BGH, Beschluss vom 30. März 2023 - III ZR 99/22

09.05.2023

BUNDESGERICHTSHOF

vom

30. März 2023

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


EGZPO § 7 Abs. 2 Satz 1 und 2; EGGVG § 8; BayAGGVG Art. 11 Abs. 1


Zur Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts für Nichtzulassungsbeschwerden in Fällen, in denen im Wesentlichen Rechtsnormen zur Anwendung kommen, die im Landesrecht Bayerns enthalten sind (hier: Fischereirecht; Bestätigung und Fortführung von Senat, Beschlüsse vom 18. Februar 2021 - III ZR 79/20, NJW-RR 2021, 507 und vom 29. Juli 2021 - III ZR 163/20, NJW-RR 2021, 1363).


BGH, Beschluss vom 30. März 2023 - III ZR 99/22 - OLG München, LG Kempten (Allgäu)


Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. März 2023 durch den Richter Reiter, die Richterinnen Dr. Arend und Dr. Böttcher sowie die Richter Dr. Herr und Liepin

beschlossen:

Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung über die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberlandesgerichts München - 14. Zivilsenat - vom 14. April 2022 - 14 U 5604/20 - unzuständig.

Die Sache wird an das Bayerische Oberste Landesgericht zur weiteren Behandlung und Entscheidung abgegeben.

Gründe:

[1] I. Die Kläger sind Bodensee-Berufsfischer. Sie streiten mit dem beklagten Freistaat Bayern um die Reichweite der ihnen jeweils erteilten Erlaubnis zur Ausübung des Fischfangs im Bodensee.

[2] Der Kläger zu 1 ist Inhaber eines durch das Landratsamt Lindau (Bodensee) ausgestellten sogenannten Hochseepatents (Erlaubnisscheins), das ihn zum Fischfang im Bodensee auf der Hohen See und der Halde nach Maßgabe der bestehenden Gesetze und Verordnungen berechtigt. Er macht für die Jahre 2018 bis 2024 geltend, dass das Hochseepatent den Fischfang im Bodensee - wie bisher - mit fünf Schwebnetzen gestatte.

[3] Der Kläger zu 2 ist der Vater des Klägers zu 1 und Inhaber eines durch das Landratsamt Lindau (Bodensee) ausgestellten sogenannten Alterspatents. Er macht geltend, dass ihm auch über das Jahr 2017 hinaus zu gestatten sei, sich bei der Ausübung der Bodenseefischerei nach Maßgabe der bis 2017 geltenden Stellvertreterregelung durch den Kläger zu 1 vertreten zu lassen.

[4] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsrechtszug haben die Kläger zuletzt beantragt festzustellen, dass die in den Jahren 2018 und 2019 erfolgte Versagung des fünften Schwebnetzes im Hochseepatent des Klägers zu 1 rechtswidrig gewesen sei (Antrag zu 2) und der Beklagte in den Jahren 2018 bis 2021 verpflichtet gewesen sei, dem Kläger zu 2 im Rahmen des erteilten Alterspatents zu gestatten, sich bei der Ausübung der Bodenseefischerei durch den Kläger zu 1 nach Maßgabe der bis zum Jahr 2017 geltenden Stellvertreterregelung vertreten zu lassen (Antrag zu 5), sowie den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger zu 1 für die Jahre 2022 bis 2024 ein Hochseepatent mit der Erlaubnis zur Verwendung von fünf Schwebnetzen zu erteilen (Antrag zu 4) und dem Kläger zu 2 im Rahmen des erteilten Alterspatents auch künftig zu gestatten, sich bei der Ausübung der Bodenseefischerei durch den Kläger zu 1 nach Maßgabe der bis zum Jahr 2017 geltenden Stellvertreterregelung vertreten zu lassen (Antrag zu 6). Für die Jahre 2020 und 2021 wurde der Rechtsstreit hinsichtlich des Antrags auf Erteilung eines Hochseepatents mit der Erlaubnis zur Verwendung von fünf Schwebnetzen für erledigt erklärt (Antrag zu 3).

[5] Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

[6] Die Klageanträge zu 2 und zu 5 hat es als nach § 533 Nr. 1 ZPO unzulässige Klageänderungen angesehen. Die Klageanträge zu 4 und zu 6 hat das Berufungsgericht für zulässig, aber nicht für begründet gehalten. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Erteilung eines Hochsee- beziehungsweise Alterspatents und erst recht keinen solchen auf eine bestimmte Ausgestaltung. Der Rahmen, innerhalb dessen der Beklagte Erlaubnisscheine erteilen dürfe, habe sich bis zum 31. Juli 2021 aus § 29 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Fischereigesetzes (BayFiG aF) ergeben und ergebe sich seither aus Art. 26 Abs. 1 Satz 1 BayFiG. Ein Anspruch, wie ihn die Kläger jeweils geltend machten, setzte einen Kontrahierungszwang voraus, der sich aus diesen Vorschriften jedoch nicht herleiten lasse. Ein Kontrahierungszwang ergebe sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ebenfalls nicht; ein Eingriff in dieses Grundrecht der Kläger liege nicht vor. Die geltend gemachten Ansprüche folgten auch nicht aus dem Rechtsinstitut der Erwirkung (§ 242 BGB). Es fehle jedenfalls an einem schutzwürdigen Vertrauen, ihnen jährlich die gewünschten Erlaubnisscheine zu erteilen; ein schutzwürdiges Interesse sei vor allem dadurch ausgeschlossen, dass Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayFiG (aF) bis zum 31. Juli 2021 eine maximale Geltungsdauer der Erlaubnisscheine von drei Jahren vorgesehen habe und diese im konkreten Fall tatsächlich jährlich neu erteilt worden seien.

[7] II. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung über die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts unzuständig. Die Sache ist an das zuständige Bayerische Oberste Landesgericht abzugeben (§ 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO, § 8 EGGVG, Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG).

[8] Gemäß Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG tritt das Bayerische Oberste Landesgericht in dem durch § 8 Abs. 2 EGGVG abgesteckten Rahmen als Revisions- und Rechtsbeschwerdegericht an die Stelle des Bundesgerichtshofs, wenn im Wesentlichen Rechtsnormen zur Anwendung kommen, die im Landesrecht Bayerns enthalten sind (Senat, Beschlüsse vom 18. Februar 2021 - III ZR 79/20, NJW-RR 2021, 507 Rn. 5 und vom 29. Juli 2021 - III ZR 163/20, NJW-RR 2021, 1363 Rn. 13). Ist dies der Fall und wird gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 EGZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht, erklärt sich der Bundesgerichtshof nach Satz 2 dieser Vorschrift durch Beschluss zur Entscheidung über die Beschwerde für unzuständig und übersendet dem Bayerischen Obersten Landesgericht die Prozessakten (Senat aaO).

[9] Hier bildet der landesrechtliche Rechtsstoff den Schwerpunkt des Rechtsstreits und überwiegt im Sinne des § 8 Abs. 2 EGGVG (vgl. Senat, Beschlüsse vom 18. Februar 2021 aaO Rn. 8 und vom 29. Juli 2021 aaO Rn. 14):

[10] 1. Die Beurteilung, ob die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche gegeben sind, richtet sich zumindest zunächst nach dem Fischereirecht Bayerns. So regelt etwa Art. 26 BayFiG (bis 31. Juli 2021: Art. 29 BayFiG aF), unter welchen Voraussetzungen Erlaubnisscheine zur Ausübung des Fischfangs - auch für die Berufsfischerei im Bodensee (Patente) - erteilt werden können; § 7 Abs. 4 und § 8 Abs. 4 der Bodenseefischereiverordnung (BoFiV) in ihrer jeweiligen Fassung enthalten Bestimmungen über die Beschaffenheit und die Zahl der Netze, die ein Patentinhaber gleichzeitig höchstens verwenden darf, und mit § 28 BoFiV ist unter anderem eine Anordnungsbefugnis des Landratsamtes Lindau (Bodensee) zur Durchführung von Beschlüssen der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKV) geschaffen worden, um unter anderem von den §§ 7, 8 BoFiV abweichende Regelungen zu ermöglichen.

[11] Alle genannten Vorschriften gehören zum bayerischen Landesrecht. Das Fischereirecht Bayerns blieb beim Inkrafttreten des Grundgesetzes Landesrecht (Senat, Beschluss vom 29. Juli 2021 aaO Rn. 16; Reither in Endres/Herold, BayFiG, Stand: August 2022, Einführung Anm. 3.2). Die Fischerei in Binnengewässern ist auch weiterhin landesrechtlicher Regelung vorbehalten (Senat aaO; BVerfGE 70, 191, 199; BayVerfGHE 30 nF, 167, 170; Zöller/Lückemann, ZPO, 34. Aufl., § 8 EGGVG Rn. 2).

[12] Daran, dass bayerisches Fischereirecht und damit bayerisches Landesrecht den Prüfungsmaßstab bildet, ändert sich durch die Heranziehung der im Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurzelnden Rechtsfigur der Erwirkung nichts. Denn der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben gilt auch im Rahmen des Landesrechts (Senat aaO Rn. 17; BGH, Urteile vom 9. Januar 1981 - V ZR 58/79, BGHZ 79, 201, 207, 210 und vom 13. Juli 2018 - V ZR 308/17, NJW-RR 2019, 78 Rn. 11).

[13] Soweit die Beschwerde Verletzungen des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör rügt, beruft sie sich darauf, dass das Oberlandesgericht einen Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Fischereipatente (fünf Schwebnetze im Hochseepatent/Stellvertretungsmöglichkeit im Alterspatent) auf der Grundlage bayerischen Landesrechts hätte bejahen müssen. Zudem gelten nach Art. 91 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 8. Dezember 1946 (im Folgenden: BV) und Art. 103 Abs. 1 GG die gleichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (Senat aaO Rn. 18; BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 1992 - 2 BvR 1122/90, juris Rn. 9).

[14] Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die geltend gemachten Verstöße gegen das Willkürverbot. Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV, den das Berufungsgericht gleichfalls zu beachten hatte, und Art. 3 Abs. 1 GG sind in ihrem Wortlaut ebenfalls nahezu identisch (Senat aaO Rn. 19).

[15] 2. In Bezug auf das bundesrechtlich geregelte Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG wirft der Fall keine klärungsbedürftigen Fragen auf.

[16] Dass Eingriffe in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung erlaubt sind, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt, und der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind (zB BVerfGE 82, 209, 224), ist ebenso ständige höchstrichterliche Rechtsprechung wie der Rechtssatz, dass es zu einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG auch dann kommt, wenn ein Gericht Bedeutung und Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt, insbesondere bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts die typischen Merkmale einer Berufstätigkeit nicht würdigt oder grundrechtliche Belange mit entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen nicht in ein angemessenes Verhältnis bringt (zB BVerfG, NJW 2002, 3531, 3532 mwN; Senat aaO Rn. 22).

[17] Vorliegend ist zu klären, ob die im Streit befindlichen Normen des bayerischen Fischereirechts den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Dieser Beurteilung hat die Auslegung der Vorschriften vorauszugehen, gegebenenfalls unter Einschluss der Prüfung, ob eine verfassungskonforme Auslegung derselben möglich ist und wie diese dann im Einzelnen auszusehen hat. Hierzu ist, da es sich um bayerisches Landesrecht handelt, das Bayerische Oberste Landesgericht berufen.

[18] 3. Gegenteiliges folgt schließlich nicht daraus, dass die Kläger im Hinblick auf die Klageanträge 2 und 5 unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) die Frage klären lassen wollen, ob ein Kläger im Falle einer übereinstimmenden Erledigungserklärung zulässigerweise die Feststellung beantragen kann, dass die Klage bis dahin zulässig und begründet war.

[19] Für den Fall, dass es an einem Feststellungsinteresse fehlt, ist die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden. In diesem Fall ist eine derartige Feststellungsklage unzulässig (BGH, Urteil vom 21. März 2006 - VI ZR 77/05, NJW-RR 2006, 929 Rn. 6 und 8).

[20] Die Frage, wie bei gegebenem Feststellungsinteresse zu entscheiden wäre, stellt sich vorliegend nicht. Denn anders als die Beschwerde meint, kann ein Feststellungsinteresse nicht angenommen werden. Für die Bejahung eines solchen im Hinblick auf einen Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung (§ 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG) fehlt es zumindest an (der Darlegung von) Umständen, aus denen sich die Möglichkeit eines Verschuldens eines Amtsträgers einer bayerischen Behörde bei der Beurteilung der Frage, wie sich Art. 12 GG im Einzelnen auf das bayerische Fischereirecht auswirkt, herleiten ließe (vgl. Senat, Urteil vom 5. April 1965 - III ZR 201/63, VersR 1965, 693, 694 f zur Auswirkung von Art. 12 GG im Einzelnen auf das Apothekenrecht). Im Hinblick auf andere ("ähnliche") Ansprüche hat der Senat bereits ausgesprochen, dass es für eine Ausdehnung des richterrechtlich entwickelten Rechtsinstituts des enteignungsgleichen Eingriffs auch auf den durch Art. 12 GG gegebenenfalls gewährleisteten Erwerbsschutz keine Grundlage gibt und auch die Zuerkennung eines analogen Entschädigungsanspruchs wegen aufopferungsgleichen Eingriffs nicht in Frage kommt (Senat, Urteil vom 14. März 1996 - III ZR 224/94, BGHZ 132, 181, 188 und Beschlüsse vom 27. Mai 1993 - III ZR 142/92, NJW 1994, 1468 und vom 22. September 2011 - III ZR 217/10, juris Rn. 8).

Reiter Arend Böttcher

Herr Liepin

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