BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 - XII ZB 589/23

16.07.2024

BUNDESGERICHTSHOF

vom

5. Juni 2024

in der Betreuungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


VBVG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2


Einem beruflichen Betreuer, dem der Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten übertragen wurde, steht für den Zeitraum zwischen dem dauerhaften Umzug des nicht mittellosen Betroffenen aus dessen bisheriger Mietwohnung in ein Pflegeheim und der Beendigung dieses Mietverhältnisses die gesonderte Pauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG zu (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 10. April 2024 ­ XII ZB 559/23 ­ zur Veröffentlichung bestimmt).


BGH, Beschluss vom 5. Juni 2024 - XII ZB 589/23 - LG Aachen, AG Aachen


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juni 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Pernice

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 19. Dezember 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 90 €

Gründe:

[1] I. Die Beteiligte zu 1 begehrt als berufliche Betreuerin des Betroffenen die Festsetzung einer gesonderten Vergütungspauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG.

[2] Die Beteiligte zu 1 wurde mit Beschluss vom 13. März 2023 zur beruflichen Betreuerin des nicht mittellosen Betroffenen bestellt. Ihr wurde ein umfassender Aufgabenkreis übertragen, der unter anderem den Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten umfasst.

[3] Die Beteiligte zu 1 hat beim Amtsgericht für den Zeitraum vom 14. März 2023 bis zum 13. Juni 2023 die Festsetzung einer Vergütung aus dem Vermögen des Betroffenen in Höhe von 1.230 € beantragt. Darin enthalten ist für drei Monate die gesonderte monatliche Vergütungspauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG von jeweils 30 € für die Verwaltung nicht selbst genutzten Wohnraums des nicht mittellosen Betroffenen, was sie damit begründet hat, dass der Betroffene, der zunächst allein in einer Mietwohnung gelebt habe, sich seit dem 15. April 2023 in vollstationärer Pflege befinde.

[4] Das Amtsgericht hat die Vergütung auf 1.140 € festgesetzt und im Übrigen den Vergütungsantrag hinsichtlich der gesonderten monatlichen Vergütungspauschalen abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt sie weiterhin die Festsetzung der beantragten Vergütung.

[5] II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

[6] 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:

[7] Auch wenn die Regelung von Angelegenheiten betreffend den vom Betroffenen gemieteten, jedoch nicht selbst genutzten Wohnraum dem Wortlaut nach grundsätzlich unter § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG gefasst werden könne, sei unter Zugrundelegung der Gesetzesbegründung zu § 5 a VBVG a.F. davon auszugehen, dass die Regelung solcher Angelegenheiten keine "Verwaltung von Wohnraum" im Sinne der Vorschrift darstelle. Den entsprechenden Pauschalen liege die Erwägung zugrunde, dass die Verwaltung eines höheren Vermögens in der Regel einen höheren Betreuungsaufwand erfordere. Bei der von der Beteiligten zu 1 angeführten Kündigung, Auflösung, Verwaltung und Pflege der bislang vom Betroffenen genutzten Mietwohnung handele es sich ­ anders als bei einer Vermietung von (Wohn-)Eigentum des Betroffenen ­ nicht um eine Vermögensverwaltung im vorgenannten Sinne. Diese Tätigkeiten fielen bei sämtlichen Betroffenen, die in einer Mietwohnung lebten und diese dann aufgeben müssten, unabhängig vom vorhandenen Vermögen an. Eine die Pauschale nach § 10 Abs. 1 VBVG begründende Verwaltung von "höherem Vermögen" gehe hiermit gerade nicht einher. Zudem obliege der zusätzliche Verwaltungsaufwand aufgrund der Notwendigkeit der Bewirtschaftung und Instandhaltung dem Vermieter, weswegen davon auszugehen sei, dass es sich bei den in der Gesetzesbegründung genannten "Mietwohnungen" um solche handele, die vom Betroffenen ver- und nicht bloß gemietet würden.

[8] 2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

[9] a) Ist der Betreute nicht mittellos, wird der berufliche Betreuer nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG mit einer zusätzlichen monatlichen Pauschale in Höhe von 30 € vergütet, wenn dieser die Verwaltung von Wohnraum, der nicht vom Betreuten oder seinem Ehegatten genutzt wird, zu besorgen hat. Ob dem beruflichen Betreuer diese gesonderte Pauschale auch für den Zeitraum zwischen einem dauerhaften Umzug des Betroffenen aus dessen bisheriger Mietwohnung in ein Pflegeheim und der Beendigung dieses Mietverhältnisses zusteht, ist umstritten (ablehnend: LG Freiburg RPfleger 2020, 590, 591; Jurgeleit/Maier Betreuungsrecht 5. Aufl. § 10 VBVG Rn. 5; bejahend: LG Hamburg BtPrax 2023, 114; Toussaint/Felix Kostenrecht 53. Aufl. VBVG § 10 Rn. 18; Deinert/Lütgens in Bauer/Lütgens/Schwedler HK zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht [Stand: Februar 2024] § 10 VBVG Rn. 19b f.; Fröschle FamRZ 2019, 678, 680).

[10] b) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, steht einem beruflichen Betreuer, dem der Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten übertragen wurde, für den Zeitraum zwischen dem dauerhaften Umzug des nicht mittellosen Betroffenen aus dessen bisheriger Mietwohnung in ein Pflegeheim und der Beendigung dieses Mietverhältnisses die gesonderte Pauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG zu (Senatsbeschluss vom 10. April 2024 ­ XII ZB 559/23 ­ zur Veröffentlichung bestimmt).

[11] aa) Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG, der nicht nur Immobilien, die im Eigentum des Betroffenen stehen, sondern auch Mietwohnungen erfasst (vgl. BT-Drucks. 19/8694 S. 30). Deshalb fällt auch die Verwaltung der Mietwohnung, die ein nicht mittelloser Betreuter vor seinem Umzug in eine stationäre Einrichtung oder ein Pflegeheim zuletzt genutzt hat, in den Anwendungsbereich der Norm. Die Vorschrift enthält auch keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung in zeitlicher Hinsicht. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 VBVG fällt die gesonderte Pauschale bereits dann an, wenn einer der Fälle des Satzes 1 an mindestens einem Tag des Abrechnungszeitraums vorliegt. Unerheblich ist deshalb, ob sich die von der Pauschalvergütung erfasste Verwaltungstätigkeit des Betreuers auf die Kündigung und Abwicklung des Wohnraummietverhältnisses beschränkt oder dieses, etwa auf Wunsch des Betreuten, über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird (Senatsbeschluss vom 10. April 2024 ­ XII ZB 559/23 ­ zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 14).

[12] bb) Es besteht auch kein Anlass für eine Korrektur des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG in Form einer teleologischen Reduktion dahingehend, dass der berufliche Betreuer in diesen Fällen die gesonderte Pauschale nicht verlangen kann. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil sich weder aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG noch aus der Gesetzesbegründung tragfähige Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Tätigkeitsschwerpunkt auch in dieser Fallgruppe im Bereich einer (aufwändigeren) Vermögensverwaltung liegen muss und der Gesetzgeber Fälle der vorliegenden Art aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausschließen wollte (Senatsbeschluss vom 10. April 2024 ­ XII ZB 559/23 ­ zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 15 ff.).

[13] (1) Die gesonderte Pauschale für die Verwaltung eines höheren Vermögens des Betreuten wurde als § 5 a Abs. 1 VBVG durch das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22. Juni 2019 (BGBl. I S. 866) mit Wirkung zum 27. Juli 2019 neu eingeführt und mit Wirkung zum 1. Januar 2023 durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) in § 10 Abs. 1 VBVG wortgleich übernommen. Durch die Einführung dieser gesonderten Pauschale wollte der Gesetzgeber den erhöhten Betreuungsaufwand, der beruflichen Betreuern in der Regel bei der Verwaltung eines höheren Vermögens entsteht, durch eine zusätzliche Pauschalvergütung in Höhe von 30 € monatlich ausgleichen, ohne dass der Betreuer eine konkrete Verwaltungshandlung darlegen muss (vgl. BT-Drucks. 19/8694 S. 20, 29 f.). Hierzu hat er in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VBVG drei Fallgruppen gebildet, in denen bei der im Rahmen der Vergütungsregelungen gebotenen pauschalen Betrachtungsweise ein Mehraufwand für den beruflichen Betreuer zu erwarten ist, wobei die gesonderte Pauschalvergütung bereits dann anfallen soll, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers mindestens einen der genannten Fälle umfasst (BT-Drucks. 19/8694 S. 30; Senatsbeschluss vom 10. April 2024 ­ XII ZB 559/23 ­ zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 16).

[14] (2) Während der Gesichtspunkt der Verwaltung eines höheren Vermögens in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VBVG dadurch deutlich zum Ausdruck kommt, dass die Vermögensverwaltungspauschale an die Verwaltung eines Geldvermögens von mindestens 150.000 € gekoppelt ist, enthält der Wortlaut der Nr. 2 eine vergleichbare Einschränkung nicht. Bei der Verwaltung von nicht vom Betreuten oder seinem Ehegatten bewohntem Wohnraum (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG) sollte durch die gesonderte Pauschalvergütung der zusätzliche Verwaltungsaufwand ausgeglichen werden, der durch die Bewirtschaftung und Instandhaltung der Immobilien entsteht (BT-Drucks. 19/8694 S. 30). Ob der Wohnraum als Eigentum zum Vermögen des Betreuten gehört oder von diesem nur gemietet ist, sollte dabei unerheblich sein (vgl. BT-Drucks. 19/8694 S. 30). Ein erhöhter Verwaltungsaufwand kann dem für den Aufgabenbereich Wohnungsangelegenheiten bestellten Betreuer aber auch durch die Auflösung und Abwicklung des bisherigen Wohnraums des Betroffenen nach dessen dauerhaftem Umzug in ein Pflegeheim entstehen. Denn der Aufgabenbereich der Wohnungsangelegenheiten umfasst grundsätzlich neben der Berechtigung zur Kündigung des Mietvertrags über die Wohnung des Betroffenen, welche allerdings nach § 1833 Abs. 1 BGB einer gesonderten vorherigen Genehmigung durch das Betreuungsgericht bedarf, auch die Verpflichtung des Betreuers, die Räumung und die Herausgabe der Wohnung nach Ablauf der Kündigungsfrist zu organisieren, sofern der Betroffene hierzu selbst nicht mehr in der Lage ist. Zudem hat der Betreuer die Wohnung während der Abwesenheit des Betroffenen instand zu halten. Deshalb kann der Betreuer die Vermögensverwaltungspauschale nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VBVG auch für die Verwaltung einer bislang vom Betreuten selbst genutzten Mietwohnung nach dessen endgültigem Umzug in ein Pflegeheim verlangen (Senatsbeschluss vom 10. April 2024 ­ XII ZB 559/23 ­ zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 18 mwN).

[15] 3. Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Dieses wird nunmehr Feststellungen dazu zu treffen haben, zu welchem Zeitpunkt der Betroffene seine Mietwohnung endgültig aufgegeben hat. Da die Betreuerin die gesonderte Vergütungspauschale auch für einen Zeitraum geltend macht, der vor dem endgültigen Wechsel des Betroffenen in die vollstationäre Pflege am 15. April 2023 liegt, wird im weiteren Verfahren insbesondere zu klären sein, ob der Betroffene bereits zuvor seine Mietwohnung nicht mehr selbst genutzt und wann die Entscheidung gefallen war, die Wohnung dauerhaft nicht mehr selbst zu nutzen.

Guhling Klinkhammer Günter

Botur Pernice

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell