BGH, Beschluss vom 16. Juni 2021 - XII ZB 358/20

05.08.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

16. Juni 2021

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG §§ 16, 41 Abs. 1 Satz 2, 63 Abs. 1; ZPO § 189


Die Beschwerdefrist gegen eine nicht dem erklärten Willen des Betroffenen entsprechende Unterbringungsgenehmigung wird nicht in Gang gesetzt, wenn der Beschluss dem Betroffenen lediglich durch Aufgabe zur Post bekanntgegeben wird. Eine Heilung der fehlerhaften Zustellung durch tatsächlichen Zugang ist in diesem Fall wegen fehlenden Zustellungswillens des Gerichts nicht möglich (Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 2020 ­ XII ZB 291/19 ­ FamRZ 2020, 770 und vom 24. Oktober 2018 ­ XII ZB 188/18 ­ FamRZ 2019, 477).


BGH, Beschluss vom 16. Juni 2021 - XII ZB 358/20 - LG Hannover, AG Hannover


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 6. April 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

[1] I. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 23. Januar 2020 die geschlossene Unterbringung der Betroffenen längstens bis zum 23. Januar 2021 und zwei ärztliche Zwangsmaßnahmen genehmigt.

[2] Der Beschluss ist der Betroffenen, die mit der Unterbringung nicht einverstanden ist, am 30. Januar 2020 durch Aufgabe zur Post übersandt worden. Die von der Betroffenen eingelegte Beschwerde ist am 3. März 2020 beim Amtsgericht eingegangen. Das Landgericht hat das von ihm unzutreffend als "sofortige Beschwerde" bezeichnete Rechtsmittel wegen Ablaufs der Beschwerdefrist verworfen.

[3] Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

[4] II. Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass die Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 1 FamFG entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht abgelaufen war.

[5] 1. Nach § 63 Abs. 1 FamFG ist die Beschwerde innerhalb einer Frist von einem Monat einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten (§ 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Die Bekanntgabe kann durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO oder dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Adressaten zur Post gegeben wird (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG). Welche der beiden Möglichkeiten der Bekanntgabe das Gericht wählt, liegt grundsätzlich in dessen pflichtgemäßem Ermessen. Eine Wahlmöglichkeit besteht allerdings nicht, wenn spezielle gesetzliche Regelungen eine bestimmte Form vorschreiben. So ist nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG ein anfechtbarer Beschluss demjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht.

[6] Die Entscheidung in einer Betreuungs- oder Unterbringungssache ist dem Betroffenen dabei persönlich und unter Ausschluss der Ersatzzustellung an den Betreuer zuzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juni 2019 ­ XII ZB 35/19 ­ FamRZ 2019, 1636 Rn. 13 ff.).

[7] Das Unterbleiben einer gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen förmlichen Zustellung führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe, weshalb die einmonatige Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) nicht nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG in Lauf gesetzt wird (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2018 ­ XII ZB 188/18 ­ FamRZ 2019, 477 Rn. 11 mwN).

[8] Eine Heilung der fehlerhaften Zustellung entsprechend § 189 ZPO kommt nur bei vorliegendem Zustellungswillen in Betracht. Die formgerechte Zustellung muss hierfür vom Gericht wenigstens angestrebt worden sein (vgl. BGHZ 214, 294 = NJW 2017, 2472 Rn. 35). Am erforderlichen Zustellungswillen fehlt es indessen, wenn das Gericht von vornherein bewusst von einer förmlichen Zustellung der Entscheidung absieht und eine schriftliche Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post anordnet (Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 ­ XII ZB 291/19 ­ FamRZ 2020, 770 Rn. 19).

[9] Die Beschwerdefrist ist danach im vorliegenden Fall nicht in Gang gesetzt worden, weil das Amtsgericht lediglich die Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post angeordnet hat. Eine Heilung scheidet wegen des fehlenden Zustellungswillens aus. Auf die vom Landgericht an die Betroffene gerichtete Frage, wann ihr der Beschluss zugegangen sei, kam es ebensowenig an wie auf die von ihm angenommene Fiktion des Zugangs. Die von der Betroffenen persönlich eingelegte Beschwerde war somit rechtzeitig.

[10] 2. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben. Da das Landgericht noch nicht in der Sache entschieden hat, ist das Verfahren an dieses zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

[11] Dass inzwischen sowohl die Unterbringungsgenehmigung als auch die Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahmen durch Zeitablauf erledigt sind, steht dem nicht entgegen. Der Betroffenen wird in der Beschwerdeinstanz vielmehr Gelegenheit zu geben sein, ihren Antrag auf einen Feststellungsantrag nach § 62 FamFG umzustellen, den sie in der Rechtsbeschwerdebegründung bereits angekündigt hat.

Dose Klinkhammer Günter

Botur Krüger

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