X ZR 137/09

23.10.2012

BUNDESGERICHTSHOF

vom

23. Oktober 2012

in dem Patentnichtigkeitsverfahren


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO §§ 42, 406 Abs. 1


Der Anschein nicht vollständiger Unvoreingenommenheit kann begründet sein, wenn der Sachverständige in einer wirtschaftlichen Verbindung zu einer der Parteien steht. Nimmt der Sachverständige einen Gutachtenauftrag eines Dritten an, der seinerseits in einem Beratungsverhältnis zu einer der Parteien steht, kommt dies nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.


BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 - X ZR 137/09 - Bundespatentgericht


Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens sowie die Richter Dr. Grabinski und Dr. Bacher

beschlossen:

Das den Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. S. betref-

fende Ablehnungsgesuch wird zurückgewiesen.

Gründe:

[1] Der Antrag ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

[2] I. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr.-Ing. S. hat dem Ge-

richt mit Schreiben vom 26. September 2012 mitgeteilt, dass er am 11. April 2012 von der H. GmbH (nachfolgend: H.

GmbH) gebeten worden sei, einen Klienten bei der Kurzbewertung hinsichtlich der Essentialität von Patenten zu unterstützen. Am 18. April 2012 sei ein Vertrag zwischen der H. GmbH und ihm zustande gekommen. Weitere Auf-

träge habe es nicht gegeben. Anlässlich des 10-jährigen Bestehens der H.

GmbH sei er erstmalig zu einer Veranstaltung am 21./22. September

2012 eingeladen worden. Dort habe er erfahren, dass die H. GmbH

derzeit direkt oder indirekt für die Klägerin Patentstreitigkeiten gegen die Beklagte bearbeite und auch zumindest in einem Verfahren involviert sei, in dem er, der gerichtliche Sachverständige, ein Gutachten erstattet habe. Dies sei ihm vor dem 22. September 2012 nicht bekannt gewesen.

[3] Ihm, dem gerichtlichen Sachverständigen, sei die H. GmbH seit

November 2011 bekannt, als er von Herrn F. H. mit der allgemeinen

Anfrage kontaktiert worden sei, ob er grundsätzlich bereit sei, in IPR-Fragen in seinem Kompetenzgebiet für die H. GmbH tätig zu werden. Ein Vertrag

oder eine Kooperation seien aber seinerzeit nicht zustande gekommen. Er, der gerichtliche Sachverständige, habe Herrn H. auf seine Gutachtertätig-

keit für den Bundesgerichtshof und seine Pflicht zur Unabhängigkeit und Neutralität in Streitsachen mit den Parteien dieses Rechtsstreits hingewiesen. Er habe die H. GmbH als neutrale Vermittlerin von Experten und Expertise

verstanden.

[4] Die Beklagte stützt ihren Ablehnungsantrag im Wesentlichen darauf, dass dem gerichtlichen Sachverständigen die enge Verbindung der H.

GmbH zur Klägerin nicht habe verborgen bleiben dürfen, weil sie aus dem Internetauftritt der H. GmbH klar und eindeutig erkennbar gewesen sei.

Zudem ergebe sich die Besorgnis der Befangenheit aus dem Schreiben des gerichtlichen Sachverständigen vom 26. September 2012 selbst, in dem dieser den Sachverhalt nur sehr oberflächlich dargelegt habe.

[5] II. Nach § 406 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 42 ZPO kann ein Sachverständiger abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Einen solchen Grund hat die Beklagte nicht dargelegt.

[6] Aus ihrem Vorbringen ergeben sich bei der gebotenen objektiven Betrachtung keine Umstände, die aus Sicht der Beklagten Zweifel an der Unparteilichkeit des gerichtlichen Sachverständigen begründen können. Zwar kann der Anschein nicht vollständiger Unvoreingenommenheit begründet sein, wenn der Sachverständige in einer wirtschaftlichen Verbindung zu einer der Parteien steht (BGH, Beschluss vom 24. Juli 2007 - X ZR 1/06 Rn. 1; Beschluss vom 11. Juli 1995 - X ZR 99/93). Nimmt der Sachverständige demgegenüber einen Gutachtenauftrag von einem Dritten an, der seinerseits in einem Beratungsverhältnis zu einer der Parteien steht, kommt dies nur unter engen Voraussetzungen in Betracht, die im Streitfall nicht gegeben sind.

[7] Die Besorgnis der Befangenheit wird zunächst nicht durch die Umstände der Aufnahme der wirtschaftlichen Verbindung mit der H. GmbH be-

gründet. Dem gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. S. war bei

Zustandekommen des Beratungsvertrages vom 18. April 2012 mit der H.

GmbH nicht bewusst, dass diese die Klägerin in rechtlichen Auseinan-

dersetzungen mit der Beklagten beraten hat. Die Richtigkeit der entsprechenden Ausführungen des Sachverständigen in seinem Schreiben vom 26. September 2012 an das Gericht ist von der Beklagten nicht in Frage gestellt worden.

[8] Die Beratungsleistung, die der Sachverständige für die H. GmbH

erbracht hat, war überdies punktueller Natur und nicht auf Dauer angelegt. Sie stand nach seinen Angaben nicht in inhaltlichem Zusammenhang mit dem Streitfall und betrifft keine der Prozessparteien. Die H. GmbH ist aus-

weislich der von der Beklagten vorgelegten Auszüge aus ihrer Internetpräsenz für eine Vielzahl von Anbietern aus dem Bereich der Mobilfunktechnik sowie zahlreiche Rechtanwalts- und Patentanwaltskanzleien tätig und kann deshalb nicht dem Lager der Klägerin zugeordnet werden. Auch von daher ist nicht zu besorgen, dass der Sachverständige durch seine nach Abschluss des im Streitfall erstellten schriftlichen Gutachtens in Auftrag gegebene Tätigkeit für die H.

GmbH daran gehindert ist, sein Gutachten in der mündlichen Verhand-

lung unvoreingenommen abzugeben.

[9] Eine abweichende Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht daraus, dass der gerichtliche Sachverständige nicht näher dargelegt hat, für welchen Klienten die H. GmbH bei der Erteilung des

Auftrags an ihn tätig war, welches Honorar er für seine Tätigkeit erhalten hat und in welchem Umfang ihm die H. GmbH im November 2011 Aufträge

in Aussicht gestellt hat. Aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, an dessen Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, folgt, dass er lediglich an einer Kurzbewertung beteiligt war, die nicht in Zusammenhang mit gerichtlichen Auseinandersetzungen steht, dass die Streitparteien nicht involviert sind und dass die H. GmbH an ihn im November 2011 nur mit der all-

gemeinen Anfrage herangetreten ist, ob er grundsätzlich bereit sei, Gutachtenaufträge anzunehmen. Diese Angaben genügen, um Zweifel an der Unvoreingenommenheit, die sich aus den Verbindungen zur H. GmbH ergeben

könnten, auszuräumen. Schon angesichts dessen hatte der Sachverständige keinen Anlass zu näheren Angaben.

Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens

Grabinski Bacher

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