I ZR 47/06

13.12.2007

BUNDESGERICHTSHOF

vom

13. Dezember 2007

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 321a


a) Mit einer Anhörungsrüge nach § 321a ZPO muss eine

Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf

rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht werden. §

321a ZPO eröffnet keine Möglichkeit der Selbstkorrektur bei anderen

Verfahrensverstößen.

b) Eine Anhörungsrüge gegen einen Beschluss, mit dem die

Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen

worden ist, ist unzulässig, wenn sie sich nicht gegen eine neue und

eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den

Bundesgerichtshof richtet, sondern sich darauf beschränkt, bereits

in der Berufungsinstanz erfolgte Gehörsverletzungen geltend zu

machen. Die Anhörungsrüge kann nicht mit Erfolg darauf gestützt

werden, dass dem Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der

Überprüfung des in der Vorinstanz erfolgten Gehörsverstoßes ein

Rechtsfehler unterlaufen sei.


BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2007 - I ZR 47/06 - OLG

Hamburg, LG Hamburg


Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13.

Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und

die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr.

Kirchhoff

beschlossen:

Die Gehörsrüge gegen den Senatsbeschluss vom 19. Juli 2007

wird auf Kosten der Klägerinnen als unzulässig verworfen.

Gründe:

[1] I. Die Anhörungsrüge ist unzulässig, weil sie sich

nicht gegen eine neue und eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs.

1 GG durch den Bundesgerichtshof richtet, sondern sich darauf

beschränkt, bereits in der Berufungsinstanz begangene

Gehörsverletzungen geltend zu machen.

[2] 1. Nach dem Plenarbeschluss des

Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 (BVerfGE 107, 359 ff.)

ist nur für jede "neue und eigenständige" Verletzung des Art. 103

Abs. 1 GG durch eine gerichtliche Entscheidung eine einmalige

gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten. Sollte dem

Rechtsmittelgericht im Zuge der Überprüfung, ob Art. 103 Abs. 1 GG

in dem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren beachtet worden ist,

ein Fehler unterlaufen, kann hierauf keine Anhörungsrüge gestützt

werden. Denn die einmalige gerichtliche Überprüfung ist in diesem

Fall erfolgt (BVerfGE 107, 359 Rdn. 48, 50).

[3] Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in einem

Kammerbeschluss vom 9. Juli 2007 klargestellt, dass der gegen eine

Gehörsverletzung durch das Berufungsgericht nach Art. 103 Abs. 1 GG

erforderliche Rechtsbehelf in ausreichendem Maße mit der Revision

oder der Nichtzulassungsbeschwerde gegeben ist. Es besteht daher

kein verfassungsrechtliches Gebot, die Anhörungsrüge gegen eine

Entscheidung des Bundesgerichtshofs über eine

Nichtzulassungsbeschwerde zuzulassen, mit der gegen das

Berufungsurteil gerichtete Gehörsrügen als Zulassungsgrund

zurückgewiesen wurden (BVerfG, Beschl. v. 9.7.2007 - 1 BvR 646/06,

NJW 2007, 3418, 3419).

[4] 2. § 321a ZPO geht nicht über den verfassungsrechtlich

gebotenen Mindestschutz hinaus (vgl. Gesetzentwurf, BT-Drucks.

15/3706, S. 1, 13). Die Vorschrift beschränkt sich auf Verstöße

gegen Art. 103 Abs. 1 GG (Zuck, NJW 2005, 1226, 1228; Reichold in

Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 321a Rdn. 1; a.A. etwa Vollkommer in

Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 321a Rdn. 3a, 7; Sangmeister, NJW 2007,

2363, 2366).

[5] Alleiniger Zweck des § 321a ZPO in der geltenden

Fassung ist die Umsetzung des Plenarbeschlusses des

Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003. Sinn der Vorschrift

ist es, eine Möglichkeit zur Selbstkorrektur von Entscheidungen zu

schaffen, die ein Gericht unter Verletzung des rechtlichen Gehörs

einer Partei getroffen hat, und dadurch das Bundesverfassungsgericht

von Verfassungsbeschwerden zu entlasten, die auf Gehörsverletzungen

gestützt werden (vgl. Zuck, NJW 2005, 1226, 1228; Reichold in

Thomas/Putzo aaO). Dieser Entlastungszweck kann nur bei Rügen

erreicht werden, mit denen eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG

geltend gemacht wird und die deshalb zum Gegenstand einer

Verfassungsbeschwerde gemacht werden können. Unter "Anspruch auf

rechtliches Gehör" i.S. von § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist daher

ausschließlich das nach Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete rechtliche

Gehör zu verstehen.

[6] 3. Die Anhörungsrüge ist nur zulässig, wenn das

rechtliche Gehör neu und eigenständig durch das Gericht verletzt

worden ist, gegen dessen Entscheidung sich der Betroffene wendet.

Die Klägerinnen hätten daher hier rügen müssen, dass der Senat mit

dem Beschluss vom 19. Juli 2007 selbst neu und eigenständig ihren

Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG verletzt

habe (vgl. BSG, Beschl. v. 7.4.2005 - B 7a AL 38/05 B, NJW 2005,

2798; Seiler, AnwBl 2006, 378). Daran fehlt es. Die Behauptung einer

Gehörsverletzung im Zusammenhang mit den Gehörsrügen, die als

Zulassungsgründe für die Nichtzulassungsbeschwerde vorgebracht

worden sind, ist dazu ungeeignet.

[7] a) Das Berufungsgericht hat eine Verwechslungsgefahr

im weiteren Sinne ausdrücklich bejaht (BU 13 unten), so dass die

Frage einer "Fortwirkung" vorausgegangener Zeichenverletzung nicht

entscheidungserheblich war. Da der Senat deshalb die

Verwechslungsgefahr nicht selbst beurteilt hat, können die

Klägerinnen in diesem Zusammenhang auch keine neue und eigenständige

Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den Bundesgerichtshof

geltend machen. Vielmehr rügen sie die Unvollständigkeit der

tatrichterlichen Würdigung und dabei die Verletzung ihres

rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht.

[8] b) Die Rügen der Klägerinnen zu Gehörsverletzungen im

Zusammenhang mit der Einrede mangelnder Benutzung, mit fehlenden

tatrichterlichen Feststellungen zur Annahme erhöhter

Kennzeichnungskraft sowie mit der Beurteilung der Ähnlichkeit der

Zeichen beziehen sich sämtlich auf bereits für die Berufungsinstanz

behauptete Gehörsverletzungen, die schon in der Begründung der

Nichtzulassungsbeschwerde ausgeführt worden waren. Neue und

eigenständige Gehörsverletzungen i.S. des Art. 103 Abs. 1 GG durch

den Bundesgerichtshof machen die Klägerinnen auch insoweit nicht

geltend.

[9] II. Im Übrigen hat der Senat bei seinem Beschluss vom

19. Juli 2007 den entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerinnen

umfassend berücksichtigt. Er hat die Feststellung mittelbarer

Verwechslungsgefahr durch das Berufungsgericht, die im Wesentlichen

mit einem Verweis auf die Entscheidung des Berufungssenats im

Verfahren EVIAN/REVIAN vom 24. Februar 2002 begründet worden ist,

für rechtsfehlerfrei erachtet. Der Senat hat auch die Ausführungen

des Berufungsgerichts zur Frage der rechtserhaltenden Benutzung, der

erhöh-

ten Kennzeichnungskraft und der Waren- bzw.

Zeichenähnlichkeit unter Berücksichtigung der Gehörsrügen der

Klägerinnen überprüft, eine die Zulassung der Revision

rechtfertigende Gehörsverletzung oder auch nur einen Rechtsfehler

des Berufungsgerichts jedoch nicht festzustellen vermocht.

Bornkamm Pokrant Büscher

Bergmann Kirchhoff

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