BGH, Beschluss vom 11. Juli 2022 - NotZ(Brfg) 8/21

06.10.2022

BUNDESGERICHTSHOF

vom

11. Juli 2022

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BNotO § 111b Abs. 1, VwGO § 43 Abs. 1


Aufgabe der Dienstaufsicht ist - von etwaigen besonderen Ausnahmefällen abgesehen - nicht die Wahrung der Interessen Einzelner, sondern sie dient der Gewährleistung einer ordnungsgemäß funktionierenden Rechtspflege. Einer Klage gemäß § 111b Abs. 1 BNotO, § 43 Abs. 1 VwGO fehlt daher regelmäßig das Rechtsschutzinteresse (Fortführung von Senat, Beschlüsse vom 30. November 1964 - NotZ 5/64, BGHZ 42, 390, 393 und vom 22. Juni 1964 - NotZ 2/64, DNotZ 1964, 571, 572).


BGH, Beschluss vom 11. Juli 2022 - NotZ(Brfg) 8/21 - OLG München


wegen verschiedener Feststellungsanträge

Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juli 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Reiter, die Richterin Dr. Böttcher, den Notar Dr. Frank sowie die Notarin Kuske

beschlossen:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts München vom 14. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

[1] I. Der Kläger ist Mitglied einer Erbengemeinschaft nach der im Jahr 2014 verstorbenen B. S. . Der - zum Testamentsvollstrecker bestellte - Miterbe A. S. , vormals Betreuer der Erblasserin, beauftragte den Notar T. A. mit der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses gemäß § 2215 Abs. 4 BGB. In diesem Zusammenhang kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger und dem Notar, der mit Bescheid vom 31. August 2017 eine Beurkundung gemäß § 16 Abs. 2 BNotO mit der Begründung ablehnte, aufgrund der "persönlichen und haltlosen Angriffe" des Klägers halte er sich für befangen; zudem habe der Kläger seine Tätigkeit nicht als die eines neutralen Amtsträgers akzeptiert.

[2] Der Kläger hat dagegen am 11. September 2018 Beschwerde gegen den Notar mit dem Ziel eingelegt, die Unrichtigkeit der ihn betreffenden Äußerungen feststellen zu lassen. Dies ist zunächst als Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 15 Abs. 2 BNotO angesehen, dann aber als Dienstaufsichtsbeschwerde dem zuständigen Präsidenten des Landgerichts München II vorgelegt worden, der die Eingabe des Klägers mit Bescheid vom 4. Dezember 2018 zurückgewiesen hat. Eine dagegen gerichtete Gegenvorstellung des Klägers ist gemäß weiterem Bescheid vom 14. Dezember 2018 erfolglos geblieben.

[3] Der Kläger hat daraufhin Feststellungsklage gegen den Präsidenten des Landgerichts erhoben, mit der er die Behandlung seiner Eingabe in dem Beschwerdeverfahren beanstandet und seine ursprünglichen Feststellungsanträge, ergänzt um weitere Anträge, weiterverfolgt. Davon verspricht er sich unter anderem Vorteile in einem den Testamentsvollstrecker betreffenden Verfahren vor dem Amtsgericht Rosenheim sowie im Hinblick auf eine von ihm beabsichtigte Inanspruchnahme des Notars A. auf Richtigstellung der Äußerungen und Schadensersatz. Gegen das seine Anträge abweisende Urteil des Oberlandesgerichts wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.

[4] II. Der Antrag ist unbegründet. Ein Zulassungsgrund ist nicht gegeben.

[5] 1. Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO).

[6] Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat, was zudem die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen muss (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 16. November 2020 ­ NotZ(Brfg) 6/20, NJW-RR 2021, 564 Rn. 5; vom 23. April 2018 ­ NotZ(Brfg) 6/17, NJW 2018, 2567 Rn. 11 und vom 20. Juli 2015 ­ NotZ(Brfg) 12/14, DNotZ 2015, 872 Rn. 19; jew. mwN). Das ist hier nicht der Fall. Das Oberlandesgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die vom Kläger dagegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch; teilweise fehlt es auch schon an der erforderlichen substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung.

[7] Der Beklagte hat die ursprüngliche Eingabe des Klägers vom 11. September 2018 im Ergebnis - ebenso wie dieser selbst (vgl. u.a. Schriftsatz vom 3. Februar 2021, S. 6 = GA 44; Klageantrag zu 4) - als gegen den Notar A. gerichtete Dienstaufsichtsbeschwerde aufgefasst. Für die begehrten Feststellungen hinsichtlich der Behandlung seiner Beschwerde durch den Beklagten mangelt es bereits an dem gemäß § 43 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO erforderlichen berechtigten Interesse des Klägers. Wird die Aufsichtsbehörde nicht oder anders tätig, als der Beschwerdeführer (der Dienstaufsichtsbeschwerde) es für richtig hält, wird dieser dadurch grundsätzlich nicht in eigenen Rechten verletzt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. November 1964 - NotZ 5/64, BGHZ 42, 390, 393 und vom 22. Juni 1964 - NotZ 2/64, DNotZ 1964, 571, 572; Herrmann in BeckOK BNotO [Stand: 31. Juli 2021], § 93 Rn. 4), da die Dienstaufsicht im Ausgangspunkt nicht der Wahrung der Interessen Einzelner, sondern allein der objektiven Gewährleistung einer ordnungsgemäß funktionierenden Rechtspflege dient (Herrmann aaO Rn. 48). Dementsprechend fehlt es regelmäßig auch an dem Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 BNotO, wenn der Eingabeverfasser meint, seine Beschwerde sei nicht sachgemäß beantwortet worden. Im Streitfall ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse an einer bestimmten Sachbehandlung seiner Dienstaufsichtsbeschwerde hat.

[8] Er hat vorgebracht, er benötige die mit seiner Beschwerde verlangten Feststellungen, um gegen den Notar einen Anspruch auf Richtigstellung der seiner - des Klägers - Auffassung nach falschen Angaben in dem notariellen Bescheid vom 31. August 2017 zu erheben und um Schadensersatzansprüche gegen den Notar geltend zu machen. In etwaigen Verfahren gegen den Notar hätten die vom Kläger erstrebten aufsichtsbehördlichen Feststellungsaussprüche jedoch keine präjudizielle Wirkung. Ungeachtet dessen ist nicht ersichtlich, welche Schadensersatzansprüche gegen den Notar wegen der angeblichen Falschbehauptungen begründet sein könnten. Allenfalls käme eine Forderung wegen auf diesen Behauptungen fußender unberechtigter Verweigerung der Amtstätigkeit in Betracht. Hierfür steht jedoch das Verfahren gemäß § 15 Abs. 2 BNotO zur Verfügung, welches der Kläger aber, wie er unter anderem mit seinem Klageantrag zu 4 zu erkennen gibt, ausdrücklich nicht wünscht. Die gleichen Erwägungen gelten, soweit der Kläger meint, der Testamentsvollstrecker werde durch die verlangte Sachbehandlung der Dienstaufsichtsbeschwerde in die Lage versetzt, im Namen der Erbengemeinschaft Ansprüche gegen den Notar wegen unzulässiger Ablehnung der Beurkundung zu erheben. Schließlich meint der Kläger, er benötige die begehrten Feststellungen, um sich in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Rosenheim zur Entlassung des Testamentsvollstreckers gegen den Vorwurf zu verteidigen, er habe als Miterbe die Nachlassaufnahme des Notars zum Scheitern gebracht. Der Kläger hat es bereits versäumt, mit der notwendigen Substantiierung die Hintergründe der Auseinandersetzung vor dem Amtsgericht mitzuteilen, so dass die Relevanz der mit der Klage verfolgten Feststellungsaussprüche für das amtsgerichtliche Verfahren nicht nachzuvollziehen ist. Überdies wären die begehrten Feststellungen in diesem Verfahren ebenfalls ohne rechtliche Präjudizwirkung.

[9] Über den vorinstanzlichen Antrag zu 6 - im Schriftsatz vom 3. Februar 2021 irrtümlich als Antrag zu 3 bezeichnet - hatte das Oberlandesgericht nicht zu entscheiden, weil der Kläger insoweit bereits mit Schriftsatz vom 18. Mai 2021 die (teilweise) Rücknahme der Klage erklärt hatte.

[10] 2. Eine Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, § 111d Satz 2 BNotO ist weder den Anforderungen entsprechend dargelegt noch liegt sie vor.

[11] a) Der Zulassungsgrund der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO setzt voraus, dass das erstinstanzliche Urteil von der ober- oder höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt dabei vor, wenn das in Notarsachen erstinstanzlich zuständige Oberlandesgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der ober- oder höchstrichterlichen Judikatur aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 2/19, NJOZ 2020, 1435 Rn. 8 und vom 20. Juli 2015 - NotZ(Brfg) 12/14, BGHZ 206, 248 Rn. 16 mwN; vgl. auch Müller in Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl., § 111d Rn. 8 mwN).

[12] Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz müssen dabei sowohl der der ober- oder höchstrichterlichen Entscheidung zugrunde liegende als auch der vom Oberlandesgericht in der angefochtenen Entscheidung aufgestellte abstrakte Rechtssatz aufgezeigt werden, der hierzu im Widerspruch steht und die oberlandesgerichtliche Entscheidung trägt (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 2000, 260 mwN; Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. [Stand: 1. Januar 2022], § 124a Rn. 78 mwN; vgl. auch Müller aaO Rn. 3 mwN).

[13] b) Schon an letztgenannter Voraussetzung fehlt es. Die Antragsschrift zeigt bereits keine tragenden Rechtssätze der angefochtenen Entscheidung einerseits und der ober- oder höchstrichterlichen Rechtsprechung andererseits auf, die in Divergenz zueinander stünden.

[14] Abgesehen davon, dass es an einem abweichenden Obersatz fehlt, hat das Oberlandesgericht seiner Entscheidung den von dem Kläger unter anderem in Bezug genommenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. April 1953 (BVerfGE 2, 225 ff) sogar ausdrücklich bei seiner Entscheidung herangezogen (S. 7 des Urteils) und ist insbesondere - in Übereinstimmung mit diesem Beschluss (aaO S. 230) und der Rechtsprechung des Senats - davon ausgegangen, dass die Eingabe des Klägers durch den Landgerichtspräsidenten sachlich geprüft und beschieden werden musste.

[15] Tatsächlich beanstandet der Kläger lediglich das Ergebnis der von der Vorinstanz vorgenommenen Prüfung des Einzelfalls, das er nicht teilt. Dies füllt den Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO jedoch nicht aus.

[16] 3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO), der dann eingreift, wenn es im konkreten Fall auf eine Tatsachen- oder Rechtsfrage ankommt, die über den von der ersten Instanz entschiedenen Fall hinausgeht und an deren Klärung mit Blick auf die Einheit oder Fortbildung des Rechts auch für vergleichbare Fälle ein Interesse besteht (vgl. zB Senat, Beschluss vom 22. März 2021 - NotSt(Brfg) 4/20, NJW-RR 2021, 782 Rn. 4 mwN), liegt ersichtlich nicht vor.

[17] 4. Schließlich ist die Zulassung der Berufung auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO wegen eines Verfahrensmangels, namentlich eines Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) zum Nachteil des Klägers geboten. Der Kläger zeigt einen solchen Verstoß des erstinstanzlichen Urteils nicht auf (vgl. dazu BVerfG NJW 2004, 151, 152). Insbesondere hat das Oberlandesgericht entgegen den Ausführungen des Klägers nicht die These aufgestellt, der die Dienstaufsicht ausübenden Stelle sei es "freigestellt, eine Petition ohne Kenntnis- und Bezugnahme deren tatsächlichen Beschwerdegrundes und den darauf bezogenen Feststellungsanträgen auf der Grundlage eines ... willkürlich herangezogenen Beschwerdegrundes im Namen des Klägers zu verbescheiden."

[18] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Wertfestsetzung ergibt sich aus § 111g Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 52 Abs. 2 GKG.

Herrmann Reiter Böttcher

Frank Kuske

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