VIII ZB 58/06
BUNDESGERICHTSHOF
vom
9. April 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 519 Abs. 2
Zur Zulässigkeit der Berufung einer Partei, wenn zwar
nicht aus der Berufungsschrift dieser Partei, wohl aber aus der beim
Berufungsgericht bereits vorliegenden Berufung der Gegenseite und
der deren Berufungsschrift beigefügten Abschrift des angefochtenen
Urteils innerhalb der Berufungsfrist erkennbar ist, wer
Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter ist.
BGH, Beschluss vom 9. April 2008 - VIII ZB 58/06 -
LG Düsseldorf, AG Neuss
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9.
April 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Wiechers
und Dr. Wolst, die Richterin Dr. Hessel sowie den Richter Dr.
Achilles
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss
der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 3. Mai 2006
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht
zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 3.044,42 festgesetzt.
Gründe:
[1] I. Das Amtsgericht hat der Klage, mit der der Kläger
von dem Beklagten wegen unterlassener Schönheitsreparaturen bei
Mietende Schadensersatz in Höhe von 8.036,37 nebst Zinsen begehrt
hat, in Höhe von 1.268,34 nebst Zinsen stattgegeben und sie im
Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien
Berufung eingelegt, und zwar der Beklagte am 29. Dezember 2005 durch
seinen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt S. und
der Kläger am 9. Januar 2006, dem letzten Tag der für ihn geltenden
Rechtsmittelfrist, um 18.14 Uhr per Telefax durch seinen
erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt W. . Die
Berufungsschrift des Beklagten enthält ein vollständiges Rubrum. Ihr
war eine Kopie des angefochtenen Urteils beigefügt. Die
Berufungsschrift des Klägers, der keine Ablichtung des
erstinstanzlichen Urteils anlag, hat folgenden Text:
"In Sachen M. ./. L. (Schönheitsreparaturen)
legen wir gegen das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom
30.11.2005, Az. ,
B e r u f u n g
ein."
[2] Die beiden Rechtsmittel sind zunächst
unterschiedlichen Kammern des Berufungsgerichts zugeleitet und erst
im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens zusammengeführt worden.
Der Beklagte hat seine Berufung zurückgenommen. Die Berufung des
Klägers, mit der dieser die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung
weiterer 3.044,42 nebst Zinsen erstrebt, hat das Landgericht als
unzulässig verworfen, weil der Berufungsschrift nicht zu entnehmen
gewesen sei, wer Berufungskläger sein solle, und sich dies wegen des
Eingangs bei unterschiedlichen Kammern des Berufungsgerichts auch
nicht innerhalb der Berufungsfrist aus der Berufung des Beklagten
ergeben habe. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
[3] II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1
Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574
Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung gemäß den nachstehenden Ausführungen
eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Die
Rechtsbeschwerde ist im Übrigen gemäß § 575 ZPO form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden.
[4] 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das
Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zu Unrecht nach § 522
Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
[5] a) Das Berufungsgericht ist allerdings in
Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass zum
notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gemäß § 519 Abs. 2 ZPO auch
die Angabe gehört, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel
eingelegt wird. Aus der Berufungsschrift muss entweder für sich
allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der
Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger
und wer Berufungsbeklagter sein soll. Dabei sind vor allem an die
eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen
zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der
Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des
Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Dies bedeutet jedoch nicht,
dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers
ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen
wäre; sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und
der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei sind,
wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle
Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die
Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien
nötigen Angaben richten sich nach dem prozessualen Zweck dieses
Erfordernisses, also danach, dass im Falle einer Berufung, die einen
neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit
der Sache befassten Gericht eröffnet, zur Erzielung eines auch
weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der
Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens,
insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei
erkennbar sein müssen (Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2005 - VIII
ZB 30/05, www.bundesgerichtshof.de, unter II 1; zuletzt z.B. BGH,
Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 14/06, WM 2007, 233 = NJW-RR
2007, 413, unter II 2 a; BGH, Beschluss vom 13. März 2007 - XI ZB
13/06, FamRZ 2007, 903, unter II 2 a, jew. m.w.N.).
[6] b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das
Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, es sei innerhalb der
Berufungsfrist nicht erkennbar gewesen, für und gegen wen mit dem
Schriftsatz vom 9. Januar 2006 Berufung eingelegt worden sei.
[7] Richtig ist zwar, dass dies der Berufungsschrift
selbst nicht zu entnehmen ist und dass mit der Berufungsschrift
entgegen der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO auch keine
Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils
vorgelegt worden ist, die durch einen Vergleich der darin
aufgeführten Prozessbevollmächtigten mit dem Verfasser der
Berufungsschrift die Feststellung des Berufungsklägers ermöglicht
hätte. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht hinreichend
berücksichtigt, dass in die Prüfung auch die sonstigen Unterlagen
einzubeziehen sind, die dem Gericht vorliegen. Dazu gehört hier die
schon am 29. Dezember 2005 eingegangene Berufung des Beklagten, die
nicht nur mit einem vollständigen Rubrum versehen, sondern der auch
eine Kopie des erstinstanzlichen Urteils beigefügt war. Daraus
ergibt sich zweifelsfrei, dass die Berufung vom 9. Januar 2006 für
den Kläger eingelegt worden ist. Denn die Berufungsschrift ist von
Rechtsanwalt W. verfasst, der den Kläger ausweislich des Rubrums der
Berufung des Beklagten und des ihr in Kopie beigefügten Urteils des
Amtsgerichts bereits in erster Instanz vertreten hat.
[8] Der Umstand, dass die beiden Rechtsmittel zunächst
unterschiedlichen Kammern zugegangen sind, rechtfertigt es entgegen
der Ansicht des Berufungsgerichts nicht, die Berufung des Beklagten
bei der Würdigung der Berufung des Klägers unberücksichtigt zu
lassen. Die Anforderungen an die Zulässigkeit der Berufung können
nach dem auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhenden Grundsatz der
Rechtsmittelklarheit (BVerfGE 74, 228, 234) nicht von der internen
Organisation des Berufungsgerichts abhängen. Zutreffend weist die
Rechtsbeschwerde darauf hin, dass die Berufung nach § 519 Abs. 1 ZPO
bei dem Berufungsgericht einzulegen ist. Darauf, welche Kammer dort
intern zuständig ist, hat der Berufungskläger keinen Einfluss. Daher
darf es hier nicht zu Lasten des Klägers gehen, dass seine Berufung
aufgrund der gerichtsinternen Organisation zunächst einer anderen
Kammer zugegangen ist als die Berufung des Beklagten.
[9] Unschädlich ist auch, dass die Berufung des Klägers
erst am letzten Tag der Berufungsfrist nach Dienstschluss um 18.14
Uhr per Telefax eingegangen ist. Nach der zitierten Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs kommt es nicht darauf an, ob innerhalb der
Rechtsmittelfrist erkannt worden ist, wer Berufungskläger und wer
Berufungsbeklagter sein soll. Es reicht aus, wenn dies - wie hier
aus den beim Berufungsgericht vorliegenden Unterlagen - innerhalb
der Berufungsfrist erkennbar gewesen ist.
[10] 3. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss
keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur
erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Ball Wiechers Dr. Wolst
Dr. Hessel Dr. Achilles