisch ermittelten Unternehmenswert für geboten, wenn die Anteile wegen offenkundiger Informationsdefizite der Börsenteilnehmer unterbewertet sind). Die Entscheidung des BGH erging auf der Grundlage einer einfachgesetzlichen Vorschrift, welche die Methode zur Ermittlung des Verkehrswerts nicht regelt. Der Entscheidung lässt sich nicht entnehmen, dass der Minderheitsaktionär auch dann den anteiligen, anhand des Ertragswertverfah-ZIP 2009, Seite 1068rens ermittelten Unternehmenswert verlangen darf, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich eine Wertermittlung anhand des Börsenwerts vorschreibt.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist zwar neben dem von der Rechtsprechung bis zum damaligen Zeitpunkt ausschließlich fundamentalanalytisch ermittelten Unternehmenswert „[dar]über hinaus“ (BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 56 – DAT/Altana) der Börsenwert zu berücksichtigen, weil und soweit dieser den Verkehrswert der Aktie abbildet (BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 63 – DAT/Altana). Mit dieser Feststellung sind aber keine Vorgaben für die Ermittlung des Unternehmenswerts verbunden. Die verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung von Börsenkursen beruht vielmehr darauf, dass die Aktie nicht nur eine mittelbare Beteiligung am Unternehmen der Gesellschaft darstellt, was zu einer Unternehmensbewertung führen muss, sondern dass sie – im Unterschied zu anderen Formen gesellschaftsrechtlicher Beteiligung – auch ein selbstständig verkehrsfähiger, der unmittelbaren Verfügung des Aktionärs unterliegender Vermögenswert ist (OLG Stuttgart ZIP 2008, 883, Rz. 33; zustimmend Wasmann, BB 2008, 580). Für die unter dem Aspekt der Aktie als Unternehmensbeteiligung weiterhin gebotene Ermittlung des Unternehmenswerts hat das BVerfG indessen ausdrücklich festgestellt, das Verfassungsrecht enthalte keine konkreten Vorgaben zur Wertermittlung (BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 61 – DAT/Altana). Demnach verdient von Verfassung wegen eine auf fundamentalanalytischen Methoden beruhende Wertermittlung weder im Allgemeinen noch bei der Ermittlung höherer Ergebnisse im Einzelfall den Vorrang vor einer marktorientierten Wertermittlung anhand von Börsenwerten.

Der Börsenwert gibt ebenso wie der Ertragswert oder andere in fundamentalanalytischen Verfahren ermittelte Werte den Wert des Unternehmens an. Der Ertragswert ist im Verhältnis zum Börsenwert nicht der richtigere oder „wahre“ Wert, sondern lediglich ein mithilfe anderer Methoden gefundener Wert.

Der in einem fundamentalanalytischen Verfahren ermittelte Unternehmenswert stellt den – lediglich theoretischen – Wert dar, wie er bei einem Verkauf des Unternehmens als Einheit erzielt werden könnte (vgl. BGH WM 1984, 1506, Rz. 10; Hüttemann, ZGR 2001, 454, 466). Während der Aktionär grundsätzlich einen Börsenkurs realisieren kann, wenn er sich zu einer Desinvestition entscheidet, kann er nicht darauf vertrauen, einen über dem Börsenwert liegenden, seinem Anteil am Unternehmen entsprechenden Teil des für das Unternehmen als Wirtschaftseinheit theoretisch errechneten Werts zu erlösen. Dies gilt nicht nur deshalb, weil der letztgenannte Wert jeweils im Einzelfall aufwändig zu ermitteln ist, sondern auch deshalb, weil der einzelne Aktionär dem Erwerber regelmäßig nicht die Kontrolle über das Unternehmen vermitteln kann. Jedenfalls hängt eine Veräußerung zu einem vom allgemeinen Marktpreis abweichenden Preis auch für große Aktienpakete regelmäßig vom individuellen Verlauf der Verhandlungen zwischen Käufer und Verkäufer sowie deren subjektiven Bewertungsmaßstäben ab.

Zwar entspricht der fundamentalanalytisch im Ertragswertverfahren ermittelte Unternehmenswert modelltheoretisch dem Barwert der künftigen Unternehmenserträge, die dem Aktionär über seinen Dividendenanspruch zugute gekommen wären, wenn er seine Aktien hätte behalten dürfen; daher ist nicht auszuschließen, dass der Aktionär – das Halten seiner Aktien unterstellt – den fundamentalanalytisch ermittelten Ertragswert in der Zukunft tatsächlich realisieren kann, wenn sich u.a. die der Ertragswertberechnung zugrunde liegenden Ertragsprognosen und Zinsannahmen bewahrheiten würden. Auch der Börsenkurs spiegelt aber die Einschätzung des Barwerts der künftigen Unternehmenserträge wider (vgl. Hüttemann, ZGR 2001, 454, 468; Steinhauer, AG 1999, 299, 303 f.; Gude, Strukturänderungen und Unternehmensbewertung zum Börsenkurs, S. 28; ähnlich Stilz, ZGR 2001, 875, 884 sowie LG Frankfurt/M. BB 2009, 617, Rz. 19). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass diese nicht von einem externen Sachverständigen, sondern von den Marktteilnehmern getroffene Einschätzung nicht nur die dem Unternehmen selbst innewohnenden Umstände, sondern auch äußere Einflüsse wie politische Ereignisse, psychologische Momente oder allgemeine Tendenzen berücksichtigt. Dies trifft in gleicher Weise auf die Ertragsprognosen zu, die der fundamentalanalytischen Wertermittlung durch einen Sachverständigen zugrunde gelegt werden (vgl. Steinhauer, AG 1999, 299, 302).

Dabei kommt den vom Sachverständigen zugrunde gelegten Ertragsprognosen nicht per se eine höhere Richtigkeitsgewähr zu als den Einschätzungen der Marktteilnehmer, da sie grundsätzlich auf der Planung der Geschäftsführung des zu bewertenden Unternehmens beruhen (vgl. LG Frankfurt/M. BB 2009, 617, Rz. 19). Jedenfalls bei einem hinreichend (informations-)effizienten Kapitalmarkt und bei hinreichender Liquidität der Aktie, also bei ausreichend großen Handelsumsätzen, sind die auf den Schätzungen der Marktteilnehmer beruhenden Börsenwerte nicht weniger zur Bestimmung des Verkehrswerts einer Aktie geeignet als die Schätzungen eines Sachverständigen (vgl. LG Frankfurt/M. BB 2009, 617, Rz. 19; Hüttemann, ZGR 2001, 454, 468; Steinhauer, AG 1999, 299, 306 f.; Gude, a.a.O., S. 299; in diesem Sinne auch Müller, a.a.O., S. 1015, 1028). Während eine fundamentalanalytische Unternehmensbewertung nur versucht, einen Preisbildungsprozess am Markt zu simulieren (vgl. OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 56; Müller, a.a.O., S. 1015, 1026; Stilz, in: Festschrift Mailänder, S. 423, 427), beruht der Börsenwert auf einem tatsächlichen Preisbildungsprozess, der sich aus einer Vielzahl realer Kauf- und Verkaufsentscheidungen der Marktteilnehmer zusammensetzt (vgl. Hüttemann, ZGR 2001, 454, 468). Dementsprechend wird der Börsenwert eines Unternehmens auch bei der fundamentalanalytischen Ermittlung seines Werts zur Plausibilisierung herangezogen (vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen [IDW S1], Stand: 18.10.2005, Rz. 15).

(2) Der Gesetzgeber hat jedenfalls ausreichend sichergestellt, dass der nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG maßgebliche Angebotspreis im Einzelfall dem Verkehrswert entspricht. Zwar gebietet Art. 14 Abs. 1 GG, Sicherungen vorzusehen, die gewährleisten, dass der zum Ausscheiden gezwungene Aktionär wirtschaftlich voll entschädigt wird; die Verfassung verlangt aber ZIP 2009, Seite 1069keine bestimmten Schutzvorkehrungen (BVerfG ZIP 2000, 1670, Rz. 20, 23 – MotoMeter).

Da die Vorschriften des § 31 WpÜG und der §§ 3 ff. WpÜG-AngVO zur Ermittlung des Angebotspreises in Verbindung mit der in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG als Voraussetzung für das Eingreifen der Angemessenheitsvermutung vorgesehenen Annahmequote von 90 % ausreichende Schutzvorkehrungen darstellen, geht die Auffassung der Antragsteller fehl, der nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG maßgebliche Angebotspreis müsse – zumindest bei einer Erschütterung der Angemessenheitsvermutung – im Einzelfall anhand einer Unternehmensbewertung nach fundamentalanalytischen Methoden überprüft werden (ebenso im Ergebnis OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 58; im Ausgangspunkt ebenso, wegen Missbrauchs- und Umgehungsgefahren allerdings im Ergebnis für eine Widerleglichkeit bei substanziierten Rügen der übrigen Aktionäre Kießling, a.a.O., S. 106, 113, 116. Für eine allgemeine Widerleglichkeit der Vermutung dagegen LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 39; Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 42 ff.; Rühland, NZG 2006, 401, 405).

(a) Der dem Angebotspreis zugrunde liegende Börsenpreis ist im Allgemeinen zur Bestimmung des Verkehrswerts geeignet (vgl. oben (1); BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 63 – DAT/Altana). Die an der Börse auftretenden Verkäufer verfolgen grundsätzlich dasselbe Interesse wie die übrigen Aktionäre im Falle ihres Ausschlusses, nämlich für ihre Aktie einen möglichst hohen Preis zu erzielen. Vor dem Hintergrund dieser Interessenhomogenität hat das BVerfG die Orientierung an einem Marktpreis als verfassungsrechtlich ausreichend erachtet, solange dieser nicht durch den – insoweit in einen Interessenkonflikt verstrickten – Hauptaktionär beeinflusst wird (vgl. BVerfG ZIP 2000, 1670, Rz. 21 – MotoMeter; OLG Stuttgart AG 2006, 421, Rz. 61; OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 62 f.).

Eine solche Beeinflussung ist hier allerdings ausgeschlossen, da die Vorschriften in § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO dem Bieter die Höhe des Angebotspreises vorgeben. Dabei verhindert § 5 Abs. 1 und 3 WpÜG-AngVO, wonach auf einen nach Umsätzen gewichteten Durchschnittskurs in einem Referenzzeitraum von drei Monaten abzustellen ist, dass der Angebotspreis von zufälligen Tageskursen oder nicht aussagekräftigen Einzelgeschäften an Tagen mit geringem Handelsvolumen geprägt wird. § 4 WpÜG-AngVO sichert den übrigen Aktionären die Teilhabe an Paketaufschlägen und anderen Sonderpreisen, die der Bieter bzw. bestimmte dritte Personen in der Vergangenheit gezahlt haben.

Auch in der vom BVerfG als Hauptfall der fehlenden Aussagekraft des Börsenkurses angesehenen Situation der Marktenge (vgl. BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 67 – DAT/Altana), also bei fehlender Liquidität der Aktie, ist gewährleistet, dass der Angebotspreis dem Verkehrswert der Aktie entspricht. Anders als beim gesellschaftsrechtlichen Squeeze out, wo der Verkehrswert der Aktie zu einem Zeitpunkt bestimmt werden muss, zu dem der Hauptaktionär bereits über 95 % des Grundkapitals verfügt (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG), bestimmt sich die Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze out gem. § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG durch Anknüpfung an einen Zeitpunkt, zu dem der Streubesitz typischerweise noch deutlich größer ist. Ging dem übernahmerechtlichen Squeeze out ein Pflichtangebot voraus, betrug der Aktienbesitz des Hauptaktionärs unter Umständen nur 30 % des Grundkapitals (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 29 Abs. 2 WpÜG). Im Zeitpunkt der Abgabe des Pflichtangebots der Antragsgegnerin befanden sich hier noch gut 35 % der Aktien der M. AG in Streubesitz. Insoweit bestehen verfassungsrechtlich bedeutsame Unterschiede zwischen § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG und der im Gesetzgebungsverfahren betreffend das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen umstrittenen Regelung des § 327b Abs. 1 Satz 3 AktG-E (vgl. dazu Habersack, ZIP 2001, 1230, 1238 und oben b). Zwar hat der Gesetzgeber für das Eingreifen der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG kein Mindestmaß an Streubesitz zum Zeitpunkt der Abgabe des Angebots vorausgesetzt. Die Verfälschung des Angebotspreises im Fall der Marktenge wird aber durch § 31 WpÜG i.V.m. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO verhindert. Danach wird der Angebotspreis nicht aufgrund von Börsenkursen, sondern anhand eines nach fundamentalanalytischen Methoden erstellten Unternehmenswertgutachtens ermittelt, wenn den Börsenkursen wegen Illiquidität der Aktie die Aussagekraft fehlt (vgl. BT-Drucks. 14/7034, S. 80).

Die Beachtung der Bestimmungen zur Ermittlung des Angebotspreises wird von der BaFin überwacht. Der Gesetzgeber hat durch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt sichergestellt, dass Angebotsunterlagen nur nach Gestattung durch die BaFin oder deren Verzicht auf eine Untersagung des Angebots binnen zehn Werktagen veröffentlicht werden (§ 14 Abs. 2 Satz 1, § 15 WpÜG). Dabei prüft die BaFin die Angebotsunterlage nicht nur in formeller Hinsicht, sondern auch daraufhin, ob sie offensichtliche Verstöße gegen das WpÜG oder die WpÜG-AngVO enthält (vgl. BT-Drucks. 14/7034, S. 45). Dazu zählen insbesondere die Vorschriften zur Ermittlung des Angebotspreises (vgl. Angerer, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 15 Rz. 21), die in der Praxis den Schwerpunkt der Prüfungen ausmachen (vgl. Bosch/Meyer, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 15 Rz. 11; MünchKomm-Wackerbarth, AktG, 2. Aufl., § 15 WpÜG Rz. 21).

(b) In erster Linie hat der Gesetzgeber aber durch die in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG als Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutung geregelte Annahmeschwelle sichergestellt, dass der Angebotspreis nicht unter dem Verkehrswert liegt. Dass der Angebotspreis der angemessenen Abfindung entspricht, wird danach nur vermutet, wenn das Angebot des Bieters für mindestens 90 % des Grundkapitals, auf das es sich bezog, also für nahezu den gesamten Streubesitz angenommen wurde (OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 56 spricht insoweit von einem „Markttest“).

Fehl geht der Einwand, der einzelne Aktionär sei durch diese Regelung einer Mehrheitsentscheidung unterworfen. Vielmehr belegt eine Annahmequote von 90 %, dass das Angebot angemessen ist. Eine solche Annahmequote wird nur ein Angebot erreichen können, das dem Verkehrswert der Aktie entspricht (vgl. OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 56; Süßmann, a.a.O., § 39a Rz. 15; Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 849; Grunewald, NZG 2009, 332, 334). Obwohl von der Über-ZIP 2009, Seite 1070nahmerichtlinie nur für freiwillige Übernahmeangebote gefordert, für die nach der Richtlinie im Gegensatz zum deutschen Recht keine Preisfindungsregeln gelten, hat der deutsche Gesetzgeber das Eingreifen der Vermutung auch bei Pflichtangeboten vom Erreichen der Annahmeschwelle abhängig gemacht, um zusätzliche Gewähr dafür zu bieten, dass der Angebotspreis nicht unter dem Verkehrswert der Aktie liegt (vgl. Austmann/Mennicke, NZG 2004, 846, 849). Die Annahmeschwelle verhindert, dass ein Bieter vorübergehende Einbrüche des Verkehrswerts der Aktie, etwa aufgrund zeitweiliger Kurseintrübungen am Aktienmarkt oder Krisen, ausnutzt, um die übrigen Aktionäre kostengünstig auszuschließen; ist innerhalb überschaubarer Zeiträume damit zu rechnen, dass der Börsenkurs den Angebotspreis übersteigen wird, erscheint es wenig wahrscheinlich, dass die Annahmeschwelle erreicht wird.

Der Sicherungsfunktion der Angebotsschwelle kann nicht entgegengehalten werden, dass die Annahmequote von subjektiven Entscheidungen nicht ausreichend informierter Aktionäre abhängt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass sich fehlerhafte Entscheidungen der Aktionäre, die das Übernahmeangebot angenommen haben, auf die übrigen Aktionäre auswirken. Diese Gefahr ist dem Aktieneigentum aber immanent, da der Aktionär auch bei einer freiwilligen Desinvestitionsentscheidung regelmäßig nur den an der Börse gebildeten Marktpreis erzielen kann, mag dieser auch auf Fehlentscheidungen der Marktteilnehmer beruhen.

Fehl geht dagegen die Auffassung der Antragsteller, die Adressaten des Übernahmeangebots verfügten nicht über ausreichende Informationen, um darüber zu entscheiden, ob das Angebot dem Verkehrswert entspricht. Zutreffend ist zwar, dass dem Adressaten bei der Entscheidung über das Übernahmeangebot anders als bei der Entscheidung über die Zustimmung zu einem Hauptversammlungsbeschluss über einen gesellschaftsrechtlichen Squeeze out (§ 327d Satz 1 i.V.m. § 327c Abs. 2 Satz 1 und 2 sowie Abs. 3 Nr. 3 und 4 AktG) im Zweifel kein nach fundamentalanalytischen Methoden erstelltes Unternehmenswertgutachten vorliegen wird. Ein solches Gutachten ist für den Adressaten des Übernahmeangebots aber nicht erforderlich, um über die Angemessenheit des Angebots zu entscheiden, da der Verkehrswert regelmäßig durch den Börsenwert bestimmt wird und ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Teilhabe an einem den Börsenwert übersteigenden, nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Unternehmenswert nicht besteht (vgl. oben (1)).

Die durch Schadensersatzansprüche und Bußgeldtatbestände bewehrte Verpflichtung, kursrelevante Informationen unverzüglich zu veröffentlichen („Ad-hoc-Publizitätspflicht“, vgl. § 15 WpHG), gewährleistet grundsätzlich, dass der Angebotsadressat wie alle Marktteilnehmer über die Informationen verfügt, die zur Beurteilung des Marktpreises nötig sind. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass Kapitalmärkte vollständig (informations-)effizient sind; der Börsenkurs reflektiert aber grundsätzlich alle öffentlich zugänglichen Informationen über ein Unternehmen (vgl. Steinhauer, AG 1999, 299, 303 f.). Hat der Bieter vor Abgabe seines Angebots im Einzelfall eine Due-Diligence-Prüfung der Zielgesellschaft durchgeführt und dadurch zusätzliche Informationen erlangt, muss er deshalb keinen Wissensvorsprung in Bezug auf deren Unternehmenswert haben, zumal Gegenstand und Tiefe einer Due-Diligence-Prüfung von Einzelfall zu Einzelfall höchst unterschiedlich sein können.

Im Übrigen hat der Gesetzgeber entsprechend dem in § 3 Abs. 2 WpÜG allgemein verankerten Transparenzgebot Regelungen vorgesehen, die den Adressaten des Übernahmeangebots hinreichende Informationen für die von ihnen zu treffende Entscheidung verschaffen. Neben den dem Bieter gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG obliegenden „Wasserstandsmeldungen“ über den Stand der Annahme seines Angebots ist dabei insbesondere die Verpflichtung des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zu nennen, zu dem Übernahmeangebot eine begründete Stellungnahme abzugeben, die sich auch auf die Höhe der angebotenen Gegenleistung zu erstrecken hat (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG, vgl. dazu Schwennicke, in: Geibel/Süßmann, WpÜG, § 27 Rz. 14). Dabei hat sich der Vorstand u.a. dazu zu äußern, ob der Wert der Zielgesellschaft von ihrem Börsenkurs hineichend reflektiert wird (vgl. Hirte, in: Kölner Komm. z. WpÜG, § 27 Rz. 39; Krause/Pötzsch, in: Assmann/Pötzsch/Schneider, WpÜG, § 27 Rz. 65). Der Informationswert dieser Stellungnahme ist nicht gering zu schätzen, da Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft über das künftige Ertragspotenzial der Zielgesellschaft im Zweifel besser informiert sein werden als externe Sachverständige oder ein Gericht (vgl. Krause/Pötzsch, a.a.O., § 27 Rz. 64). Auch eine fundamentalanalytische Ermittlung des Unternehmenswerts im Ertragswertverfahren beruht entscheidend auf den Ertragsprognosen der Gesellschaftsorgane (vgl. oben (1)).

Der Gefahr der Verfälschung der Indizwirkung der Annahmequote durch psychologische Effekte, namentlich durch die Angst der übrigen Aktionäre, bei Ausschlagen des Angebots wegen dessen Annahme durch andere am Ende der Mehrheitsherrschaft des Bieters ausgeliefert zu sein und zu schlechteren Konditionen ausscheiden zu müssen, hat der Gesetzgeber durch das Andienungsrecht des § 39c WpÜG (Sell-Out) vorgesorgt. Dies ermöglicht den übrigen Aktionären, die das Angebot nicht angenommen haben, vom Bieter die Übernahme ihrer Aktien zum Angebotspreis zu verlangen, falls dieser keinen Ausschlussantrag nach § 39a WpÜG stellt (fehl gehen insoweit die Befürchtungen von Kießling, a.a.O., S. 109).

Zwar ist nicht auszuschließen, dass einzelne Adressaten des Übernahmeangebots sachwidrige oder von individuellen Besonderheiten – etwa aktuellem Liquiditätsbedarf – geprägte Entscheidungen treffen. Diese Einzelfälle können sich aber kaum wesentlich auf das Erreichen der Annahmeschwelle auswirken. Der Fall, dass sich der Streubesitz lediglich auf einige wenige übrige Aktionäre verteilt, erscheint eher theoretischer Natur. Im Übrigen dürfte es in diesem Fall ohnehin regelmäßig an der Liquidität der Aktie mangeln, so dass sich der Angebotspreis im Zweifel nicht nach Börsenkursen, sondern gem. § 31 WpÜG i.V.m. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngVO bestimmt.

Demgegenüber können die Antragsteller nicht mit dem pauschalen Einwand durchdringen, dass die angebotenen Abfindungen in der Praxis regelmäßig unter dem nach fundamental-ZIP 2009, Seite 1071analytischen Methoden ermittelten Unternehmenswert lägen (so auch Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 44). Dem Senat sind keine aktuellen rechtstatsächlichen Untersuchungen bekannt, welche die nach § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO ermittelten Angebotspreise in eine Relation zu dem nach dem Ertragswertverfahren oder vergleichbaren fundamentalanalytischen Methoden ermittelten Unternehmenswert stellen. Dass Spruchverfahren gem. § 327f AktG nach einem gesellschaftsrechtlichen Squeeze out zu einer Abfindung führten, welche die vom Hauptaktionär zuvor gem. § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG ohne Preisfindungsvorschriften angebotenen Beträge überstieg (vgl. Kießling, a.a.O., S. 92 und Anhang II), belegt nicht, dass der nach den Vorgaben des § 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO ermittelte Angebotspreis zur Ermittlung des Verkehrswerts der Aktie ungeeignet ist, zumal ein Großteil der Verfahren nicht (nur) durch gerichtliche Entscheidung, sondern durch (Teil-)Vergleich beendet wird (in der Untersuchung von Kießling beispielsweise 52 von 84 Verfahren, vgl. a.a.O., S.  92). Soweit die Antragsteller in Einzelfällen die Beträge übernahmerechtlicher Angebote mit der in anschließenden gesellschaftsrechtlichen Squeeze-out-Verfahren gewährten Abfindung vergleichen, verkennen sie, dass das Angebot des Hauptaktionärs nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG nicht allein am „wahren Wert“ der Aktie orientiert sein muss, sondern durch andere Umstände beeinflusst sein kann, etwa das Interesse an der Vermeidung eines zeit- und kostenaufwändigen Spruchverfahrens. Im Übrigen zeigen rechtstatsächliche Untersuchungen, auf die sich auch die Antragsteller berufen haben, dass zwar freiwillige Abfindungsangebote von Hauptaktionären im Zeitraum vor Inkrafttreten des WpÜG häufig unter dem durchschnittlichen Börsenkurs der Aktie vor Bekanntgabe des Abfindungsangebots lagen (vgl. Dörfler/Gahler/Unterstraßler/Wirichs, BB 1994, 156, 159), der – für die Ermittlung des Angebotspreises nach dem WpÜG grundsätzlich maßgebliche – Börsenwert des Unternehmens aber in der Mehrzahl der untersuchten Fälle höher war als der in einem Gutachten nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelte Unternehmenswert (vgl. Dörfler/Gahler/Unterstraßler/Wirichs, BB 1994, 156, 157 f.). Die Untersuchung empfahl deshalb ausdrücklich, die Abfindung an erfolgreich verlaufenen, zuvor von außenstehenden Aktionären akzeptierten Abfindungsangeboten zu orientieren (vgl. Dörfler/Gahler/Unterstraßler/Wirichs, BB 1994, 156, 161).

(c) Schließlich kann die Regelung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG zwar nicht völlig ausschließen, dass der Bieter die Aktien der übrigen Aktionäre durch Manipulationen des Börsenkurses kostengünstig zu deren Lasten erwirbt. Solche Manipulationen lassen sich aber auch bei der Bemessung der Abfindung nach einem entsprechend fundamentalanalytischen Methoden erstellten Unternehmenswertgutachten nicht ausschließen (vgl. Müller, a.a.O., S. 1015, 1028; ähnlich Gude, a.a.O., S. 299). Der im Ertragswertverfahren ermittelte Unternehmenswert hängt entscheidend von den Ertragsprognosen des Vorstands der Zielgesellschaft ab. Der Unternehmenswert kann im Wege fundamentalanalytischer Methoden zudem naturgemäß nicht durch eine punktgenaue Messung, sondern nur durch eine auf zahlreichen Annahmen und Prognosen beruhende und schon deshalb mit Unsicherheiten behaftete Schätzung ermittelt werden (vgl. dazu oben (1) und OLG Stuttgart ZIP 2007, 1320 (LS) = NZG 2007, 112, Rz. 28; LG Frankfurt/M. BB 2009, 617, Rz. 19). Bei Manipulationen des Bieters verbleibt den übrigen Aktionären allerdings je nach Einzelfall die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gem. § 826 BGB (vgl. BT-Drucks. 16/1342, S. 6). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den Schadensersatzanspruch wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben in der Angebotsunterlage gem. § 12 WpÜG ausdrücklich auf die übrigen Aktionäre erstreckt, die gem. § 39a WpÜG ausgeschlossen wurden. Außerdem sind die übrigen Aktionäre selbstverständlich durch die allgemeinen Vorschriften zur Sicherung der Effizienz des Kapitalmarkts geschützt (vgl. §§ 14, 15, 20a WpHG).

Dass der Angebotspreis hier auf Manipulationen der Antragsgegnerin beruht, ist dem Vortrag der Antragsteller nicht zu entnehmen. Das Bestreiten der Manipulationsfreiheit mit Nichtwissen kann auch in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht genügen, um das Gericht zu entsprechenden Nachforschungen zu veranlassen (vgl. OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 42; zum Forum für die Geltendmachung etwaiger Manipulationen vgl. unten 4).

e) Die von der Bundesrepublik Deutschland mit ausländischen Staaten geschlossenen Investitionsförderungs- und Investitionsschutzverträge (BIT) gebieten ebenfalls nicht die Widerleglichkeit der Vermutung in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG. Da es sich bei den BIT nicht um allgemeine Regeln des Völkerrechts i.S.v. Art. 25 GG handelt, sondern lediglich um völkerrechtliche Verträge, wurden diese durch Zustimmungsgesetze gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht transformiert. Da die Zustimmungsgesetze den Rang einfacher Bundesgesetze einnehmen (vgl. Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 11. Aufl., Art. 59 Rz. 116), kommt den BIT in normenhierarchischer Hinsicht kein dem § 39a WpÜG vorgehender Rang zu.

Im Übrigen ist den BIT nichts zu entnehmen, was der Unwiderleglichkeit der Vermutung in § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG entgegenstünde. Der übernahmerechtliche Squeeze out stellt weder eine Enteignung noch einen enteignungsgleichen Eingriff, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dar. Selbst wenn man die Übertragung der Aktien durch Gerichtsbeschluss gem. § 39a WpÜG als gleichzuachtende Maßnahme i.S.d. Abkommen ansähe, wäre jedenfalls eine angemessene und wertgerechte Entschädigung sichergestellt. Dem Gebot der vollen wirtschaftlichen Entschädigung ist trotz Unwiderleglichkeit der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG jedenfalls in einer den Anforderungen von Art. 14 Abs. 1 GG genügenden Weise Rechnung getragen (vgl. oben d).

4. Dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist durch das gerichtliche Ausschlussverfahren gem. § 39b WpÜG Genüge getan; die Eröffnung eines weiteren gerichtlichen Verfahrens in Gestalt des Spruchverfahrens ist daneben verfassungsrechtlich nicht geboten (ebenso Grunewald, NZG 2009, 332, 334).

a) Zwar ist gem. Art. 19 Abs. 4 GG gegen Akte der öffentlichen Gewalt Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten zu gewäh-ZIP 2009, Seite 1072ren. Dazu bedarf es aber nicht der Eröffnung des Spruchverfahrens. Gerichtlicher Rechtsschutz wird bereits dadurch in ausreichender Weise gewährt, dass die Aktien der übrigen Aktionäre nicht durch eine Verwaltungsbehörde oder durch Beschluss der Hauptversammlung der Zielgesellschaft auf den Bieter übertragen werden, sondern durch Beschluss des Gerichts gem. § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG in einem gem. § 39b WpÜG näher ausgestalteten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Ausschlussverfahren).

b) Aus der Rechtsprechung des BVerfG zur Entwertung oder Entziehung von Aktieneigentum folgt nichts anderes. Dem Gebot der Schaffung wirksamer Rechtsbehelfe gegen einen Missbrauch wirtschaftlicher Macht (vgl. dazu BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, Rz. 47 – DAT/Altana) wird durch das gerichtliche Ausschlussverfahren, das dem Gericht nicht nur die Überprüfung des Ausschlusses, sondern den Ausschluss selbst zuweist, hinreichend Rechnung getragen (so auch Kießling, a.a.O., S. 102).

Aus der Entscheidung des BVerfG zum gesellschaftsrechtlichen Squeeze out (§§ 327a ff. AktG, vgl. BVerfG ZIP 2007, 1261 – Edscha AG, dazu EWiR 2007, 449 (von der Linden/Ogorek)) lassen sich für den übernahmerechtlichen Squeeze out keine weitergehenden Vorgaben ableiten. Zwar hat das BVerfG dort festgestellt, der einfache Gesetzgeber sei gehalten, eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit für die Angemessenheit der Abfindung zu schaffen (BVerfG ZIP 2007, 1261, Rz. 27 – Edscha AG). Diese Vorgabe kann aber auf den übernahmerechtlichen Squeeze out nicht übertragen werden. Während der Hauptaktionär beim gesellschaftsrechtlichen Squeeze out die Abfindung gem. § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG ohne Bindung an Preisfindungsvorschriften selbst festlegt und der Gesetzgeber die Methode zur Ermittlung der angemessenen Abfindung nicht vorgegeben hat, stellen die Regelungen zum übernahmerechtlichen Squeeze out zur Bemessung der angemessenen Abfindung ausdrücklich auf den Preis des vorausgegangenen Übernahmeangebots ab, dessen Ermittlung durch § 31 WpÜG i.V.m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO determiniert ist, sofern die Annahmequote den Schwellenwert des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG übersteigt. Auf diese Weise hat der Gesetzgeber ausreichende Schutzvorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass die übrigen Aktionäre wirtschaftlich voll entschädigt werden (vgl. oben 3 d bb (2)).

c) Soweit den übrigen Aktionären die Geltendmachung von Einwendungen im gerichtlichen Verfahren zu ermöglichen ist, ist das gerichtliche Ausschlussverfahren eröffnet. Die Rechtsprechung der insoweit zuständigen Gerichte lässt keine der gesetzgeberischen Intension zuwiderlaufenden oder mit der Verfassung unvereinbaren Restriktionen erkennen.

Nicht zu entscheiden ist hier, ob und in welchem Umfang den übrigen Aktionären über das Bestreiten der Voraussetzungen für die Übertragung ihrer Aktien und das Erreichen der Angebotsschwelle des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG hinaus die Möglichkeit zu eröffnen ist, in einem gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, dass sich der Bieter ausnahmsweise trotz formalen Erreichens der Angebotsschwelle wegen wesentlicher Fehler des Angebotsverfahrens, wegen Marktmanipulationen oder in anderen Ausnahmefällen auf die Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG nicht berufen darf (vgl. zur Beschränkung der Anwendung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG in Fällen des Rechtsmissbrauchs Grunewald, NZG 2009, 332, 334 und Steinmeyer/Santelmann, BB 2009, 674, 676; gegen eine Berücksichtigung von Fehlern bei der Ermittlung des Angebotspreises oder von Kursmanipulationen im Ausschlussverfahren Santelmann, a.a.O., § 39a Rz. 31 f.). Jedenfalls ist das gerichtliche Ausschlussverfahren für solche Einwendungen nach der Rechtsprechung der insoweit zuständigen Gerichte nicht verschlossen (vgl. dazu OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 59, das in diesem Zusammenhang von einer „Widerlegung“ der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG spricht).

Die Antragsteller haben dazu im Übrigen schon nichts vorgetragen. Das Bestreiten der Manipulationsfreiheit mit Nichtwissen kann auch in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht genügen, um das Gericht zu entsprechenden Nachforschungen zu veranlassen (vgl. OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 42). Die Antragsteller meinen lediglich, der nach dem Ertragswertverfahren ermittelte Unternehmenswert liege über dem Börsenwert der M. AG. Dieser Einwand ist indessen unbeachtlich (vgl. dazu oben 3).

5. Selbst wenn man – entgegen der unter 3 dargelegten Auffassung des Senats – annähme, die Antragsteller könnten einwenden, dass der nach dem Ertragswertverfahren oder anderen fundamentalanalytischen Methoden ermittelte Unternehmenswert über dem Börsenwert der M. AG lag, wäre dafür jedenfalls nicht das Spruchverfahren eröffnet. Der entsprechende Einwand hätte vielmehr im gerichtlichen Ausschlussverfahren vor dem LG Frankfurt/M. geltend gemacht werden müssen (im Ergebnis wohl ebenso OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 59 f.; Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 54; für den Fall des Nichterreichens der Annahmeschwelle bzw. der insoweit als möglich unterstellten Widerlegung der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG in diesem Sinne auch Schüppen/Tretter, a.a.O., § 39a Rz. 29; Paefgen, WM 2007, 765, 770; Diekmann, NJW 2007, 17, 20; Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2134, 2140; Schlitt/Ries/Becker, NZG 2008, 700, 701; a.A. Kießling, a.a.O., S. 147 ff.; de lege ferenda wohl auch Schüppen, BB 2006, 165, 168 f. und Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 319).

a) Dies folgt schon aus der Konzeption des übernahmerechtlichen Squeeze out. Während beim gesellschaftsrechtlichen Squeeze out gem. § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG die Höhe der Abfindung Bestandteil des Übertragungsbeschlusses der Hauptversammlung ist, muss die Höhe der Abfindung beim übernahmerechtlichen Squeeze out im Übertragungsbeschluss des Gerichts gem. § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG festgesetzt werden (vgl. Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 54). Offenbleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die Festsetzung und Gewährung der Abfindung Voraussetzung für die Wirksamkeit der Übertragung ist (in diesem Sinne Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 27), oder ob die Aktien ohne Weiteres bereits mit Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses übertragen werden (so BT-Drucks. 16/1003, S. 22 f.; Santelmann, a.a.O., § 39b Rz. 37). Jedenfalls käme man ohne Festsetzung der Abfindung im Übertragungsbeschluss zu dem Ergebnis, dass der Beschluss entweder wirkungslos ist oder dass ZIP 2009, Seite 1073die übrigen Aktionäre ihre Aktien ohne Abfindung verlieren. Beide Ergebnisse vermögen nicht zu überzeugen.

b) Hat das Gericht die Abfindung deshalb im gerichtlichen Ausschlussverfahren festzusetzen, muss die Höhe der Abfindung im dortigen Verfahren geklärt werden.

Dies zeigt sich an der zwar eher theoretischen, nach der gesetzlichen Regelung aber als Grundfall anzusehenden Konstellation, dass die Annahmeschwelle des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG unstreitig nicht erreicht wurde, so dass die Vermutung, dass der Angebotspreis der angemessenen Abfindung entspricht, nicht eingreifen kann. In dieser vom Gesetzgeber als praktischer Ausnahmefall nicht vertieften Konstellation kann die angemessene Abfindung nur im gerichtlichen Ausschlussverfahren ermittelt werden (vgl. Süßmann, a.a.O., § 39a Rz. 18; Santelmann, a.a.O., § 39b Rz. 14 (allerdings beschränkt auf die Überprüfung der Angemessenheit des – ggf. nachgebesserten – Antrags des Bieters); Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 55; König/Wilken/Felke, Praxis des Übernahmerechts, Rz. 661 f.; Diekmann, NJW 2007, 17, 20; Ott, WM 2008, 384, 390; Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2134, 2140; im Ergebnis ebenso Steinmeyer/Santelmann, BB 2009, 674, 676). Fehl geht demgegenüber die Auffassung, im gerichtlichen Ausschlussverfahren mangele es an einer Kompetenz des Gerichts zur Festsetzung der angemessenen Abfindung (so LG Frankfurt/M. ZIP 2008, 1769 = BB 2008, 2035, Rz. 62). Einer besonderen Ermächtigungsgrundlage zur Festsetzung der angemessenen Abfindung bedarf es nicht, wenn der Übertragungsbeschluss notwendig diese Festsetzung enthalten muss (vgl. dazu oben a; ebenso Hörmann/Feldhaus, BB 2008, 2134, 2140; im Ergebnis auch Schlitt/Ries/Becker, NZG 2008, 700, 701; Falkner, ZIP 2008, 1775, 1777).

Ist die angemessene Abfindung grundsätzlich im gerichtlichen Ausschlussverfahren zu klären, sind dort auch die Einwendungen zu behandeln, die gegen den Vermutungstatbestand des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG geltend gemacht werden. Dies gilt zunächst, wenn die übrigen Aktionäre die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG bestreiten, etwa indem sie geltend machen, der Schwellenwert von 90 % sei nicht erreicht worden. In gleicher Weise zu behandeln ist der Fall, dass die übrigen Aktionäre geltend machen, der Bieter dürfe sich auf die Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ausnahmsweise wegen wesentlicher Fehler des Angebotsverfahrens oder wegen Marktmanipulationen nicht berufen (vgl. oben 4 c; dazu OLG Frankfurt/M. ZIP 2009, 74, Rz. 59).

Nichts anderes kann gelten, wenn man mit den Antragstellern – entgegen der vom Senat vertretenen Auffassung (vgl. dazu oben 3) – annähme, der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG könne entgegengehalten werden, dass der nach fundamentalanalytischen Methoden ermittelte Wert des Unternehmens seinen Börsenwert übersteige (in diesem Sinne Heidel/Lochner, a.a.O., § 39a WpÜG Rz. 65; König/Wilken/Felke, a.a.O., Rz. 659).

Dass das OLG Frankfurt/M. die Auffassung der Antragsteller – aus Sicht des Senats zu Recht – nicht teilt, hat nicht zur Folge, dass das hiesige Verfahrens bis zur Entscheidung des BVerfG über die von der Antragstellerin zu 1) gegen die Entscheidung des OLG Frankfurt/M. erhobene Verfassungsbeschwerde entsprechend § 148 ZPO ausgesetzt werden müsste. Zwar ist eine Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 148 ZPO grundsätzlich zulässig, wenn ein verfassungsgerichtliches Verfahren zur Überprüfung einer entscheidungserheblichen Norm anhängig ist (BGH NJW 1998, 1957, Rz. 12 ff., dazu EWiR 1998, 671 (Greger)). Selbst wenn das BVerfG auf die Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin zu 1) hin die Entscheidung des OLG Frankfurt/M. aufheben und feststellen würde, dass § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG im Sinne der Antragsteller als widerlegliche Vermutung auszulegen ist, hätte dies auf das hiesige Verfahren aber keinen Einfluss, weil die Überprüfung der Angemessenheit des Börsenwerts anhand fundamentalanalytischer Methoden zur Unternehmensbewertung dann im gerichtlichen Ausschlussverfahren nach § 39b WpÜG, nicht aber im Spruchverfahren erfolgen müsste.

c) Zwar dürfte die Ermittlung des Unternehmenswerts der Zielgesellschaft mit fundamentalanalytischen Methoden das gerichtliche Ausschlussverfahren erheblich verlängern; dieser Umstand allein kann aber nicht zur Eröffnung des Spruchverfahrens führen. Da das Gericht beim übernahmerechtlichen Squeeze out im Gegensatz zum gesellschaftsrechtlichen Squeeze out (vgl. § 327c Abs. 2 AktG) nicht auf einem vorgerichtlich bereits erstellten und durch einen gerichtlich bestellten Prüfer geprüften Unternehmenswertgutachten aufbauen kann, könnte die Ermittlung der angemessenen Abfindung im gerichtlichen Ausschlussverfahren unter Umständen länger dauern als die Bestimmung der angemessenen Abfindung im Spruchverfahren nach einem gesellschaftsrechtlichen Squeeze out. Damit wird zwar das gesetzgeberische Ziel eines „zügigen und kostengünstigen“ Verfahrens (vgl. BT-Drucks. 16/1003, S. 14) nicht erreicht. Von der Erreichbarkeit dieses Ziels ging der Gesetzgeber aber ohnehin nur für den Fall aus, dass die Annahmeschwelle des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG erreicht wird und die dort geregelte Vermutung eingreift; die Ermittlung und Festsetzung der angemessenen Abfindung in den übrigen Fällen wird jedenfalls in der Gesetzesbegründung nicht angesprochen. Verfassungsrechtlich geschützte Interessen der übrigen Aktionäre wären durch ein lang andauerndes Ausschlussverfahren allerdings grundsätzlich nicht beeinträchtigt, da sie bis zum Abschluss des Ausschlussverfahrens ihre Aktien behalten.

Wollte der Gesetzgeber das Ausschlussverfahren demgegenüber beschleunigen, müsste er die (endgültige) Ermittlung und Festsetzung der angemessenen Abfindung – etwa in den Fällen, in denen die Annahmeschwelle des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG nicht erreicht wird – durch ausdrückliche gesetzliche Regelung in ein Spruchverfahren auslagern und stattdessen im Ausschlussverfahren eine nur vorläufige Festsetzung der Abfindung vorsehen. Bis zu einer solchen Korrektur des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber ist das Spruchverfahren jedoch nicht eröffnet.

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