VII ZB 33/11

24.11.2011

BUNDESGERICHTSHOF

vom

24. November 2011

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 568 Satz 2 Nr. 2


Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde zieht der Einzelrichter auch dann objektiv willkürlich unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) eine nicht ihm, sondern der Kammer zustehende Entscheidungsbefugnis an sich, wenn er den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für gegeben hält und hieraus seine Zuständigkeit für die Zulassungsentscheidung ableitet.


BGH, Beschluss vom 24. November 2011 - VII ZB 33/11 - LG Meiningen, AG Meiningen


Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Bauner, Dr. Eick, Halfmeier und Prof. Leupertz

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin zu 1 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen (Einzelrichter) vom 29. April 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe:

[1] I. Die Gläubigerin zu 1 betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung. Die Gläubigerin zu 2 betreibt gegen beide Schuldner die Zwangsvollstreckung. Die Schuldner sind Miteigentümer zu 1/2 von insgesamt sieben Grundstücken, eingetragen im Grundbuch von K., Blatt 1034. An fünf Grundstücken sind zugunsten der Drittschuldnerin Buchgrundschulden bestellt und eingetragen worden, und zwar über 28.000 DM, 30.000 DM, 60.000 DM, 35.000 DM und 50.000 DM.

[2] Am 2. November 2005 hatte die Gläubigerin zu 2 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen beide Schuldner erwirkt, mit dem unter anderem deren Ansprüche gegen die Drittschuldnerin gepfändet wurden, "insbesondere auf Rückgewähr durch Übertragung, Verzicht der im Grundbuch von K. Blatt 1034 eingetragenen Grundschuld über 203.000 DM (103.793 ?), gegebenenfalls mit Brief".

[3] Durch Beschluss vom 11. März 2010 hat die Gläubigerin zu 1 den hälftigen Anteil der Schuldnerin an den Teileigentümergrundschulden nach vollständiger oder teilweiser Rückzahlung der zugrunde liegenden Forderungen gepfändet; ferner auch deren Ansprüche gegen den Miteigentümer im Zusammenhang mit entstandenen Eigentümergrundschulden. Sie hat gegen den Beschluss vom 2. November 2005 Vollstreckungserinnerung mit der Begründung eingelegt, die gepfändete Forderung sei nicht hinreichend bezeichnet. Das Amtsgericht hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin zu 1 ist ohne Erfolg geblieben. Mit der durch den Einzelrichter zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Gläubigerin zu 1 die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 2. November 2005.

[4] II. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Beschwerdegerichts und zur Zurückverweisung der Sache.

[5] 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat (siehe dazu sogleich unter 2.a).

[6] 2. Die angefochtene Einzelrichterentscheidung unterliegt der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist.

[7] a) Der Einzelrichter durfte über die Zulassung nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Kammer übertragen müssen.

[8] Allerdings hat der Einzelrichter angenommen, er und nicht die Kammer sei für die Entscheidung zuständig, da die Sache weder besonders schwierig noch grundsätzlich bedeutend sei, § 568 Satz 2 ZPO. Zwischen Einzelrichterzuständigkeit und Beschwerdezulassung bestehe mit Blick auf die von § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO und § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geregelte grundsätzliche Bedeutung kein Widerspruch. Die Zulassungsgründe "Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" in § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO seien nicht lediglich Unterfälle der "grundsätzlichen Bedeutung". Die Rechtsbeschwerde werde zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

[9] Diese Auffassung ist unzutreffend. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass der Einzelrichter auch dann zur Übertragung auf das Kollegium nach § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO verpflichtet ist, wenn er den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für gegeben erachtet. Die grundsätzliche Bedeutung ist nämlich im weitesten Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegium entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200 Rn. 6 bei juris; Beschluss vom 11. September 2003 - XII ZB 188/02, NJW 2003, 3712 m.w.N.; Beschluss vom 10. November 2003 - II ZB 14/02, NJW 2004, 448).

[10] b) Damit hat der Einzelrichter objektiv willkürlich unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde eine Entscheidungsbefugnis an sich gezogen, die nach dem Gesetz nicht ihm, sondern der Kammer in ihrer vollen Besetzung übertragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2003 - II ZB 14/02, aaO). Hierdurch hat er die gesetzlichen Grenzen seiner Entscheidungszuständigkeit insgesamt nicht beachtet und objektiv willkürlich entschieden. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass er die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für erforderlich hielt und daraus zu Unrecht abgeleitet hat, es bestehe keine Übertragungspflicht auf das Kollegium (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. September 2003 - XII ZB 188/02, aaO; vom 10. November 2003 - II ZB 14/02, aaO).

[11] 3. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den Einzelrichter, der den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Wegen der durch die

Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 GKG Gebrauch.

Kniffka Bauner Eick

Halfmeier Leupertz

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