BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - VI ZR 1110/20

07.06.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

23. März 2021

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 544 Abs. 9


Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes in einem Schadensersatzprozess.


BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - VI ZR 1110/20 - OLG Celle, LG Hildesheim


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. März 2021 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller sowie die Richter Dr. Klein und Böhm

beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 14. Juli 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 140.000 €

Gründe:

[1] I. Der Kläger macht gegen die Beklagte als Erbin ihres im Lauf des erstinstanzlichen Verfahrens verstorbenen Ehemanns Schadensersatzansprüche nach einem Wasserschaden geltend.

[2] Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, die mit zwei direkt aneinander anschließenden Gebäuden mit durchgehendem Steildach bebaut sind. Die Regenrinne des Steildachs geht ebenfalls über die Grundstücksgrenze hinweg. Unterhalb des Steildachs mit Regenrinne befindet sich ein Gebäude mit Flachdach, das dem Kläger gehört. Die Entwässerung des Steildachs der Beklagten erfolgte über die Regenrinne, die ein Gefälle in Richtung Steildach des Klägers aufwies und das Wasser über den hinteren Teil des Flachdachs in ein Fallrohr am Gebäude des Klägers einleitete. Im Sommer 2014 kam es zu einem Wasserschaden im vorderen Teil des Flachdachs. Das Wasser trat durch das Flachdach in die darunter liegenden Räumlichkeiten und richtete dort einen Schaden an.

[3] Der Kläger hat behauptet, die das Steildach der Beklagten entwässernde Regenrinne habe sich nach links hin abgesenkt, so dass das Gefälle nicht mehr in Richtung des Steildachs des Klägers, sondern in die entgegengesetzte Richtung bestanden habe und das Niederschlagswasser übergelaufen und auf das Flachdach des Klägers getroffen sei. Der Rechtsvorgänger der Beklagten habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Zudem habe er gegen § 45 Niedersächsisches Nachbarrechtsgesetz (NNachbG) verstoßen, wonach ein Grundstückseigentümer zu gewährleisten habe, dass Traufwasser nicht auf das Nachbargrundstück gelange.

[4] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

[5] II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

[6] 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, eine etwaige Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sei nicht kausal gewesen, weil der Kläger nicht bewiesen habe, dass der Wasserschaden durch die herabgesenkte Dachrinne im linken Bereich des Steildachs der Beklagten verursacht worden sei. Der Kläger habe auch keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 45 NNachbG. Denn das Grundstück des Klägers sei zugunsten des Grundstücks der Beklagten mit einer Grunddienstbarkeit zur Aufnahme des Regenwassers belastet. Wegen dieser Grunddienstbarkeit habe der Kläger schließlich auch keinen Anspruch aus § 906 Abs. 2 BGB analog.

[7] 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht mit der Annahme einer Grunddienstbarkeit zugunsten des Grundstücks der Beklagten wesentlichen Vortrag des Klägers übergangen hat.

[8] a) Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen einer Partei ausdrücklich auseinanderzusetzen. Vielmehr ist auch ohne ausdrückliche Erwähnung von Parteivorbringen grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann aber dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 8. November 2016 - VI ZR 512/15, VersR 2017, 316 Rn. 6 mwN).

[9] b) So liegt es hier. Die Feststellung, dass die von der Beklagten behauptete Grunddienstbarkeit bestehe, hat das Berufungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe dem Grundbuch entnommen. Aus dem vom Kläger mit Anlage K 1 vorgelegten Auszug aus dem Grundbuch ergibt sich aber, dass mit der Grunddienstbarkeit zur Aufnahme des Regenwassers das unter Nummer 7 (ehemals Nr. 4) des Bestandsverzeichnisses eingetragene Grundstück, also das Flurstück 157/14 (Holzer Straße 26), für den jeweiligen Eigentümer der Flurstücke 158/14 und 159/14 (eingetragen unter Nr. 1 und 2 des Bestandsverzeichnisses, Holzer Straße 25) belastet ist. Dem Vortrag in der Klageschrift zufolge ist Eigentümer der Grundstücke mit den Flurnummern 157/14, 158/14 und 159/14 der Kläger, der in der Holzer Straße 25/26 wohnt, während die Beklagte Eigentümerin des Grundstücks mit der Flurnummer 179/14 ist. Diesen Vortrag zu den Eigentumsverhältnissen hat das Oberlandesgericht bei seinen Ausführungen zur Grunddienstbarkeit übergangen. Bei Berücksichtigung des Vortrags hätte es näher begründen müssen, warum es trotz des Inhalts des mit Anlage K 1 vorgelegten Grundbuchauszugs und der vorgetragenen Eigentumsverhältnisse von einer Grunddienstbarkeit zugunsten des Grundstücks der Beklagten ausgeht.

[10] c) Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich, weil das Berufungsgericht Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 45 NNachbG und aus § 906 Abs. 2 BGB analog allein mit dem Verweis auf die angeblich zugunsten der Beklagten bestehende Grunddienstbarkeit ausgeschlossen hat.

[11] 3. Die neue Verhandlung gibt dem Berufungsgericht im Übrigen Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit dem weiteren Vorbringen des Klägers im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen. Dies betrifft insbesondere seinen Vortrag, die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Ergebnissen des vom Kläger vorgelegten Privatgutachtens gingen an dessen Kern vorbei.

Seiters Oehler Müller

Klein Böhm

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